Young und New Adult

Keine Romantisierung sexualisierter Gewalt

20. Februar 2025
Nicola Bardola

Wie "spicy" dürfen Romance-Titel für welche Zielgruppen sein? Und wie prüfen die Lektorate? Antworten von Kathrin Becker, Editorial Director Young Adult & New Adult bei Oetinger, und Julia Kniep, stellvertretende Programmleiterin Jugendbuch & junge Belletristik bei dtv.

Chili-Skala: Blick in den Pop-up-Store von dtv, Leaf und Bücherbüchse in München.

Wie werden idealerweise erotische Anteile in Liebesromanen definiert?

Julia Kniep: Bei dtv arbeiten wir sehr bewusst mit den Altersangaben "ab 12", "ab 14", "ab 16" im Jugendbuch und diskutieren bei den Grenzgängern sehr genau, mit welcher Warengruppe wir einen Titel klassifizieren. Dabei achten wir auch sehr darauf, in welchem Kontext diese Themen behandelt werden, beziehungsweise dass Spice nicht nur als Selbstzweck vorkommt. Auf eine Level-Klassifizierung verzichten wir derzeit bewusst, da uns diese noch sehr arbiträr erscheinen und diese auch auf eine gewisse weise wertend verstanden werden können. Die Einordnung, Selbstbestimmung, aber auch Selbstregulierung gerade in den ansteigenden Alterssegmenten möchten wir den (heranwachsenden) Leserinnen in einem altersgemäß gesetzten Rahmen eigenverantwortlich zusprechen.

Kathrin Becker: Wir veröffentlichen New-Adult-Titel in einem eigenen Label (Moon Notes) und senden schon dadurch ein deutliches Signal, dass sich diese Bücher nicht an jüngere Jugendliche, sondern an eine ältere Zielgruppe richten: Alle Moon-Notes-Titel werden über die Metadaten als "ab 16 Jahren" und über die Warengruppe in der Belletristik – bzw. zukünftig als New Adult – einsortiert. In der Moon-Notes-Vorschau für das Frühjahr-25-Programm ist erstmals eine Chilischoten-Skala enthalten (1-5), die das Spice Level für jeden Titel definiert.

Julia Kniep

Julia Kniep

Die Einordnung, Selbstbestimmung, aber auch Selbstregulierung gerade in den ansteigenden Alterssegmenten möchten wir den (heranwachsenden) Leserinnen in einem altersgemäß gesetzten Rahmen eigenverantwortlich zusprechen.

Julia Kniep, dtv

Wo werden diese Anteile definiert – im Lektorat, im Vertrieb, im Marketing? Gibt es vorab "Sensitivity Reader", die die Inhalte entsprechend prüfen?

Kathrin Becker: Das Spice Level wird im Lektorat und in Abstimmung mit den Autor:innen definiert. Unsere Lektor:innen sind sensibilisiert für möglicherweise problematische Inhalte. Jeder Text wird bei uns sehr sorgfältig lektoriert. Lediglich in Einzelfällen haben wir bislang auf Wunsch von Autor:innen mit externen Sensitivity Readern zusammengearbeitet. Dabei ging es aber seltener um Sexszenen, sondern um Themen wie Rassismus, Homophobie oder Mental Health.

Julia Kniep: Der Vorschlag für die Alterszuschreibung und gegebenenfalls auch Trope-Zuordnung kommt aus dem Programm, wo wir uns diesbezüglich auch untereinander beraten. Allgemein wird auf die Expertise aus dem Lektorat vertraut. Sollte es mal zu abweichenden Leseeindrücken aus den anderen Abteilungen kommen, wird dies natürlich abgestimmt. Die Prüfung auf diese Aspekte erfolgt beim Einkauf der Titel, Sensitivitätslesende setzen wir bei Bedarf in anderen Bereichen wie zum Beispiel zu Themen von Inklusivität und Diversität ein.

Wie wird danach der Grad an "Spicyness" an die Zielgruppen, an die Eltern, an die Erzieher:innen, an die Buchhändler:innen transportiert?

