„Frustrierte Zufriedene“
Auf seiner Jahreshauptversammlung übt der Landesverband SaSaThü den Schulterschluss in schwierigen Zeiten – und lässt sich von Bestseller-Autor Dirk Oschmann erzählen, wie der Westen über den Osten denkt.
Auf seiner Jahreshauptversammlung übt der Landesverband SaSaThü den Schulterschluss in schwierigen Zeiten – und lässt sich von Bestseller-Autor Dirk Oschmann erzählen, wie der Westen über den Osten denkt.
„Wir brauchen einen starken Verband – im Bund und in unseren drei Ländern!“ So das Fazit von Helmut Stadeler, Vorsitzender des Börsenvereins-Landesverbands Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (SaSaThü) am 2. Juni auf der 33. Hauptversammlung im Leipziger Haus des Buches.
Der Mann hat recht – denn die Herausforderungen, mit denen sich die Mitglieder des Dreiländer-Verbands 2022 konfrontiert sahen, waren beträchtlich: Lange war das Jahr von der Corona-Pandemie beeinflusst, der Krieg in der Ukraine, eine galoppierende Inflation, Kaufzurückhaltung und explodierende Kosten kamen erschwerend hinzu.
Ebenfalls für Gegenwind sorgt die Tendenz, dass Kommunen Aufträge seltener freihändig vergeben, sondern europaweit ausschreiben, lokale Anbieter so das Nachsehen haben. In der Provinz sind frequenzarme, dahinsiechende Innenstädte längst keine Seltenheit mehr – dabei könnten gerade Buchhandlungen kulturelle Leuchttürme vor Ort sein.
Wenn eine Buchhandlung keinen Nachfolger findet, dann ist das ein Dilemma. Nicht nur, weil damit oft ein ganzes Lebenswerk verschwindet, sondern auch, weil so zugleich ein großes Nichts entsteht.
Helmut Stadeler, Vorsitzender des Landesverbands SaSaThü
Das Wort „Fachkräftemangel“ hat in der Branche im Osten einen besonderen Klang: Wenn die mutigen Gründerinnen und Gründer der Wendejahre jetzt in Rente gehen, findet sich – zumal in strukturschwachen ländlichen Gegenden – oft kein Käufer. Ein Dilemma, so Stadeler: „Nicht nur, weil so nicht selten ein ganzes Lebenswerk verschwindet, sondern zugleich ein großes Nichts entsteht.“
Diese Gefahr besteht etwa in der Kreisstadt Delitzsch, der viertgrößten Stadt im Ballungsraum Leipzig-Halle (25.000 Einwohner), die nach derzeitigem Stand ohne Sortiments-Nahversorgung dastehen wird, wenn Buchhändler Ingolf Engler im Februar 2024 aus Altersgründen schließt. Der Landesverband versucht nach Kräften, Übergaben zu unterstützen; Bäume versetzen oder eine hartleibige Eigentümerin umstimmen kann auch er nicht.
Drei Worte mit Ausrufezeichen erinnerten mehrfach daran, dass man die eigene Nachfolgelösung, mit etwas Glück, auch durch einen schlauen Move selbst einfädeln kann: „Bilden Sie aus!“
Gelingt es dem inhabergeführten Buchhandel nicht, autonom zu agieren, stehen, wenigstens so lange der Standort als attraktiv gilt, die Filialisten parat: In Nordhausen (40.000 Einwohner) etwa hat Dietrich Rose, 1992 bis 1998 SaSaThü-Vorsitzender, seine 300-Quadratmeter-Buchhandlung im letzten Herbst an Thalia übergeben. Insgesamt 110 Buchhandlungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden derzeit allein von den Filialisten Thalia und Hugendubel betrieben – die Mitgliedsbeiträge fließen nach NRW oder Bayern ab.
Man kann sich endlich um etwas kümmern, wofür im kräftezehrenden Alltag keine Zeit ist: den intensiven Austausch über Texte.
Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski über Lesekreise
Wer bei all den Beschwernissen, die Tag für Tag die Schultern und Mundwinkel nach unten ziehen, mal wieder richtig gut draufkommen will, sollte sich mit der Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski von der Berliner Buchhandlung Ocelot verabreden.
