Frankfurter Buchmesse

Systemcheck

22. Oktober 2024
Nils Kahlefendt

Same procedure as every year: Lohnen sich Energie, Zeit und Geld, die in den physischen Messe-Auftritt investiert werden? Und was hat Frankfurt gebracht, an Erfahrungen – und unerwarteten Entdeckungen? Unsere Buchmesse-Umfrage, Teil 3.

Am Hirmer Stand: Kerstin Ludolph und Rainer Arnold

Fest fürs Buch

Ein wandhohes Poster der Performance-Künstlerin Marina Abramović saugt den Flaneur in den Stand des Hirmer Verlags, vor dem schwarzen Hintergrund strahlen die Kunstbuch-Preziosen besonders hell. Für Kerstin Ludolph, die erst im Februar das Ruder vom langjährigen Verleger Thomas Zuhr übernommen hat, ist diese Messe kein business as usual: "Nur in Frankfurt am Main kommt unsere gesamte Jahresproduktion komplett zur Geltung." Als "Gradmesser für Markt-Entwicklungen" und zur "Verortung der eigenen Arbeit" sei die Messe schlicht unverzichtbar. Ein weiterer Grund, dabei zu ein, ist der rege Austausch mit internationalen Verlagspartnern und Museumskollegen. "Wir erweitern den Kreis unserer Kontakte", ergänzt Rainer Arnold, der sich bei Hirmer um Rechte und Projektmanagement kümmert. Schon lange ist das Kunstbuch sehr eng ans Ausstellungsgeschäft gekoppelt: Wer etwa, wie Hirmer, den Katalog zur ersten Lyonel-Feininger-Ausstellung in Deutschland seit 25 Jahren in der Frankfurter Schirn im Programm hat, reüssiert mit dem gesamten Programm leichter. Auch der Preis der Stiftung Buchkunst für "Holy Smoke" hilft nicht nur für das (im deutschen Markt bereits ausverkaufte) Buch selbst, sondern bugsiert den 76 Jahre alten Qualitätsverlag in Gänze in die Aufmerksamkeits-Zone.

Rainer Arnold lässt sich auf der Buchmesse auch kreativ anregen: Dieses raue Papier aus Apfelresten ("ein tolles Naturprodukt!"), das er einst in Frankfurt entdeckt hat, gibt es inzwischen auch bei Hirmer. Regelrecht "geflasht" sind Arnold und Ludolph von den just-in-time-Lieferungen eigener Bücher. Von der Druckerei an den Stand, mit quietschenden Reifen, der Drucker packt persönlich aus: So geschehen mit Anne Duk Hee Jordans "The End is where we start from", einer Klappenbroschur mit spannenden neuen Materialien und aufwändiger Stanzung im Einband. Spätestens in diesem Moment ist die Messe, ganz buchstäblich, ein "Fest fürs Buch".

Frank Liebsch (links) und Alexander Schulz am Gmeiner-Stand

Emotionaler Faktor

Auch vom Stand des Gmeiner Verlags kann man die Veränderungen im Hallen-Layout gut beobachten: So reckt sich statt HoCa, dem jahrelangen Vis-a-vis der Meßkircher, ein großer Thalia-Stand Richtung Hallendecke. An der Stand-Architektur hat Gmeiner seit rund fünf Jahren nicht geschraubt, dennoch ist man in diesem Jahr etwas größer eingestiegen, um mehr Sichtbarkeit herzustellen. "Wir haben mehr und aufwändigere Veranstaltungen", skizziert der stellvertretende Vertriebs- und Marketingleiter Alexander Schulz. "Das bedeutet mehr Planung, Technik, Catering – mehr von allem, was offenbar dazugehört, um nicht im Messetrubel unterzugehen." Zum Ende der Fachbesuchertage bilanziert Frank Liebsch, kaufmännischer Leiter bei Gmeiner, mehr Termine als 2023. "Weggefallen auf Grund der Insolvenz sind unsere Weltbild-Termine, das hat schon geschmerzt. Wir konnten das aber durch andere Gespräche auffangen."

Liebsch bestätigt, dass der Buchverkauf an den Publikumstagen mittlerweile sehr gut läuft. "Allerdings kann der Erlös nicht mit den galoppierenden Messepreisen Schritt halten. Messebauer, Standfläche, Unterbringung und Reisekosten – alles wird von Jahr zu Jahr teurer." Wie lang kann, wie lang will man da mitgehen? Die beiden Gmeiner-Manager lassen durchblicken, dass das – wie wohl in vielen Häusern – eine "hoch emotionale Entscheidung" ist. An vielen Stellen wird gestrichen, die Messe scheint sakrosankt. "Für Abschlüsse", meint Frank Liebsch und lächelt, "gibt es, Gott sei Dank, auch die 360 messefreien Tage im Jahr. Wenn wir da keine Geschäfte machen würden, hätten wir eh’ ein Problem."

Am Rande der Agora der Frankfurter Buchmesse: Annette Köhn vom JaJa Verlag

Mehr Kümmerzeit für Bücher

Eigentlich fährt Annette Köhn, Verlegerin des seit 13 Jahren existierenden Berliner Ein-Frau-Unternehmens JaJa im Oktober immer zum Frankfurter COZI-Festival, das, parallel zur Buchmesse, rund um Comics und Zines organisiert wird. 2024 fiel das Fest aus, doch Köhn hatte bereits ein Hotel für Frankfurt am Main gebucht, um am Messe-Mittwoch ihren Deutschen Verlagspreis abzuholen. "Die 18.000 Euro bezahlen gerade meine Schulden." Köhn rechnet: "Was würde es kosten, wenn ich ein Tischchen am Illustrators Corner mieten würde? Ich bin auf rund 2.000 Euro brutto gekommen – das ist für mich schon ein Buch!" Köhn verzichtete also, und nahm stattdessen am Messefreitag an einem Panel zum Comic-Markt teil.

Am Donnerstag blieb sie außerhalb des Messegeländes, fütterte ihre Social-Media-Accounts, traf Freunde und besuchte die Ausstellung ihrer Autorin Paulina Stulin im Caricatura Museum. Mit Paulinas 1,6 Kilo schwerem Ausnahme-Comic "Bei mir zuhause" begann im Corona-Jahr 2020 der Erfolg des JaJa Verlags – damals musste Köhn erstmals Steuern zahlen. Der Rausch des Machens war verführerisch, Annette Köhn veröffentlichte um die 20 "fein illustrierte Machwerke" pro Jahr, mehr als die Hälfte Abschlussarbeiten aus den einschlägigen Kunsthochschulen. 2023 zog die Verlegerin die Reißleine: "Systemcheck: Wie läuft Comic im System Kapitalismus?" Sabbatjahr, Weltreise, radikaler Cut: Seit 2024 erscheinen nur noch sechs Titel pro Jahr. Und siehe: "Das tut den Büchern gut. Ich habe viel mehr Kümmerzeit für die einzelnen Titel." Aktuell steht JaJa noch auf der Shortlist des Berliner Verlagspreises – die Entscheidung fällt am 3. November im Deutschen Theater der Hauptstadt.