Der ehemalige Professor des Stuttgarter Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien, Ulrich Huse hält die Situationsbeschreibung in Leipzig für „ebenso treffend wie traurig“. Ausschlaggebend seien „inneruniversitäre Mechanismen, die dafür sorgen, dass eine Disziplin, die gleichermaßen traditionsreich wie zukunftsorientiert ist, in der deutschen Buchstadt Leipzig abgewickelt werden soll“. Huse vermisst überzeugende Argumente der Universität Leipzig für deren Plan. Die Buchwissenschaft sei heute „keine rückwärtsgewandte Gedenkveranstaltung für ein dem Untergang geweihtes Medium, sondern ein lebendiges, vielfältiges, die neuesten Entwicklungen der schriftorientierten Medien analysierendes, kurzum: nützliches Fach“. Das „ungebrochen große Interesse junger Menschen“ spreche eine deutliche Sprache.
Huses Appell an die Leitung der Leipziger Hochschule und den Freistaat Sachsen geht in die gleiche Richtung wie die Forderung, die der Mainzer Lehrstuhlinhaber Gerhard Lauer per Brief an die neue Rektorin in Leipzig, Eva Inés Obergfell gerichtet hat. Huse schreibt: „Wenn schon die Berufungskommission den Text der eigenen Ausschreibung nicht ernst nimmt und stattdessen einen (in seinem Forschungsgebiet sicher sehr gut ausgewiesenen) Kandidaten aus dem eigenen Haus vorzieht, so ist nur zu hoffen, dass wenigstens das Rektorat der Universität oder spätestens das zuständige Ministerium des Freistaats Sachsen eingreift und das würdelose Begräbnis der Buchwissenschaft in Leipzig verhindert.“
Auch der ehemalige Geschäftsführende Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) in Leipzig, Rüdiger Steinmetz, meldet sich zu Wort. Der Publizistikwissenschaftler Steinmetz war Mitte der 1990er Jahre gemeinsam mit dem damaligen Vorsteher des Börsenvereins, Gerhard Kurtze, maßgeblich daran beteiligt, das Leipziger Modell der Buchwissenschaft aus der Taufe zu heben. „Wir haben den Fördervertrag mit dem Börsenverein für eine Anlaufzeit geschlossen und damit die Universität gedrängt, diese Professur dann weiter zu finanzieren“, erinnert Steinmetz. Um zu schlussfolgern: „Wenn dieses Modell nun so perfide beerdigt werden soll, dann kann man nicht schweigen.“ Kann man schon: Die Universität Leipzig hat sich zu ihren Plänen mit Verweis auf das noch laufende Berufungsverfahren bisher nicht geäußert.
Bereits am Freitag vergangener Woche war die Krise, die sich in Leipzig nun zuspitzt, dem MDR-Hörfunk einen aktuellen Beitrag wert. Auch in der Stadt selbst scheint sich politischer Widerstand zu formieren, jedenfalls aber Aufmerksamkeit zu bilden. So sind, wie zu erfahren war, Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke und die Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, Stephanie Jacobs miteinander im Gespräch. Beide möchten eine institutionell verankerte Buchwissenschaft in der Sachsenmetropole erhalten – was nicht verwundert, verfolgt man doch in Leipzig die Idee, in drei Jahren aus Anlass des 200. Gründungstags des Börsenvereins die Stadt ebenso selbst- wie geschichtsbewusst als „Buchstadt“ zu feiern. Ein Fest dieser Art könnte nach abgewickelter Buchwissenschaft aber wohl nur noch mit Trauerflor begangen werden.