Auf Einladung der Fachgruppe Verbreitender Buchhandel sollte Piwowarski verraten, wie Lesekreise in Buchhandlungen als „Kundenbindungsinstrument“ eingesetzt werden. Sie selbst war nach der Ocelot-Pleite 2014 als „arbeitslose Leserin“ angefixt worden, über einen Aushang vor Krischa Hasselbachs Buchhandlung in der Pankower Florastraße. Die Rettung! Im Mai 2017, zwei Jahre nach der Ocelot-Wiedereröffnung, startete sie ihren eigenen Lesekreis.
Heute treffen sich aller sechs bis acht Wochen rund 15 Leserinnen. Doch Kundenbindung her oder hin – die leidenschaftliche Leserin Piwowarski, die mit ihrem Ex-Kollegen Ludwig Lohmann auch den Literatur-Podcast Blauschwarzberlin betreibt, brachte neben ganz praktischen Tipps und Tricks vor allem eins authentisch rüber: Dass man, wenn es gut läuft, mit solch einem Projekt auch etwas Gutes für sich selbst, als „Mensch und Buchhändlerin“, tut: „Man kann sich endlich um etwas kümmern, wofür im kräftezehrenden Alltag keine Zeit ist: den intensiven Austausch über Texte.“ Grundbedingung: „Man muss Bock haben – sonst bringt es nix!“
Es wird anfangs an der ein oder anderen Stelle haken, etwa bei der Abrechnung. Aber der KulturPass ist eine große Chance für den Handel.
Maren Ongsiek, Börsenverein
Maren Ongsiek vom Bundesverband informierte über den KulturPass (kulturpass.de), der bereits in wenigen Tagen mit Claims wie „Schmökern statt Swipen“ per App live gehen soll.
In Frankreich, wo ein ähnliches Modell seit 2021 angeboten wird, haben viele Jugendliche auf diese Art überhaupt mitbekommen, dass etwas so Abgefahrenes wie eine Buchhandlung in ihrer Nachbarschaft existiert. „Es wird anfangs an der ein oder anderen Stelle haken, etwa bei der Abrechnung“, sagte Ongsiek. „Aber der KulturPass ist auch eine große Chance für den Handel.“
Die Fachgruppe Herstellender Buchhandel hatte sich den Textprofi Michael Schickerling eingeladen, um mehr über Künstliche Intelligenz im Verlag zu erfahren.
Da in diesem Jahr keine Wahlen anstanden, blieb deutlich mehr Raum für den Tagesordnungspunkt „Aussprache zu aktuellen Themen“.
Die Frage, welche Chance der Osten hat und wie lange es bis zur Angleichung der Lebensumstände in beiden Hälften des Landes dauern wird, hat Dirk Oschmann kürzlich schon einmal beantwortet, auf einem Podium der Leipziger Buchmesse: „Bis 2700. Und ohne eine Ostquote wird es nicht gehen.“
Der Mann, dessen Buch „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ (Piper) seit Wochen auf Platz Eins der Sachbuchbestenliste festgetackert ist, stellte seinen Lagebericht zum Stand der deutschen Demokratie just an dem Tag vor, als der neue ARD-Deutschlandtrend die AfD als zweitstärkste politische Kraft in Deutschland sieht, gleichauf mit der SPD.
Oschmanns Buch will „Polemik, Schmähschrift und Tirade“ in einem sein, es verzichtet auf jegliche Differenzierung – und ist vermutlich gerade deshalb so erfolgreich. Andocken können hier vor allem die „frustriert Zufriedenen“ (ein Wort des Soziologen Steffen Mau), mit dickem SUV vorm Eigenheim, aber einem virulenten Mitgestaltungs-Problem. Wieder einmal sind es Bücher wie die von Steffen Mau („Lütten Klein“, Suhrkamp), Ilko-Sascha Kowalczuk („Die Übernahme“, C.H. Beck) oder eben Dirk Oschmann, die erzählen, wie aus dem Momentum des Aufbruchs ein Gefühl des Scheiterns werden konnte. Die Sortimenter zwischen Suhl und Bautzen werden dringender denn je gebraucht.