Blechen-Sprechen
Die Kommune I und TikTok sind zwei zeitlich und inhaltlich unterschiedliche Phänomene. Aber es lasssen sich doch einige Gemeinsamkeiten feststellen, meint Markus Klose.
Die Kommune I und TikTok sind zwei zeitlich und inhaltlich unterschiedliche Phänomene. Aber es lasssen sich doch einige Gemeinsamkeiten feststellen, meint Markus Klose.
Die Kommune I gab es nur zwei Jahre lang, Ende der 60er, mitten in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition. Fritz Teufel, Ulrich Enzensberger und Rainer Langhans waren einige der berühmteren Mitglieder dieser Westberliner Wohngemeinschaft, die sich aus bürgerlicher Sicht aus Langhaarigen, Drogenabhängigen, Anarchisten, Freikörperkulturfreunden und in jedem Fall gefährlichen Subjekten zusammensetzte. Aus heutiger Sicht war diese Gruppe Gleichgesinnter auch eine geniale Marketingidee. Die prächtigen Haare der Männer trugen maßgeblich zur Abschreckung bei. Die Männer zeigten sich mit Perlen, Schmuck und, wahrscheinlich noch markanter, in chinesischen(!) Mao-Anzügen. Die Commune Identity wurde damals aber nicht in einem ausführlichen Bulletin nach teuer bezahlten Beratungstagen festgehalten, sondern ent- und bestand aus sich selbst.
Modern auf jeden Fall war die Erkenntnis, dass man beim richtigen Auftreten Interesse, Wahrnehmung und schließlich auch Geld einsammeln konnte. Und so kam es nicht von ungefähr, dass Journalisten, Fotografen und andere Kulturschaffende bereits im Flur auf die klare Botschaft stießen: »Erst blechen, dann sprechen.« Es funktionierte, die Kommune wurde definitiv zur Marke, die lange nach ihrer Auflösung noch über ihre USP wahrnehmbar war. Insbesondere das Gruppennacktfoto hat bis heute eine gewisse Einmaligkeit behalten.
Was wohl wäre gewesen, wenn die Kommunarden damals schon über die Instrumente der TikTok-Welt verfügt hätten? Gut, Nacktheit ist dort in Gänze untersagt, das Bild also hätte man über X verbreiten müssen. Aber was damals die solidarischen Freunde der Kommune waren, sind heute die Fans oder Mitglieder der Community. Die Gemeinschaft, dafür steht ja diese Vokabel, die nun überall auftaucht und das Ende eines reinen Absende- und Empfangprozesses einläutet, ist ungleich wirkungsstärker als die einzelne Botschaft.
Bei #BookTok hätte Fritz Teufel die ›Mao-Bibel‹ zur Lektüre empfohlen.
Markus Klose
Bei #BookTok hätte Fritz Teufel die »Mao-Bibel« zur Lektüre empfohlen, Rainer Langhans hätte zu »Sure Thing« gedanct, Dagrun Enzensberger hätte in 24 Episoden über das quälende Ende der Ehe mit ihrem Magnus berichtet, der Wohnungsvermieter Uwe Johnson hätte Einrichtungstipps mit Unterstützung von Ikea gepostet und die berühmte neunjährige Tanaquil wäre beim Unicorn-Wettbewerb erfolgreiche Siebte geworden. Die Kommune I wäre also ein TikTok-Star mit Millionen von Followern, aus der Commune wäre eine Community geworden, aus der abgerockten Galeriewohnung eine Villa am Lietzensee, die »Bild«, schon damals wesentlich für die Erlangung einer gewissen Berühmtheit durch ihre Aufregungsunkultur, hätte die Eltern gewarnt, dass nun aber wirklich und endgültig das Abendland untergehen wird, und die Commune-Community wäre zum Vorbild für lauter neue Wohngemeinschaften auf der ganzen Welt geworden.
Spätestens jetzt wären dann auch die ersten Junglektorinnen auf das Phänomen aufmerksam geworden und hätten zu akquirieren begonnen. Immer per PN hätte es dann geheißen: »Hi Dieter, kannst du dir vorstellen, Rezepte für eure speziellen Kommune-Kekse zu veröffentlichen?« Oder: »Hallo Ulrich, willst du nicht mal nichts als die Wahrheit erzählen über die Kindheit mit deinem Bruder Magnus?« Und Tanaquil wäre bei der Premiere des Buchs »Das Kommunenhorn« als Testimonial eingesetzt worden. Dann wäre sicher Dr. Oetker auf die Idee gekommen, mit der Kommune eine Werbebotschaft zu platzieren: »Pudding ist zum Genießen, nicht zum Werfen!«, hätte es da geheißen. Zalando wäre mit Rainer Langhans ins Geschäft gekommen. Seinen Petticoat-Auftritt bei einer Beerdigung hätte man zum Anlass genommen, für Frauenkleider für Männer zu werben. Die perfekte queere Idee. Die Wirkung der Kommunarden ähnelt also, im kleinen Stil, den Communityarden. Es gilt allerdings jetzt erst recht, die rustikale Flurformel weiter zu beherzigen: Blechen-Sprechen.