Lesetipp aus der "Zeit"

Verleger zum Streit um Gorman-Übersetzung

11. März 2021
Redaktion Börsenblatt

Darf Amanda Gormans Gedichtband "The Hill We Climb" nur von einer Schwarzen übersetzt werden? Nach dem Rückzug der (weißen) niederländischen Übersetzerin Marieke Lucas Rijneveld geht auch in Deutschland die Debatte weiter. Die "Zeit" hat dafür mit den Verlegern Jo Lendle (Hanser) und Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) gesprochen.

Die schwarze Aktivistin Janice Deul hatte behauptet, Rijneveld könne sich nicht in die Situation einer Schwarzen versetzen und sei daher für die Übersetzung ungeeignet. Hoffmann und Campe hat für die Übersetzung von "The Hill We Climb" ins Deutsche ein dreiköpfiges Übertragungs-Team ausgewählt, das aus der schwarzen Politologin Hadija Haruna-Oelker, der deutschtürkische Journalistin Kübra Gümüşay sowie der Literaturübersetzerin Uda Strätling besteht. Über diese Besetzung hatte sich bereits gestern der frühere Hanser-Lektor Wolfgang Matz in einem Beitrag für die "FAZ" gewundert ("Es geht vor allem um Machtpolitik"; Bezahlinhalt).

Hanser-Verleger Jo Lendle sagte der "Zeit", die Besetzung von Hoffmann und Campe leuchte ihm ein. Wer übersetze, brauche einen Bezug zum Übersetzten. Lendle warnt aber zugleich vor einer Übertreibung: "Identitätsfragen zur zwingenden Bedingung zu machen, wäre ein Missverständnis von Kunst. Wenn wir uns auf das Spiel der Übereinstimmung einlassen, kann in letzter Konsequenz nur Amanda Gorman selber sich übersetzen." Wenn Literatur ihre wesentliche Kraft abgesprochen werde – das Hineinschlüpfen ins Andere –, dann sei sie verloren. "Das wäre Verrat am Prinzip Literatur."

Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) äußert gegenüber der "Zeit" Verständnis für die Einwände gegen eine nicht-schwarze Übersetzerin. Weshalb im konkreten Fall nicht-weiße Übersetzer*innen unberücksichtigt geblieben seien, sei eine "Grundsatzfrage an die gesamte Literaturwelt". Im eigenen Verlag achte man immer darauf, dass Text und Übersetzer*in zusammenpassten. Aber so wichtig Identitätspolitik auch sei – man wolle keine identitätspolitischen Essenzialismen pflegen.