Olaf Conrad über die neue Vertriebsgesellschaft von Gräfe und Unzer

„Wir führen gute Gespräche über eine Allianz auf Augenhöhe“

20. Oktober 2023
Sabine Cronau

Kurz vor der Buchmesse kam die Nachricht, dass Gräfe und Unzer eine eigene Vertriebsgesellschaft gründet. Gut möglich, dass nach der Messe weitere News aus München folgen. Das jedenfalls lässt unser Interview mit GU-Geschäftsführer Olaf Conrad vermuten, der neue, "mittelgroße bis große" Vertriebspartner im Blick hat.

Wenn wir eine entsprechende Größe mitbringen, dann kann man gleich die Autobahn nehmen und muss nicht über hundert Kreisstraßen fahren.

Olaf Conrad, seit Oktober Geschäftsführer bei Ratgeberspezialist Gräfe und Unzer

Gräfe und Unzer hat schon bisher diverse Verlage als Vertriebspartner betreut, darunter die Kochbücher von Tre Torri und die Reiseführer von Michael Müller. Warum brauchen Sie jetzt eine eigene Vertriebsgesellschaft dafür?

Die Vertriebsgesellschaft soll den Fokus ganz konsequent auf den Markt und die Bedürfnisse der Handelspartner richten. Und sie soll die Verlagspartner an Bord alle gleichbehandeln.

Die Verlage, die wir betreuen, dürfen nicht das Gefühl haben, sich innerhalb bei Gräfe und Unzer einordnen zu müssen, sondern sollen mit uns eine Allianz auf Augenhöhe eingehen. Die Neugründung ist ein klares Zeichen, dass wir das auch ernst meinen.

Ist die Vertriebsgesellschaft auch ein Signal dafür, dass die Zeichen bei Gräfe und Unzer auf Ausbau stehen? Sollen noch weitere Verlage unter das Vertriebsdach von Gräfe und Unzer rücken?

Ja. Wir führen gerade gute Gespräche, die wir jetzt noch weiter ausrollen. Die Frankfurter Buchmesse ist der ideale Zeitpunkt, um darüber zu reden. Denn alle Verlage, ob groß oder klein, stehen im Moment vor der Frage, wie sie ihren Vertrieb besser und anders aufstellen können.

Schon jetzt sind sehr namhafte und erfolgreiche Unternehmen vertrieblich bei uns angedockt. Nun suchen wir nach weiteren Häusern, die mit uns in diese neue Form der Marktgestaltung gehen.

Unser Fokus liegt auf mittelgroßen und großen Unternehmen, die sich vertrieblich jetzt noch besser aufstellen wollen.

Olaf Conrad

Also ein Aufruf an die verbliebenen Independents im Ratgebersegment?

Unser Fokus liegt eher auf mittelgroßen und großen Unternehmen, die eine ähnliche Analyse des Markts vorgenommen haben wie wir – und die sich vertrieblich jetzt noch besser aufstellen wollen, etwa bei Datenanalyse und Market Intelligence.

Unsere Handelskunden arbeiten hochprofessionell, wir Verlage müssen heute ein wertvoller Gesprächspartner für sie sein, vom Verkäufer zum Wertschöpfungspartner werden und strategisch sowie analytisch arbeiten. Da ist eine Verlagsallianz am Ende einfach stärker – auch wenn Gräfe und Unzer heute schon eine gewisse Marktgröße mitbringt.

Mit Amazon und Thalia wächst das Gewicht auf Handelsseite. Müssen folglich auch die Verlage mehr Gewicht in die Waagschale werfen, um die Balance zu halten?

Gewicht ist das eine, aber Kompetenz das andere. Erst einmal geht es uns um die Kompetenz. Die Größe spielt für uns eher eine Rolle auf Prozessebene – also bei Verlagsauslieferung, Logistik, Abrechnungsthemen.

Da ist es für die Handelspartner einfach wertvoll, wenn wir eine entsprechende Größe mitbringen und die Marktbearbeitung, die immer filigraner wird, ein Stück weit systematisieren. Dann kann man nämlich gleich die Autobahn nehmen und muss nicht über hundert Kreisstraßen fahren.

