Drama um die Buchwissenschaft
Ausgerechnet in der traditionsreichsten aller deutschen Buchstädte soll das Fach Buchwissenschaft abgewickelt werden. Spät regt sich nun öffentlicher Widerstand. Zu spät?
Ausgerechnet in der traditionsreichsten aller deutschen Buchstädte soll das Fach Buchwissenschaft abgewickelt werden. Spät regt sich nun öffentlicher Widerstand. Zu spät?
Still, aber gar nicht heimlich wird die Buchwissenschaft in Leipzig abgewickelt. Was vor gerade einmal 28 Jahren mit der Ausschreibung einer C3-Professur für das akademisch traditionsreiche, als eigenständige Disziplin jedoch noch junge Fach unternehmungsfroh begann, endet in diesen Tagen kläglich – und bisher ohne öffentliche Gegenwehr. Es droht ein schwerer Verlust für Leipzig: die Stadt, die sich im Jahr 2025 aus Anlass der Börsenvereinsgründung dortselbst vor dann 200 Jahren so gern als Buchstadt feiern möchte. Manche sahen die Entwicklung lange kommen, doch niemandem kam eine rettende Idee, wie sie noch hätte aufgehalten werden können.
Dabei sah es anfangs nicht schlecht aus. Als im Winter 2020 / 21 die Ausschreibung für eine W2-Professur in der Nachfolge von Siegfried Lokatis publik wurde (Lokatis vertrat die Buchwissenschaft am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft seit 2006 und wird Ende September emeritiert), war darin immerhin noch von einem »Schwerpunkt Buchkultur« zu lesen; der oder die künftige Stelleninhaber:in soll »zum Wandel des Mediums Buch und vergleichbarer Schrift- und Lesemedien im digitalen Zeitalter« forschen und lehren. Auf den ersten Blick ließ das nicht auf einen bevorstehenden disziplinären Strömungsabriss schließen.
Im Vorfeld der Ausschreibung hatten Lokatis und einige führende Buchköpfe Leipzigs das Gespräch mit der damaligen Rektorin der Universität, der Medizinerin Beate Schücking, gesucht – und waren mit ihren Argumenten für die so wichtige Kontinuität des Fachs gerade an diesem Standort durchaus auf Gegenliebe gestoßen. Schückings erhoffte Schutzwirkung endete mit ihrem Ausscheiden als Rektorin im März dieses Jahres jedoch abrupt.
Was Insider früh ahnten: Stellenprofile werden von Berufungskommissionen schon mal kreativ interpretiert. Denn selbst an Horten der »reinen Wissenschaft« schiebt sich vor diese nicht selten ein fakultätsinternes Besetzungsinteresse. Auch im aktuellen Fall, vermuten Eingeweihte, die mit ihrer Einschätzung ungern namentlich zitiert werden möchten, sei die Ausschreibung verfahrenstechnisch »untertunnelt« worden: Es galt, einem Nachwuchswissenschaftler beizeiten einen Anschlussvertrag anbieten zu können; da helfen Hausberufungen auf frei werdende W2-Stellen manchmal, Probleme zu lösen, die eher personalwirtschaftlicher als wissenschaftlicher Natur sind.
Jedenfalls fand sich am Ende ein Juniorprofessor, der in den Bereichen Fernsehen und digitale Medien, insbesondere Social Media, hervorragend ausgewiesene Sven Stollfuß, auf Platz 1 der Liste. Mit ihm verhandelt nun die Hochschulleitung. Das Nachsehen als Mitbewerber hatte der habilitierte Buchwissenschaftler Axel Kuhn aus Erlangen, der an der Friedrich-Alexander-Universität zuletzt die Lehrstuhlvertretung für die im April 2019 in den Ruhestand verabschiedete Professorin Ursula Rautenberg innehatte.
Kuhn, soeben 44 Jahre alt geworden, gehört einer neuen Generation von Buchwissenschaftlern an, deren Arbeitsschwerpunkte anschlussfähig zu den allgemeinen und benachbarten Medienwissenschaften sind. Kuhn hat zur perspektivischen Weitung seines Fachs beigetragen: mit Leseforschung, mit Studien zur Medienkonvergenz, zu Rezeptions- und Nutzungsfragen, auch mit ökonomischen Interessen Richtung E-Commerce und Bucheinzelhandel.
