Frankfurter Buchmesse

Sichtbares Portfolio wichtiger als Erlöse

21. Oktober 2024
Nils Kahlefendt

Same procedure as every year: Lohnen sich Energie, Zeit und Geld, die in den physischen Messe-Auftritt investiert werden? Und was hat Frankfurt gebracht, an Erfahrungen – und unerwarteten Entdeckungen? Unsere Buchmesse-Umfrage, Teil 2.

Verlegerin Bärbel Dorweiler am Thienemann-Stand

"Für Begegnungen ist die Buchmesse Gold wert"

Hoch hinaus wollten sie 2016 bei Thienemann-Esslinger, als der neue Frankfurter Messestand konzipiert wurde. Auffallen wollte man, eine frische Ausstrahlung, Räume, die Platz für konzentrierte Gespräche bieten und dennoch mit Transparenz punkten sollten. Designatics (Köln), eine Designagentur für crossmediale Gestaltung, hat damals den Pitch gewonnen. Und den Stand genau so gestaltet, mit Leitern, die unendlich hoch ragen. Das alles ist jetzt, Herbst 2024, eine gefühlte Ewigkeit her – vielleicht schaut man deshalb so gespannt rüber zu den Kollegen von Carlsen, die das Gefühl des "Alles neu!" gerade zelebrieren, weil der alte Messestand seine Schuldigkeit getan hatte und kaum mehr aufbaubar gewesen wäre. Die Möbel bei Thienemann sind noch die alten, nur die Hausfarbe hat sich, dank modifizierter CI, geändert. Schick sieht es immer noch aus, und Verlegerin Bärbel Dorweiler erinnert sich gut ans Premierenjahr: "Der ungeplante Effekt damals war eine Wirkung nach innen: Das sind ja wir! So empfanden es damals viele mit einem gewissen Stolz. Dieser Stand ist schließlich nicht nur unser nach Frankfurt verlegtes Wohnzimmer, wo wir Händler oder Lizenznehmer treffen. Das ist schon echt auch eine Visitenkarte."

Die Stuttgarter lassen sich ihren Messeauftritt etwas kosten; inklusive der Reise- und Übernachtungskosten für Mitarbeitende und lesende Autor:innen geht es um mehr als 100.000 Euro. Kein Pappenstiel, und Dorweiler weiß auch, dass die Verkäufe am Publikumswochenende zwar "substanziell" sind, die Messe-Kosten aber nicht ansatzweise einfangen. Warum betreibt man also auch in Zeiten der Verlustmeldungen und des Leserschwunds den Aufwand? "Wir alle haben in den Zeiten der Pandemie gesehen, was uns gefehlt hat. Im B2B-Geschäft, das auf langjährigen Beziehungen fußt, kann man digital eine Menge abbilden. Fürs Neukundengeschäft gilt das nicht. Und schon gar nicht für die Begegnungen mit dem Publikum, mit Bloggern, Bibliothekaren und Lehrern. Dafür ist die Buchmesse Gold wert!"

Sonja Maimer am MairDumont-Stand

Nach der Messe ist vor der Messe

Bei MairDumont kümmert sich Sonja Maimer seit fast einem Vierteljahrhundert um die Planung des Messestands. Es gilt: Nach der Messe ist vor der Messe, die Hotels sollten möglichst ein Jahr im Voraus gebucht sein. Für manches ist dann noch etwas länger Zeit, etwa: "Welche Produkte nehmen wir mit? Wer ist fürs Catering verantwortlich? Wer ist wann wo auf der Messe?" Als markanteste Veränderung beschreibt die Marketing-Projektmanagerin die gewandelten Größenverhältnisse: "Als ich in die Frankfurt-Planung eingestiegen bin, wurden hier noch in großem Umfang Geschäfte abgewickelt. Doch die Zeit der Ordermessen ist lange vorbei. Früher waren wirklich alle Verlagsbereiche vertreten, inzwischen hat sich das stark konzentriert und es finden hier nur noch die großen Gespräche statt." Das konzentriert sich vornehmlich auf Mittwoch und Donnerstag, an diesen Tagen läuft die Messe-Mannschaft des Hauses in voller Stärke auf. Die Tische des 88-Quadratmeter-Stands sind im Halbstundentakt dauerbesetzt; Vertrieb, Export, Redakteure, Lektoren, potenzielle Lizenznehmer, Druckerei-Vertreter oder die Einkäufer der großen Ketten geben sich die virtuelle Klinke in die Hand.