Wo wird die neue Vertriebsgesellschaft ihren Sitz haben?

In München, bei Gräfe und Unzer in der Grillparzerstraße 12.

Entstanden sind die Pläne für eine eigene Vertriebsgesellschaft schon vor meinem Einstieg bei Gräfe und Unzer, aber jetzt geht es in die konkrete Umsetzungsphase.

Olaf Conrad

Joachim Rau ist noch bis zum Frühjahr 2024 Vertriebsgeschäftsführer bei Gräfe und Unzer – und wird den Verlag dann verlassen. Führt er die neue Vertriebsgesellschaft? Und wenn nicht er, wer dann?

Entstanden sind die Pläne für eine eigene Vertriebsgesellschaft schon vor meinem Einstieg bei Gräfe und Unzer, aber jetzt geht es in die konkrete Planungsphase. Joachim Rau ist in der Tat nach wie vor Geschäftsführer Vertrieb bei Gräfe und Unzer. Er wird das Projekt bis zum Frühsommer betreuen und begleiten. Es bleibt aber dabei, dass er den Verlag dann verlässt – das ist sein Wunsch.  

Ich bin gerade in Gesprächen, wie wir die Geschäftsführerposition der neuen, hundertprozentigen Gräfe und Unzer-Tochter besetzen. Die formalrechtliche Gründung ist in Deutschland immer ein etwas aufwendigerer Prozess und wird sich wohl bis Anfang 2024 hinziehen. Inhaltlich treiben wir das Projekt natürlich schon jetzt voran.

Geht es auch darum, die Nebenmärkte intensiver zu bestellen – in denen Gräfe und Unzer ja jetzt schon sehr aktiv ist?

Es geht uns um die gesamte Breite des Marktes, vom E-Commerce bis zum Lebensmitteleinzelhandel. Aber insbesondere geht es uns um den Buchhandel, die Genossenschaften, die Barsortimente, für die wir ein noch besserer Partner sein wollen.

Die drei Warengruppen Ratgeber, Reise und Sachbuch, in denen wir aktiv sind, wollen wir noch viel besser verstehen.

Olaf Conrad

Ist Ihr Vertriebsteam groß genug für die Ziele – oder wird es erweitert?

Von der Manpower her sind wir ausreichend aufgestellt, ob E-Commerce-Team oder Außendienst. Jetzt geht es vor allem darum, in der Datenanalyse voranzukommen.

Die drei Warengruppen Ratgeber, Reise und Sachbuch, in denen wir aktiv sind, wollen wir noch viel besser verstehen – um dann die besten Vorschläge für eine hohe Marktausschöpfung machen zu können. Das ist der Punkt, an dem wir gemeinsam mit Partnerverlagen ansetzen wollen.

Wird die Vertriebsgesellschaft auch Aufgaben für die Schwesterverlage der Ganske-Gruppe übernehmen – oder schließt sich das durch die Konzentration auf diese drei Warengruppen aus?

Wir fokussieren uns auf unsere Kernsegmente, denn da liegt ja auch unser Knowhow. Wenn die Kolleginnen und Kollegen der Ganske-Gruppe das Gefühl haben, dass sie bei uns gut aufgehoben sind, dann sind sie natürlich herzlich eingeladen – aber wir denken hier vor allem extern, nicht intern.

Wird die neue Tochter auch inhaltlich und strategisch für die Verlagspartner aktiv werden?

Nein, zentrale Aufgabe ist der Vertrieb. Die Programmgestaltung oder auch das titelorientierte Marketing liegt auch künftig bei den Partnerverlagen. Damit würde sich eine Vertriebsgesellschaft verheben. Sie soll die Märkte im Blick haben – auch wenn sie die Verlage natürlich zu Marktveränderungen beraten und ihr Wissen teilen wird.

Die Vertriebsgesellschaft soll mit den Partnern aus Handel und Verlagen ein Stück weit Gattungsmarketing betreiben und Potenziale aufzeigen. Auch hier bietet eine Verbundlösung viele Vorteile.

