Nina George über die Stellung der Frauen im Literaturbetrieb

Macho Literaturbetrieb

12. Januar 2017
Redaktion Börsenblatt
Bücher von Autorinnen erscheinen seltener in (hoch-)literarischen Verlagen, erhalten weniger renommierte Preise und Rezensionen im Feuilleton – und weniger Geld. Nina George hat nachgerechnet.

Ich zähle Frauen. Seit zehn Jahren; in Rezensionen von Medien, die das Etikett "intellektuell besonders wertvoll" verleihen, bei Preisen, auf Podien, in Programmen, in Lesungs­kalendern. Mein Vorbild sind die VIDA-Zählungen, die das Vorkommen von Autorinnen in 39 US-Feuilletons untersuchen. Die schlechte Nachricht vorab: Der deutsche Literaturbetrieb hat’s nicht so mit Frauen.
In den Dutzend Leitmedien meiner Zählung, wie "Welt", "Zeit", "SZ", "FAZ", "Spiegel" usw., wirken Frauen an 25 Prozent aller Rezensionen mit. Kritiken über Autorinnen finden zwischen zehn Prozent (häufigster Wert) und 24 Prozent (zu Buchmessezeiten) statt. In Unterhaltungsmedien wie "Brigitte" oder dem WDR steigt der Autorinnenanteil, erreicht aber selten Parität. In Literaturblogs liegt er, kumuliert, bei 19 Prozent (Blogger) und 40 Prozent (Bloggerinnen). Auffällig bleibt die testosterongefärbte ­Filterblase in den Feuilletons. In der "Welt" vom 1. November wurden "Elf Bücher, die du bis zu deinem 30sten Geburtstag gelesen haben solltest" kanonisiert. Alle von Männern, zehn der ­Romane kreisten um eine männliche Hauptfigur. Die "Bild" kanonisierte "25 wichtigste Romane" mit einem Frauenanteil von zwei, im Literatur Spezial zur Buchmesse der "Zeit" (Nr. 43/2016) waren unter den "20 wichtigsten Büchern" vier von Frauen.

Elena Ferrante sagte einmal: "Männer nehmen von Frauen geschriebene Bücher als Bücher für Frauen wahr." Ein Kritiker antwortete darauf: "Ein Frauenbuch ist ein Buch, das ich als Mann nicht verstehe." Liegt die ­Unwucht daran, dass in die Echokammer der Rezeption leichter Bücher von Männern dringen, weil die Themen den Rezensenten vertrauter, oder schlicht: wichtiger sind? Quasi aus der Unschuld der Sozialisation, einem unabsichtlich angewöhnten Desinteresse für die feminine Sicht auf die Welt (gilt auch für Kritikerinnen)? Mitunter ist es auch Feigheit vor dem Gefühl. Dieses tief sitzende Unbehagen, sich mit komplexer Emotionalität auseinanderzusetzen, die nicht distanziert und analytisch erzählt wird, sondern zu nah an der Seele ritzt, viel zu nah, Moment: Ist das nicht … Kitsch?

Oder beginnt das Aussortieren schon in der Programm­planung – wo häufig Frauen planen, aber Männer zahlen, und damit entscheiden? Die Vorschauen von E- und U-Verlagen zur Frankfurter Messe zeigen jedes Jahr: Je mehr E, desto weniger Frau. Das Verhältnis liegt oft bei drei Frauen zu zehn Männern. Autorinnen finden sich mehr in Genreformaten, die der Unterhaltung oder "Frauenliteratur" (Gedöns, anspruchslos, Untenrumkitsch – suchen Sie sich ein despektierliches Wort aus, diese Schublade ist seit Dekaden bestens geölt) zugeordnet sind, außerdem im Taschenbuch, gern mit Blümchen vorne drauf. Alles Feuilletongift. Männer werden häufiger im Hardcover veröffentlicht, etwa bei E-Edelverlagen wie Suhrkamp, Hanser, Aufbau. Das lieben die Kulturredaktionen. Und Buchhändler, die nicht zum Lesen kommen, stellen sich ihre Tische wiederum nach Kritiken zusammen – so wirkt auch auf Kaufende die "wichtige" Literatur eher männlich.

Sie können sich, sofern Frau, übrigens noch einen Schnaps bereitstellen. Es gibt 580 Literaturpreise in Deutschland, davon gelten 140 als "wichtig", zwei Dutzend als die Krönung des Schaffens. Ihre Jurys sind, kumuliert, zu 23 Prozent mit Frauen besetzt. Ich zählte die Gewinne der Krönungspreise seit jeweiligem Beginn der Verleihungen. Das Ergebnis: Männer gewinnen fünfmal häufiger. Ausnahme: der Deutsche Buchpreis. Und Prost!

Ich will Sie nicht weiter mit Zahlen traktieren; Sie ahnen, dass in den Akademien der Künste Frauen in der Sparte Literatur spärlich (20 %) vertreten sind; dass sie laut 50prozent. speakerinnen.org nur zu einem Viertel auf Expertenpodien sprechen, und, ach ja: laut Agentinnen wie Karin Graf geringere Vorschüsse angeboten bekommen.

Dennoch glaube ich nicht an eine grundsätzliche Misogynie des Feuille­tons, der Juroren oder Verlagsleiter; einige unangenehme Zeitgenossen ausgenommen. Es ist auch die zur Bieder­keit neigende Buchbranche, die, aus Gefalldrang, in die Klischeefalle tappt: Frauen dichten fürs Herz, Männer fürs Hirn.

Für mich liegen die Antworten auf die Frauenfrage auch NEBEN dem Literaturbetrieb. In der Erziehung, in der Auswahl von Lehrmaterialien, in der Gesellschaft, ihren Leit-Memen, und dem Rollback zur Rosa/Hellblau-Simplifizierung. Und: in den Hauptfiguren, die wir, die Autorinnen und Autoren, erschaffen. Welches Bild zeichnen wir denn von Frauen und Männern? Auch das wird, neben aufgeregten Debatten zu Quoten, zu hinterfragen sein.


Männer gewinnen im Schnitt fünfmal häufiger

• Der Georg-Büchner-Preis (50.000 €) ging 55 Mal an einen Mann, 9 Mal an eine Frau.

• Der Literaturnobelpreis ging 99 Mal an einen Mann, 14 Mal an eine Frau.

• Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (25.000 €): 57 Männer, 8 Frauen, 1 Paar, 1 Club

• Heinrich-Mann-Preis (8.000 €): 18 Männer, 4 Frauen

• Thomas-Mann-Preis (25.000 €): 18 Männer, 3 Frauen

• Horst-Bienek-Lyrikpreis: 23 Männer, 5 Frauen (Stand 2014)

• Konrad-Adenauer-Preis: 19 Männer, 5 Frauen

• Einhard-Preis für Biografien (10.000 €): 8 Männer, 2 Frauen

• Heinrich-Böll-Preis (20.000 €): 20 Männer, 5 Frauen

• Kleist-Preis (20.000 €): 20 Männer, 9 Frauen

• Jean-Paul-Preis (15.000 €): 17 Männer, 3 Frauen

• Deutscher Krimipreis: 26 Männer, 7 Frauen, 2 davon 2x, also 5 Frauen

• Kurt-Tucholsky-Preis (3.000./5.000 €): 12 Männer, 1 Frau