Man könnte meinen, die Leipziger Stellenanzeige sei auf ihn zugeschnitten worden: »Im Fokus«, so heißt es dort zum gewünschten Profil des oder der Neuen, »stehen die kulturelle und ökonomische Bedeutung des Buchs im Verbund mit anderen Medien (…) ebenso wie Innovationen in Produktion, Gestaltung und Distribution sowie Veränderungen bei Rezeption und Aneignung (…).« Im nicht minder beeindruckenden Curriculum Vitae von Sven Stollfuß sucht man unter den gelisteten Publikationen nach dem Wort »Buch« lange vergebens, um schließlich beim jüngsten Eintrag doch noch auf einen Zeitschriftenartikel aus 2021 zu stoßen: »Platformized Book Prosumption on Wattpad: Reading and Writing in the Case of a Pandemic Diary«. Die Universität will sich zur Besetzung der Professur derzeit nicht äußern, eine Sprecherin verwies auf das laufende Berufungsverfahren.
Oft geht es schlicht um Macht und Verdrängung.
Gerhard Lauer, Professor für Buchwissenschaft, Mainz
Zu denen, die das Vorgehen der Universität Leipzig auch öffentlich kritisieren, gehört der Professor für Buchwissenschaft am Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien in Mainz, Gerhard Lauer. Ihm sei die Leipziger Entscheidung, das Fach zu schließen, »absolut unverständlich«, sagt Lauer im Gespräch mit dem Börsenblatt. »Damit drohen nun jahrhundertealte Traditionslinien der Stadt im Nichts zu verlaufen«, warnt der Literaturwissenschaftler, der vor einem knappen Jahr aus Basel ans Gutenberg-Institut kam. Lauer hat gegenüber der heutigen Leipziger Rektorin Eva Inés Obergfell, einer Jura-Professorin, in einem Brief sein Befremden zum Ausdruck gebracht und darum gebeten, dass die Entscheidung noch einmal überdacht werden möge.
Insgesamt macht sich Lauer Sorgen um die institutionelle Verankerung seines Fachs in Deutschland. Auch in Erlangen sei nach dem Ausscheiden von Ursula Rautenberg nicht zu sehen, dass deren Professur adäquat nachbesetzt würde. In München arbeite die Kollegin Christine Haug bei unzureichender personeller Ausstattung, obwohl dort die studentische Nachfrage nach dem Fach enorm hoch sei. »Die Studierenden stimmen mit den Füßen ab«, sagt Lauer, »denn sie möchten ein Fach studieren, das ihnen konkrete Berufsperspektiven eröffnet.« Die Buchwissenschaft leiste das. Wenn man auf die Immatrikulationszahlen in geisteswissenschaftlichen Masterstudiengängen schaue, stehe dieses akademisch kleine Fach glänzend da – anders als die Geisteswissenschaften allgemein. Wenigstens ist dem Vernehmen nach für München eine Linderung der personellen Unteraussstattung in Sicht; die Vergabe einer Juniorprofessur steht unmittelbar vor dem Abschluss.
Lauer hält mit seiner Vermutung, weshalb es die kleinen Fächer gegenüber den großen schwer haben, ihren Platz im universitären Gefüge zu behaupten, nicht hinterm Berg: »Oft geht es schlicht um Macht und Verdrängung.« Einem kleinen Fach könne die Fakultät, in der es beheimatet ist, gefahrloser zu Leibe rücken als einem institutionell breit verwurzelten Fach. »Denn es hat in dem Moment, in dem derjenige ausscheidet, der es vertritt, keine Stimme mehr.«
Auch der in Leipzig unterlegene Bewerber Axel Kuhn, der sich zum Verfahren selbst nicht äußern möchte, sieht ein strukturelles Problem für die Kleinstfächer. »Die Universitäten kommen mit ihnen nicht gut zurecht«, stellt der Erlanger fest. Für die Buchwissenschaft sieht er ein spezifisches Problem, das die Lage zusätzlich erschwere: das »ungünstige Narrativ. ›Buch‹ ist seit Langem keine gute Erzählung mehr. Das Medium wird assoziiert mit Alter, es erscheint vielen als vom Aussterben bedroht.« Und der Eindruck werde medial immer wieder verstärkt.