Olaf Conrad

Wollen Sie auch neue, andere Kanäle für Ratgeber erschließen?

Danach sucht natürlich jeder. Ich hoffe aber vor allem, dass aus dem Buchhandel Ideen kommen, wie wir gemeinsame Projekt umsetzen und die Wahrnehmung des Ratgebermarktes stärken können. Ratgeber sind durch ihre verschiedenen Themenfelder das ganze Jahr über eine tragende, verlässliche Umsatzsäule.

Nehmen Sie allein die Monate Januar und Februar: Da sorgen Titel rund um gesunde Ernährung und gute Vorsätze verlässlich für eine Art zweites kleines Weihnachtsgeschäft.

Die Vertriebsgesellschaft soll mit den Partnern aus Handel und Verlagen ein Stück weit Gattungsmarketing betreiben und Potenziale aufzeigen. Auch hier bietet eine Verbundlösung viele Vorteile.

Sie haben bei Gräfe und Unzer die Verantwortung für Programm und Marketing übernommen, in der Nachfolge von Ulrich Ehrlenspiel. Was würden Sie gern verändern?

Ich bringe den Blick von außen mit – aber nach 15 Tagen ist es noch viel zu früh, um mich dazu zu äußern. Auf jeden Fall stoße ich in einer sehr spannenden Phase zu Gräfe und Unzer. Im Moment ist viel Aufbruchstimmung im Verlag, auch durch die Gründung der neuen Vertriebsgesellschaft.

Ich glaube an den Ratgebermarkt. Am Ende des Tages gehen die Menschen eben doch in den Buchhandel und kaufen sich ein Buch. Das belegen die starken Longseller in den Charts.

Olaf Conrad

Dem Ratgebermarkt allerdings würde man im Moment etwas mehr Aufbruchstimmung wünschen. Zwar gibt es 2023 leichte Zuwächse im Vergleich zum Vorjahr – aber vor allem dank höherer Preise…

Umso mehr ist man gefordert, beim Vertrieb wie beim Programm. Wir brauchen die richtigen Themen, die richtigen Autorinnen und Autoren, die richtige Optik – und müssen Leserinnen und Leser in Sekundenschnelle von unseren Produkten überzeugen. Es gibt Segmente, die entwickeln sich toll, zum Beispiel Lebenshilfe oder unser Spiritualitätslabel Unum. Andere leiden unter der Rückwärtsbewegung nach dem Boom der Pandemiejahre. Aber: Ich glaube an den Ratgebermarkt.

Trotz fortschreitender Digitalisierung?

Ja, denn am Ende des Tages gehen die Menschen eben doch in den Buchhandel und kaufen sich ein Buch. Das zeigen nicht zuletzt die starken Longseller im Ratgebersegment. Wir haben Bücher aus den Jahren 2014, 2017 oder 2018 in den Charts.

Das belegt, dass Ratgeber keine Seifenblasen sind, die kurz aufsteigen und dann zerplatzen. Sie bieten den Menschen einen Mehrwert und werden weiterempfohlen. Davon leben sie – und wir.

Für Thalia ist das Buch mit Verona Pooth ein Versuchsballon. Deshalb sehe ich es eher als Teil einer gemeinsamen Lernkurve.

Olaf Conrad

Konkurrenz kommt jetzt nicht nur aus anderen Verlagen oder aus dem Selfpublishing, sondern auch von Thalia: Der Filialist verlegt einen Promi-Ratgeber mit Verona Pooth. Beobachten Sie das mit Sorge?

Nein, Thalia ist ein guter Partner und macht mir nun wirklich keine Sorgen. Ich beobachte das Projekt, weil ich es interessant finde. Für Thalia ist das Buch mit Verona Pooth ein Versuchsballon. Deshalb sehe ich es eher als Teil einer gemeinsamen Lernkurve.

Generell gilt: Alles, was dabei hilft, dass mehr Menschen in den Buchhandel kommen, ist erst einmal eine gute Nachricht.