Julia Kniep: Wir verwenden hier einerseits die Altersangaben als erste grobe Einordnung, geben dem einzelnen Titel für den Handel aber auch Inhaltstexte und Stichworte zu enthaltenen Tropes und Themen über die Metadaten mit. Ebenso werden bei Bedarf im Buch selbst Hinweise oder Anmerkungen der Autor:innen abgedruckt. Gerade letztere beziehen sich jedoch eher auf potenziell belastende Themen und nicht explizit auf sexuelle Inhalte. Für uns gehören die Erkundung und (erste) Erfahrungen mit Sexualität zum Heranwachsen dazu und werden in den Büchern dem Lesealter entsprechend angemessen behandelt, Stichwort Eigenverantwortlichkeit der Lesenden.

Wann und wie wird auf potenziell triggernde Inhalte hingewiesen?

Kathrin Becker: Wenn ein Titel Themen enthält, die potienziell triggernd sind, nehmen wir eine Triggerwarnung ins Buch auf. Aber die Tatsache, dass ein New-Adult-Titel ab 16 Jahren explizite Sexszenen enthält, ist für uns kein Grund, eine Triggerwarnung auszusprechen. Sex, der im beiderseitigen Einvernehmen stattfindet, ist in unseren Augen nichts Verwerfliches: Wir feiern Sex Positivity. Anders sieht es bei toxischen Beziehungen und sexualisierter Gewalt aus.

Julia Kniep: Wir weisen auf potenziell belastende Themen wie beispielsweise sexualisierte Gewalt oder Selbstverletzung in den Büchern für Jugendliche und junge Erwachsene hin. Hierzu verweisen wir über dem Impressum gegebenenfalls auf die Seite am Anfang oder Ende des Textes, wo wir entweder Anmerkungen / Hinweise von Autorin oder Autor einfügen, wenn dies von den Urhebenden mitgegeben wird, oder zum Beispiel Referenzen, Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Hilfe- und Anlaufstellen abbilden.

Kathrin Becker

Kathrin Becker

Bei Moon Notes ist es uns sehr wichtig, toxische Beziehungen und sexualisierte Gewalt nicht als etwas Romantisches darzustellen.

Kathrin Becker, Oetinger

Der Literaturkritiker Volker Weidermann spricht angesichts des beliebten Romans „Icebreaker“ von bonbonfarben verpacktem brutalem Frauenunterwerfungssex.

Julia Kniep: Wir wählen für unser Programm die Titel sehr genau und kritisch aus, sodass wir im Handel und auch bei den Leser:innen für ein bestimmtes Umfeld stehen und solche Inhalte bei uns tendenziell eher nicht im Erwartungshorizont liegen. Inhaltlich achten wir im Lektorat darauf, dass es sich innerhalb eines gewissen Rahmens und unserem Qualitätsanspruch genügend bewegt. Für uns sollten gerade sexuelle Inhalte nicht als Mittel zum Zweck oder inhaltlich unbegründet in der Handlung vorkommen, sondern diese, je nach Alterszuschreibung angepasst explizit dargestellt, unterstützen. Dabei sind wir uns einig, dass Consent eine unbedingt notwendige Maßgabe ist, sofern ein Mangel daran nicht thematisch im Buch aufgearbeitet wird. Dasselbe gilt auch für andere potenziell belastende Inhalte. In der grafischen Gestaltung sehen wir natürlich auch die Tendenz, dass zum Teil als heftig erachtete Inhalte in vergleichsweise harmlos anmutender Optik – wenn auch im passenden Umfeld – präsentiert werden. Hier wird die Entwicklung zeigen müssen, ob die Lesenden und/oder der Handel in Zukunft weitere Signale zum Inhalt als notwendig oder sinnvoll erachten.

Kathrin Becker: Bei Moon Notes ist es uns sehr wichtig, toxische Beziehungen und sexualisierte Gewalt nicht als etwas Romantisches darzustellen. Sexszenen in unseren Büchern stellen die Beteiligten als gleichberechtigt und auf Augenhöhe dar. Wir finden es wichtig, zwei Dinge zu unterscheiden: einerseits, wie sexy, knisternd und explizit eine Szene ist, und andererseits, ob es sich um einvernehmlichen Sex handelt oder ob sexualisierte Gewalt romantisiert wird. Den ersten Punkt stellen wir mit unserer Chilischoten-Skala dar. Den zweiten Punkt können wir prinzipiell für das Moon-Notes-Programm beantworten: In unseren Büchern wird sexualisierte Gewalt nicht romantisiert.