IGUV-Jahrestagung 2024

"Es liegt an uns, was passiert!"

12. September 2024
von Matthias Glatthor

Viele Tipps aus der Praxis, Vorträge, Pausengespräche – und eine Frage, die sich am 5. und 6. September wie ein roter Faden durch die Jahrestagung der IG unabhängige Verlage in Frankfurt am Main zog: Wie erreicht man mehr Sichtbarkeit im Buchhandel?

Katja Völkel schilderte ihre Erfahrungen mit einem Pop-up-Store. Ein Foto aus ihrer Präsentation

Andere Schwerpunkte der klasse organisierten Veranstaltung bildeten Digitalisierung und neue Gesetze oder Verordnungen – etwa Barrierefreiheit oder EU-Entwaldungsverordnung –, die auf die kleinen Verlage im kommenden Jahr zurollen.

"Ihr könnt alle etwas tun, mitgestalten"

All das schnitt Björn Bedey (Bedey & Thoms Media) aus dem IGUV-Sprecher:innenkreis in seinem Bericht zum Auftakt an. Positiv sei bezüglich Sichtbarkeit, dass die Meldenummer 17 geändert werde. Sorge bereite dagegen, dass sich die Leipziger Buchmesse immer mehr in Richtung Convention verlagere – wichtig für die kleinen Verlage seien daher zusätzlich die Regionalmessen. Beim Thema strukturelle Verlagsförderung herrsche angesichts der aktuellen Haushaltslage des Bundes etwas Stillstand, "dabei waren wir schon sehr weit", teilte Bedey mit. Dann rief er die zahlreichen Teilnehmer:innen im Saal (70 hatten sich zur Jahrestagung angemeldet) dazu auf, sich im Börsenverein zu engagieren: "Es liegt an uns, was passiert! Ihr könnt alle etwas tun, mitgestalten."

Voller Saal im Haus des Buches

Digitale Optionen

Aus der Praxis erzählte Helge Blischke (Moluna), der das Tool "Buchbutler"  als Ergänzung zu den Barsortimenten präsentierte. Es spürt Titel auf, die bei den diesen nicht zu finden seien, aber noch in Auslieferungen vorliegen. "Wir wissen, wo Ware ist und bis wann sie lieferbar ist", warb Blischke für sein Produkt. Man stelle damit die verlorene Sichtbarkeit der ausgelisteten Titel wieder her. Und, so betonte er wiederholt, es gebe kein böses Blut mit den Barsortimenten, man arbeite zum Teil mit ihnen zusammen. Alles, was von einer Auslieferung komme, gehe an Buchbutler und werde von dort verschickt.

KI ist eines der Themen der Buchbranche, auch die IGUV-Tagung setzte sich damit auseiander. Katja Krause, KI-Beraterin für Autor:innen und Verlage, stellte drei Tools vor, "mit denen sich kreativ arbeiten lässt": Perplexity AI, Claude 3.5 Sonnet und Midjourney. Wobei sie darauf hinwies, wie wichtig ihr dabei das Urheberrecht sei. So führe die KI-Suchmaschine Perplexity AI beispielsweise die genutzten Quellen auf. Unpassende können gestrichen werden, worauf ein neuer Ergebnis erstellt werde. Anschließend lieferte Carsten Schwab (Edupartner AG) mit "Publishing-Technologien für alle!“ ein Update aus der Arbeit der Taskforce IT-Standards des Börsenvereins. Neue Materialien kommen diesen September. Gerade für kleine Verlage empfiehlt er bei der digitalen Transformation Kooperationen. "Was den Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele", zitierte Schwab F.W. Raiffeisen.

Auf großes Interesse im aufmerksamen Plenum stieß "Odoo", vorgestellt von IGUV-Sprecherin Steffi Bieber-Geske (Biber & Butzemann) – mit Sonnenbrille, ihre anderen Augengläser hatte sie bei der Anreise vergessen – und dem IT-Experten Roland Zimmermann. Das kostengünstige Tool könne alle Verlagsprozesse abbilden und organisieren. Mithilfe von Zimmermann passt Bieber-Geske die Software seit drei Monaten an ihren Verlag an ("Wir haben einen wöchentlichen Call"). Es sei ein SAP für Leute, die sich kein SAP leisten könnten, so ihr überschwängliches Urteil.

Verlag mit Pop-up-Store

Ein schönes Praxis-Beispiel für mehr Sichtbarkeit aus der analogen Welt lieferte Katja Völkel vom Ultraviolett Verlag in Dresden. Sie konnte im April/Mai sechs Wochen lang den 80 Quadratmeter großen Pop-up-Store "Welt der Bücher" in ihrer Heimatstadt öffnen. Gefördert wurde das von der Stadt Dresden mit Mitteln aus dem Innenstadtprogramm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" des Bundes. Ein Vorteil der mehrfach für diese Zwecke genutzten Fläche: Möbel waren bereits vorhanden. "Ich habe trotzdem meinen Kindern die Couch aus dem Zimmer geklaut", so Völkel mit einem Augenzwinkern. Sie versuchte, die Kreativszene vor Ort mit einzubinden, hatte einen Kalligrafen für eine Ausstellung gewonnen und arbeitete mit dem Netzwerk Schöne Bücher zusammen. Beim Sortiment setzte sie auf möglichst viele Genres, auch Regionales war vertreten.

