Karriere

Mangelware Anerkennung

12. Mai 2023
Veronika Weiss

Auch wenn Vorgesetzte damit oft sparsamer umgehen als mit Kritik: Wenig beflügelt uns so sehr wie ein ehrlich gemeintes Lob. Warum es sich lohnt, positives Feedback im Selbstbild zu verankern. 

Warum geizen viele Vorgesetzte so mit Lob? Wir alle kennen diese Fälle: Nur wenn etwas schiefgelaufen ist, kommt der Boss vorbei, die Chefin sucht ausschließlich dann das Gespräch, wenn es einen Grund zur Beschwerde gibt. Nach dem Prinzip »Keine Kritik ist Lob genug« wird oft einfach geschwiegen, wenn wir unsere Sache gut machen. Für eine Weile ist das auszuhalten. Wir motivieren uns aus uns selbst heraus, mögen unsere Jobs und lassen uns nicht beirren, solange wir ein gesundes Selbstvertrauen haben. Aber auf Dauer ist ein solcher Führungsstil Gift. Nicht nur fürs persönliche Wohlbefinden, sondern auch für die Atmosphäre im Unternehmen. Werden wir immer nur mit negativer Kritik konfrontiert, dann ist es logisch, dass wir irgendwann ein ungutes Gefühl haben, wenn uns der- oder diejenige aufsucht. Wenn dieser Zustand jahrelang anhält, zermürbt er uns und stumpft unser Denken ab. Ab und an braucht es eben ein Lob, das runtergeht wie Öl, um die kleinen Zahnrädchen im Gehirn zu schmieren.

Besonders bei jahrelang andauernden Angestelltenverhältnissen wird es irgendwann als selbstverständlich angesehen, dass wir unsere Arbeit gut machen. Wo anfangs noch eingearbeitet und viel Feedback – auch positives – gegeben wurde, breitet sich Stille aus, sobald Routine einkehrt. Ein jährliches Mitarbeitergespräch, bei dem gespiegelt wird, dass alles so weit in Ordnung ist, nutzt nichts, denn das ist ja etwas Erzwungenes und wird nicht ohne Weiteres als ehrliche Wertschätzung empfunden.

Motor für Topleistungen

Eigentlich könnte es so einfach sein: Wenn Vorgesetzte ihre Anerkennung ausdrücken, fällt das auf fruchtbaren Boden. Das Teammitglied fühlt sich gesehen, glaubt stärker an die eigenen Talente und ist motiviert, weiterhin alles aus sich herauszuholen. Die Folge sind weitere tolle Leistungen – und noch mehr Möglichkeiten, ein ehrliches Lob auszusprechen. Ein total simpler Kreislauf positiver Verstärkung, der eine unaufhaltsame Eigendynamik entwickelt.
Solange es bei Ihnen (noch) nicht so läuft, möchte ich Ihnen etwas empfehlen: Nehmen Sie sich Lob genauso zu Herzen wie Kritik. Negative Rückmeldung sitzt emotional oft so tief, dass wir sie nie vergessen. Aber dadurch entsteht eine falsche Gewichtung, denn wir haben mit Sicherheit schon genauso viel oder sogar deutlich mehr Positives über unsere Arbeit gehört. Denn wir alle machen unsere Sache so gut wir können und haben definitiv unsere Stärken.

Lob und Anerkennung sammeln

Wie können wir also erreichen, dass Lob sich in unserem Kopf und im Selbstbild festsetzt? Legen Sie sich ein Board bei Miro oder Canva an, pinnen Sie Zettelchen an die Wand oder kleben Sie Post-its auf ein Motivationsposter. Sammeln Sie hier die schönsten Aussagen über Ihr Tun und Ihre Talente, aus beruflichen wie privaten Unterhaltungen. Wenn Sie sich einmal darauf fokussieren, werden Sie Lob besser wahrnehmen – und es für wahr nehmen. Ihre Sammlung kann an schlechten Tagen, wenn mal wieder der oder die aufgebrachte Vorgesetzte vorbeischaut und Sie die Selbstzweifel plagen, die Rettung sein.

Und dennoch: Die Verantwortung fürs Loben liegt selbstredend nicht bei uns. Gute Teamleitende erkennen Stärken, setzen ihre Mitarbeitenden entsprechend ein und erwähnen diese auch mal. Im Prinzip gilt vielleicht sogar: Gibt es wenig zu loben, sind die Vorgesetzten selbst schuld, weil sie die Fehlbesetzung verschulden … 

UNSERE KOLUMNISTIN

Veronika Weiss (38) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) in Hamburg arbeitete sie dort als Lektorin. Seit 2021 ist sie frei als Texterin und Lektorin tätig. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.