Ein Ausweg scheint Kuhn die interdisziplinäre Einbettung zu sein – die sich auch in seiner eigenen Berufsbiografie widerspiegelt: Da stehen Beiträge zum digitalen Publizieren neben Texten zu vernetzten Medien, Vorträge über User Interfaces neben Gedanken zur Bedeutung von Smartphones für die Verlagsbranche. Vor der Leipziger Berufungskommission hat ihm all das nicht geholfen.
Aber ganz so geräuschlos, wie es sich die Entscheider in der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie womöglich erhofft hatten, geht die Personalie dieser W2-Neubesetzung nun doch nicht über die Bühne. Deutliche Worte der Kritik findet neben Lauer auch Stephanie Jacobs. Die Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums (DBSM) an der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig nennt die Entscheidung der Universität »einen Skandal. Hier wird einer der traditionsreichen Standorte für Buchwissenschaft plattgemacht.« Jacobs gehörte zu denen, die in der Stadt das Unheil früh kommen sahen und noch versuchten, im Gespräch mit der Alt-Rektorin Schücking das Schlimmste abzuwenden.
Hier wird einer der traditionsreichen Standorte für Buchwissenschaft plattgemacht.
Stephanie Jacobs, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig
Für das Buch- und Schriftmuseum würde der Schwenk hin zu Fernsehforschung und Social Media nicht ohne Folgen bleiben. »Die Zusammenarbeit mit der Buchwissenschaft gehört zur Daseinsberechtigung des DBSM. Wir sind doch die Dienstleister der Wissenschaft«, betont Jacobs. Aus ihrer Perspektive droht daher nicht nur ein kultureller und akademischer Verlust für die Stadt, sondern für ihr eigenes Haus der Wegfall eines wichtigen Kunden.
Jacobs äußert sich skeptisch, was die disziplinäre Eigenständigkeit des kleinen Fachs betrifft. »Vielleicht wäre es erfolgversprechender, wenn sich die Buchwissenschaft um intelligente Overlay-Strukturen bemühen würde«, regt die Leipzigerin an. Ihre Vision geht in Richtung eines Querschnittbereichs, der dem Buch fächerübergreifende Aufmerksamkeit sichert – in den soziologischen, philologischen, historischen und ökonomischen Disziplinen. »Das könnte sich gerade hier in Leipzig als das chancenreichere Modell erweisen«, gibt die Museumschefin zu bedenken.
Mit mahnenden Worten wendet sich auch die Spitze des Börsenvereins an die Universität und den Freistaat Sachsen als deren Träger. In einem gemeinsamen Appell schreiben die Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und der Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff: »Dass in Leipzig, der traditionsreichsten aller deutschen Buchstädte, das Fach Buchwissenschaft still und leise abgewickelt werden soll, darf und kann nicht im Interesse des Freistaates Sachsen sein. Gegen die Interessen der Buchbranche sowie vieler am Studium der Buchwissenschaften Interessierter wäre es auf jeden Fall. Noch ist Zeit, dies zu überdenken – im Sinne der Buchkultur, die sich in Leipzig bisher nicht nur durch die Buchmesse manifestiert.«
Wir bedauern zutiefst, dass sich die Uni Leipzig nicht für den Ausbau der Buchwissenschaft einsetzt.
Thedel v. Wallmoden, Vorsitzender der Historischen Kommission
Die Historische Kommission des Börsenvereins schickt eine Botschaft ihrer beiden Vorsitzenden, der Münchner Professorin Christine Haug und des Verlegers Thedel v. Wallmoden: Die Kommission bedauere es »zutiefst, dass sich die Universität Leipzig nicht mit Entschlossenheit für den Ausbau der Buchwissenschaft einsetzt und die Professur für Buchwissenschaft nicht in der bisherigen Form weiterhin besetzt«.
Siegfried Lokatis, der zum Ende seiner Hochschullehrerzeit dem Abbruchunternehmen der Fakultät tatenlos zuschauen muss, klingt am Telefon bekümmert. Lange her, dass Leipzig ihn feierte wie einen Star am Professorenhimmel, dass man ihn neben Leuten wie Wolfgang Tiefensee, Neo Rauch oder Die Prinzen mit der berühmten »Leipziger Lerche« dekorierte, einer Auszeichnung für Menschen, die zum nationalen und internationalen Ansehen der Stadt wesentlich beigetragen haben. Heute, stellt der Historiker Lokatis nüchtern fest, sei »eine neue Generation von Medienwissenschaftlern eher buchfern aufgestellt. Was die interessiert, ist Social Media.« Was Lokatis interessierte, war Buchhandels- und Verlagsgeschichte mit den Schwerpunkten DDR und »Drittes Reich«. Mit diesen Interessen wusste er sich in Leipzig an richtiger Stelle.