Eine Konstante in all den Jahren ist der Umstand, dass die Ware schlussendlich verkauft wird. "Es freut uns, dass die Kunden die ganze Bandbreite unseres Portfolios endlich einmal in geballter Form zu sehen bekommen. Das ist uns wichtiger als die Erlöse." Bei MairDumont kümmert sich eine Buchhandlung um das Handling des Verkaufs. Und das ist gut so, findet Sonja Maimer: "Wir sind kein Direktverkäufer. Der Buchhandel soll seinen Teil vom Kuchen bekommen."

Verlegerin Susanne Schüssler am Wagenbach-Stand

Italia, dove vai?

Das Ehrengastland Italien führte für Verlegerin Susanne Schüssler und das Team des Wagenbach Verlags zu einer Vorbereitungszeit von annähernd drei Jahren – schließlich will man sich manche Bücher-Schätze für den Messe-Schwerpunkt aufsparen. Programmatisch zieht sich Italien also durchs ganze Jahr, ein eigens für den Buchhandel produzierter Reader weist den Weg. "Los ging es im Frühjahr mit einer fast 800 Seiten starken Neuübersetzung von Elsa Morantes 'La Storia', denn wir wollen natürlich auch die modernen Klassiker lieferbar halten. Jetzt im Herbst haben wir mit starken Büchern jüngerer Autorinnen nachgelegt, so etwa mit Giulia Caminitos 'Das große A'." Der Stand in Halle 3 war nicht größer als sonst, allerdings gab es zusammen mit dem in Wien und Bozen ansässigen Folio Verlag, der sich ebenfalls seit langem um Literatur aus Italien bemüht, ein großes Fest in der Frankfurter Romanfabrik, Motto: Italia, dove vai? (Italien, wie weiter?). Von Wagenbach kamen neben Giulia Caminito auch Francesca Melandri und Mario Desiati; erst wurde diskutiert, dann zertanzte man sich bis 2 Uhr morgens die Schuhe.

Ein wenig von dem Geist, der in der Romanfabrik herrschte, hätte sich Schüssler für die Eröffnung am Dienstag gewünscht. "Goethe und die Zitronen mussten wieder herhalten. Dabei sind die 'verspäteten Nationen' Deutschland und Italien nicht nur wichtige Handelspartner, wir müssen den dringend notwendigen Austausch auch in die junge Generation tragen!" Heiß diskutierte Themen wie das Problem des Klassismus oder der Umgang mit der Vergangenheit als Kolonialmacht finde man eher bei jungen Autorinnen wie Caminito.

Der Buchverkauf am Stand hilft ein wenig, die seit Jahren steigenden Messekosten zu deckeln. Wichtiger ist es für Schüssler, ihre wilden Leserinnen gleich beim Erst-Impuls mit den Objekten der Begierde versorgen zu können. "Keine noch so tolle Buchhandlung kann das ganze italienische Wagenbach-Programm vorhalten.“ Sonst bleiben im Herbst 2024 keine Wünsche offen: "Wir schweben fünf Zentimeter über dem Boden. Verlagsjubiläum, Italien-Schwerpunkt und im Frühjahr Kafka – das macht sich auch wirtschaftlich bemerkbar." Ab Montag bleibt der Schreibtisch der Verlegerin in der Emser Straße eine Woche leer: Susanne Schüssler fliegt mit ihrer Tochter nach Palermo, in den Nachsommer.