Ihr Fazit: Einerseits sei es ein recht hoher Aufwand gewesen und der finanzielle Ertrag sei gering. Andererseits hätte sie vom Perspektivwechsel profitiert und ihre Vernetzung innerhalb der Stadt ausgebaut. Das könnte sich für die Zukunft positiv auswirken.

Zu Kooperationen riet auch "Überraschungsgast" Nadja Kneissler, noch bis zur Buchmesse Vorsitzende im Ausschuss für Verlage. Sie bedankte sich für die Zusammenarbeit, die teils auch reibungsvoll gewesen sei. "Aber Reibung bringt Energie". 

Tag 2 bot weitere nützliche Praxis-Beispiele – und viel Diskussionsstoff. Buchhändler Daniel Hagemann aus dem Sprecher:innenkreis der IG Unabhängiges Sortiment (IGUS), gab offen Einblicke in seine Sortimentsgestaltung. Er betreibt im nördlichen Hamburg zwei Stadtteil-Buchhandlungen (je 100 Quadratmeter, je vier Leute, inklusive je eine Auszubildende). Hagemann hatte das Programm der IGUV-Tagung mit großem Interesse verfolgt und stellte fest: "Wir haben alle die gleichen Probleme – wie gehen wir damit um?"

Hat er Bücher unabhängiger Verlage im Laden?, fragten ihn die Verleger:innen. "Ein Buch einfach hinzulegen, macht nicht, dass ich es verkaufe", so die klare Ansage Hagemanns, "dann liegt es da und nach einem Jahr remittiere ich es." Aber das Beispiel von Katja Völkel vom Vortag hatte ihn inspiriert. Er könne sich einen Shop-in-Shop in einer Ecke in seinem Laden vorstellen, den die Indies immer mal wieder bespielen. "Ihr kennt Eure Bücher besser, könnt sie besser verkaufen". Man müsse die Kund:innen zum Stehenbleiben animieren. Denn so, seine Beobachtung, seit Corona seien die Zielkäufe mehr geworden, das Stöbern weniger.

Eine Folie von Jeannette Bauroth zu ihrem Vortrag übers "Notfallmanagement im Verlag"

Notfall-Management

Auf das immens wichtige Thema "Notfall-Management im Verlag", bei Urlaub oder Krankheit, machte anschaulich Jeanette Bauroth (Second Chance Verlag) aufmerksam. Das Thema wird manch eine:r aus dem Saal auf seine To-do-Liste gesetzt haben.

Die gewinnbringende Kooperation in Vertrieb und Marketing ihrer beiden Reise-Kinderbuchverlage präsentierten Britta Schmidt von Groeling (World for kids) und Steffi Bieber-Geske (Biber & Butzemann). Vertrauen sei wichtig, menschlich müsse es funktionieren und eine thematische Klammer sei erforderlich, führten sie als Voraussetzungen an. Dennoch müsse man der anderen Seite auch eine lange Leine lassen, einen gemeinsamen Shop gebe es zum Beispiel nicht. "Wir erzwingen nichts." Für lockerere Kooperationen, die Schmidt von Groeling ab und zu ebenfalls auflegt, komme der thematischen Klammer allerdings keine so starke Funktion zu.

Kärtchen schreiben im Kostendruck-Workshop

Kostendruck bei Herstellung und Vertrieb

Ein Novum für die IGUV-Jahrestagungen gab es am Freitagnachmittag: einen Workshop. Thema: Kostendruck. In zwei Gruppen wurde erörtert, wo den Verlagen die Kosten davongerannt sind. Häufig genannt wurden die Druckkosten oder Porto und Versandkosten. Der Schuh drücke ebenfalls bei den Kosten für Stände auf der Frankfurter Buchmesse, dabei sei ein Auftritt dort gerade für kleine Verlage so wichtig. Aber auch für deren Autor:innen: "Wenn du als Autor:in dein eigenes Buch auf der Messe präsentieren kannst, gibt es nichts Größeres", meinte Gerd Fischer von mainbook. In der großen Runde wurde über mögliche Lösungen gesprochen, darunter wurden wiederum Kooperationen genannt. Auf der Frankfurter Buchmesse wird es wieder einen Gemeinschaftsstand des Netzwerks Schöne Bücher geben. Bei den Druckkosten wurde unter anderem eine Auflagenprüfung, billigere Ausstattung oder Nachverhandeln mit der Druckerei genannt.

Bei allen Herausforderungen, vor denen die unabhängigen Verlage stehen, die Stimmung auf der IGUV-Tagung war wieder einmal gut gelaunt, alle waren vom Programm begeistert, tauschten sich in den Pausen oder bei den gemeinsamen Abendessen intensiv untereinander oder mit den Referent:innen darüber aus. Für die Rückreise waren die Koffer damit voller Anregungen.

Viele Zettel: Björn Bedey leitete die Diskussion über die Resultate des Kostendruck-Workshops