Die Beziehungen zu Russland sind seit vielen Jahren schlecht: Die Krim wurde annektiert, seit acht Jahren gibt es einen Krieg in der Ostukraine. Wie erklären Sie sich, dass die Gefahr, die von Putin ausgeht, im Westen Europas so lange unterschätzt wurde?
Der Westen, so es diesen überhaupt gibt, denkt einfach nicht in denselben Kategorien wie Russland. Insofern versteht man sich auch nicht, selbst wenn man im Westen das Gefühl hat, man würde einen Dialog führen. Ich selbst wurde in der Sowjet-Zeit sozialisiert. Die russische Propaganda ist nichts anderes als die sowjetische, nur viel schlimmer, weil die Russen nichts mehr zu verlieren haben. Diese Frechheit, diese Verlogenheit, diese perfide Fassade stellt die sowjetische Propaganda völlig in den Schatten. Unserem Staat es nicht gelungen, durch Kultur- und Außenpolitik ein ukrainisches Narrativ zu schaffen. Nur wenige Menschen im Ausland wissen um unsere Situation. Russland hingegen ist laut hörbar. Sie wissen ja, welche Medien in jedem europäischen Land vertreten sind. Wir müssen jetzt das blutig ausbaden, was unser Staat nicht geleistet hat.
Der Literatur wird zugesprochen, die Empathie zu schulen und den eigenen Horizont zu erweitern. Können Sie Werke empfehlen, die uns die Ukraine näherbringen?
Die gibt es gewiss, doch auf Deutsch oder Englisch ist davon leider zu wenig verfügbar. Natürlich kennt man Autor:innen wie Andreas Kappeler, Timothy Snyder oder Anne Applebaum, die über die Ukraine schreiben. Doch unser Land hat sich insgesamt zu wenig für Übersetzungen und deren Verbreitung engagiert. Das war ein fataler Fehler. Immerhin gibt es einige Schriftsteller:innen wie Serhij Zhadan (deutsch bei Suhrkamp), Jurij Wynnytschuk oder Maria Matios (beide in deutscher Übersetzung bei Haymon), deren Stimme im Ausland gehört wird. Das ist momentan sehr wichtig.
Wie kann man die Menschen in der Ukraine jetzt am besten unterstützen?
Nach der ersten Schockstarre haben wir vom Zentrum Gedankendach eine Spendenaktion gestartet. Ganz gleich, wie lang dieser Krieg andauert wird, benötigen wir Geld, um uns um die Geflüchteten, Dinge des täglichen Bedarfs und um Unterkünfte zu kümmern. Unsere Partnereinrichtung in München, das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, hat hierfür ein Spendenkonto eingerichtet. Viel mehr als spenden und den Flüchtlingen zu helfen, kann man jetzt nicht tun. Wer eine Spende für angemessen hält, dem möchte ich sagen, dass diese bei uns in guten Händen ist. Es wird sehr viel Bedarf geben, wenn nicht hier in der Region, dann in anderen Teilen des Landes.
Liebe Oxana Matiychuk, ganz lieben Dank, dass wir uns heute unterhalten konnten.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse. Das ist sehr wichtig.