Als Anfang der 1990er Jahre erste Überlegungen zur Einrichtung einer buchwissenschaftlichen Professur in Leipzig angestellt wurden, lag die Buchstadt am Boden. Die politische Wende von 1989 / 90 setzte der Sachsenmetropole wie überhaupt dem Buchhandel auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mächtig zu. In einem Aufsatz von Thomas Keiderling aus dem Jahr 2006 über »Die Etablierung der Buchwissenschaft an der Universität Leipzig« heißt es zum Niedergang: »Von den in Leipzig ansässigen Großverlagen, Großdruckereien und Buchbindereien blieben nur wenige übrig. Nach vorsichtigen Schätzungen verlor die Buchstadt rund 70 Prozent ihrer Produktionskapazitäten.« Erst langsam und unter neuen Rahmenbedingungen folgte auf die Demontage des Leipziger Buchhandels ein Neuanfang und der Wiederaufbau der für die Verlagsproduktion wichtigen Strukturen.
Heute macht Lokatis sich Gedanken, was denn nach dem absehbaren Ende der Buchwissenschaft »aus den hiesigen Verlagsarchiven werden soll«. Er habe die Befürchtung, dass man deren Erschließung »institutionell künftig nicht mehr verankern kann« – jedenfalls wohl nicht mehr an seinem Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft.
Eine neue Generation von Medienforschern ist eher buchfern aufgestellt.
Siegfried Lokatis, scheidender Professor für Buchwissenschaft in Leipzig
Auch für den Börsenverein wäre das Aus der Leipziger Buchwissenschaft ein zeithistorisch schmerzlicher Vorgang. Denn das Drängen des damaligen Vorstehers Gerhard Kurtze und einiger Mitstreiter auf eine »Erneuerung des Rufes der traditionellen Buchstadt« hatte – neben der Initiative zu einem neuen »Haus des Buches« am alten Standort des im Krieg zerstörten Buchhändlerhauses – wesentlich dazu beigetragen, dass die Landespolitik sich in die Pflicht nehmen ließ und die Vorbereitungen für die Einrichtung einer C3-Professur für Buchwissenschaft und Buchwirtschaft Fahrt aufnahmen; auch das lässt sich dank Keiderlings Recherchen gut nachlesen.
Heute würde man die Sache wohl eine Public-private-Partnership nennen: Mehr als eine halbe Million Mark an Spenden aus Buchhandelsunternehmen und von Privatpersonen der Branche flossen zwischen 1995 und 2001 als Anschubfinanzierung in den Auf- und Ausbau der neuen Professur. Universität und Börsenverein vereinbarten, dass in Forschung und Lehre sowohl buchwirtschaftliche Aspekte wie auch Forschungskooperationen mit Partnern in der Buchwirtschaft zu den Arbeitsschwerpunkten der Professur gehören sollten. Der starke Einfluss des Börsenvereins ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass seinerzeit der Zwischenbuchhändler Thomas Bez in die Berufungskommission zur Erstbesetzung der Professur gewählt wurde. Im Juli 1994 erfolgte dann die Ausschreibung.
Die 1990er Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs für die Buchwissenschaft in Deutschland; neben Leipzig und dem viel älteren Standort Mainz etablierten sich Studiengänge in München, Erlangen und Münster. Keiderling macht in seinem zitierten Beitrag darauf aufmerksam, dass an jedem dieser Standorte jeweils spezifische Einbindungen in die Fächerlandschaft bestanden.
Was damals als zukunftsweisende Interdisziplinarität gefeiert wurde, erweist sich nun auf der Schattenseite als Bedrohung fachlicher Eigenständigkeit. Wie gesagt: Kleine Fächer haben es schwer mit der Selbstverteidigung. Hinzu kommt etwas, über das Kenner des Fachs lieber leise reden: seine schwer erklärbare Neigung zur Selbstverzwergung. Sie mag zu den Leipziger Kalamitäten ebenfalls beigetragen haben.
Wer kalten Herzens nach Key-Performance-Indikatoren der Lokatis-Professur fragt, kommt um den Befund nicht umhin: Produktiv im eigenen Forschungsgebiet, aber in der Ausbildung akademischen Nachwuchses wäre Luft nach oben gewesen – eine einzige Habilitation, wenige Promotionen, und die zum Teil mit absurd hohem zeitlichem Aufwand verbunden. Das Problem einer Art reproduktiven Fahrlässigkeit des Fachs ist nicht auf Leipzig beschränkt. Zu oft in den vergangenen Jahren zogen qualifizierte Nachwuchswissenschaftler:innen die Reißleine, sobald sie merkten, dass es ihnen an einer Perspektive in Forschung und Lehre fehlte.
Erinnert sei etwa an die Juniorprofessorin Kerstin Emrich in Erlangen, die, mit summa cum laude promoviert, 2010 ihren Job im Alter von 27 Jahren antrat (damals die jüngste Juniorprofessorin in Bayern), aber knapp drei Jahre später schon der Wissenschaft den Rücken kehrte, um in die Dienste der Sparkasse Kulmbach-Kronach einzutreten. In Mainz war es David Oels, ebenfalls Juniorprofessor, dem irgendwann die realistische Aussicht auf eine Professur abhandenkam und der die Gutenbergstadt sowie überhaupt das Fach in Richtung Berlin verließ, um Lehrer an einer Privatschule zu werden. – Um nur zwei besonders bedauerliche Beispiele gut begründeter Fachflucht zu nennen. – Auch Thomas Keiderling war es nicht vergönnt, nach seiner Habilitation an eine Stelle als Hochschullehrer in der Buchwissenschaft zu gelangen. Ein Schicksal, das nun abermals droht, diesmal dem in Leipzig unterlegenen Axel Kuhn.
Die Diskussion der Frage, was es für die gesamte Buchbranche bedeutet, wenn die Ausbildung akademisch qualifizierten Nachwuchses zunehmend über technisch oder betriebswirtschaftlich ausgerichtete Studiengänge, aber künftig immer weniger über eine nah am Markt forschende und lehrende Spezialdisziplin erfolgt, steht noch aus. Bisher liegen keine Anzeichen dafür vor, dass sich jemand darum reißt, sie zu führen. Man ist mit Dringlicherem beschäftigt als mit der Zukunft
Johannes Gutenberg-Universität Mainz:
Ludwig-Maximilians-Universität München:
Westfälische Wilhelms-Universität Münster:
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:
Universität Leipzig:
Überzeugende Argumente werden nicht genannt (weil es sie auch nicht gibt), denn die Buchwissenschaft heute ist keine rückwärtsgewandte Gedenkveranstaltung für ein dem Untergang geweihtes Medium, sondern ein lebendiges, vielfältiges, die neuesten Entwicklungen der schriftorientierten Medien analysierendes, kurzum: nützliches Fach. Wie anders ließe sich das ungebrochen große Interesse junger Menschen erklären, von denen der Kollege Gerhard Lauer (JGU Mainz) zu Recht sagt: „Die Studierenden (…) möchten ein Fach studieren, das ihnen konkrete Berufsperspektiven eröffnet.“ Und das tut die Buchwissenschaft besser denn je, wie ein Blick auf die Viten ihrer Alumni verdeutlicht.
Wenn schon die Berufungskommission den Text der eigenen Ausschreibung nicht ernst nimmt und stattdessen einen (in seinem Forschungsgebiet sicher sehr gut ausgewiesenen) Kandidaten aus dem eigenen Haus vorzieht, so ist nur zu hoffen, dass wenigstens das Rektorat der Universität oder spätestens das zuständige Ministerium des Freistaats Sachsen eingreift und das würdelose Begräbnis der Buchwissenschaft in Leipzig verhindert.
Prof. i.R. Ulrich Huse
Hochschule der Medien Stuttgart
Mario Gäbler
Ehemaliger Student der Buchwissenschaften in Leipzig
Ausgebildeter Verlagskaufmann
Ehem. Assistent der GF in einem der größten Hörbuchverlage
Onlinemarketing Consultant
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