Frankfurter Buchmesse

Flagge zeigen!

21. Oktober 2024
Nils Kahlefendt

Same procedure as every year: Lohnen sich Energie, Zeit und Geld, die in den physischen Messe-Auftritt investiert werden? Und was hat Frankfurt gebracht, an Erfahrungen – und unerwarteten Entdeckungen? Unsere Buchmesse-Umfrage, Teil 1.

Buchmesse-Afficionados: Patricia Haupt (rechts) mit ihren zum Wochenende angereisten Eltern. Vater Matthias ist Verwaltungsrat und Lektor bei Haupt

Die eigenen vier Wände

Der Schwabe Verlag (Basel/Berlin), 1488 gegründet – also recht bald, nachdem Johannes Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hat – gilt als ältester noch existierender Verlag der Welt, älter als Oxford University Press. Auf der Frankfurter Buchmesse war er also gefühlt schon immer – und auch, wenn Susanne Franzkeit, nach 13 Jahren bei Vandenhoek & Ruprecht, erst seit 2016 am Steuerrad steht, ist es spannend, mit der Schwabe-Verlagsleiterin über die Veränderungen in den Hallen zu sprechen: Für die Verlagsmanagerin ist es insgesamt die 33. Frankfurter Buchmesse. "Wir waren immer in der Nachbarschaft von C.H. Beck, Klett-Cotta. In der Pandemie sind wir bewusst mit einem schönen Eckstand auf die Messe gegangen; wir wollten Flagge zeigen und haben sogar unsere Möbel umgebaut. Seit 2023 mussten wir uns wieder mit einem Frontalpräsentations-Stand einreihen, sind aber eigentlich mit der Umgebung zufrieden."

Susanne Franzkeit vor dem Schwabe-Messestand

Franzkeit überlegt jedes Jahr neu, wo man seine Zelte aufschlägt. Und ob es überhaupt eines eigenen Standes bedarf. Der schlägt, alles in allem, mit rund 25.000 Euro zu Buche. "Die Branche wandelt sich, seit Jahren kommen kaum noch Buchhändler. Die Dienstleister, die uns besuchen, würden uns wohl auch an einem Gemeinschaftsstand finden." Aber: "Wir wollen uns, unsere Identität, ja auch zeigen! Und eigentlich fühlen wir uns ziemlich wohl in unseren vier Wänden." Die Stimmungslage wechselt bei Franzkeit manchmal von Tag zu Tag: "Am Mittwoch war es zu ruhig, da dachte ich: So bringt das nichts. Heute fühlt es sich schon wieder lebendig und schön an." Franzkeit dockt mit Schwabe bewusst in Halle 3.1 an – und nicht in 4.0, was angesichts des digitalen Geschäfts von Datenbanken bis E-Books auch Sinn machen würde. Aber wer quasi mit Gutenberg das Licht der Welt erblickt hat, glaubt per definitionem an die Zukunft des gedruckten Buchs. Franzkeit zieht den Schuh-Vergleich: "Es gibt welche vom Discounter – und zwiegenähte Reiterschuhe aus Wien. Beides besteht nebeneinander." Während das akademische Brot-und-Butter-Geschäft für die Bibliotheken relativ standardisiert läuft, erlauben sie sich bei Schwabe an den Rändern auch Ausfallschritte ins allgemeine Sortiment. Das sind dann Überraschungen wie das aufwändig produzierte "Kulturtechnik Kochen", entstanden als Teamwork zwischen einem Kulturhistoriker, einer Köchin und einem Fotografen. So etwas zeigt man doch lieber im eigenen Wohnzimmer her

Silvia Maul im forum independent

Family Affairs

Seit 2007 bündelt das forum independent das Buchhandelsmarketing von Sach- und Fachbuchverlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Derzeit gehören der Vertriebskooperation, die von neun festangestellten Mitarbeiterinnen betrieben wird, 14 Verlage an, ein 15. steht schon in den Startlöchern. Das Spektrum reicht von kleineren Indies bis zu Häusern wie Reise Know-How (Bielefeld) oder den stolzen Marken Reclam (Ditzingen) und Residenz (Salzburg). Sechs der 14 Verlage sind in diesem Jahr am Gemeinschaftsstand des forum independent in Halle 3.1 vertreten. "Viele kleinere und mittlere Verlage wissen den Synergie-Effekt so einer Gemeinschaft zu schätzen", sagt Forum-Geschäftsführerin Silvia Maul. "Auch auf der Buchmesse." Das sei zum einen eine ökonomische Frage: Ein gemeinsamer Stand mit festem Personal, das vom Auf- bis Abbau vor Ort ist, kommt günstiger.

Ein Schnäppchen ist dieser individuell gezimmerte Stand nicht – mit Umlagen fürs Personal hat Maul schlussendlich rund 100.000 Euro auf der Rechnung. Allerdings haben die Verlage auch den Wunsch, gegenüber den (allen Unkenrufen zum Trotz immer noch anreisenden) Buchhandelskunden eine gemeinsame, starke Botschaft auszusenden: "Ein Geschäftspartner, der über die Bandbreite der Warengruppen mit einem Konditionen-Konzept für die Kraft der Gemeinschaft steht." Aufträge werden freilich auch hier kaum noch geschrieben. Maul und ihr Team braucht für die Planung des diesmal 92 Quadratmeter großen Standes viel Vorlauf, im Grunde beginnen die Planungen für 2025 bereits am letzten Messetag 2024. Großen Wert wird auf die "gemeinsame optische Klammer" gelegt – bei möglichst viel Individualität für die Einzel-Verlage.

In 3.1 ist das forum independent schon länger, allerdings ändern sich die Bedürfnisse mitunter im Jahrestakt. 2024 wurde, zusammen mit der Buchmesse, ein Eckstand entwickelt, der auch Gesprächsmöglichkeiten in die Tiefe erlaubt. "Da wir 2025 wohl mehr Verlage sein werden, müssen wir den Stand anders stricken." Dass die Messe ihre Preise erhöhte, kann Maul nachvollziehen. Doch für viele Verlage bedeutete das offensichtlich, dass sie sich den Messe-Auftritt nicht mehr leisten wollten. "Wir sehen viele Lücken – und große Häuser, die ihre Stände komprimiert haben." Gerade deswegen schwört Silvia Maul auf den "Familien-Charakter" des Forums: "Gemeinschaft macht stark!"

Buchmesse-Afficionados: Patricia Haupt (rechts) mit ihren zum Wochenende angereisten Eltern. Vater Matthias ist Verwaltungsrat und Lektor bei Haupt

Messe-Afficionados

Der Berner Haupt Verlag, seit 53 Jahren in Folge in Frankfurt, gehört mit hochwertig gestalteten Büchern zu einem der führenden Kreativ- und Naturbuchverlage im deutschsprachigen Raum. Verlegerin Patrizia Haupt ist zum dritten Mal am Gemeinschaftsstand des forum independent dabei, die Premiere lag noch vor Corona. In Halle 3.1 fühlt sie sich gut aufgehoben, gerade beim Blick in 3.0: "Dort sind die Gänge heuer fast breiter als die Stände." Ein zwiespältiges Gefühl bleibt nach dem aktuellen Frankfurter Jahrgang: "Ich wünsche mir günstigere Ticketpreise – und möglichst wieder mehr Aussteller." Den Hauptvorteil des Forum-Standes sieht auch sie im gemeinsamen Marktauftritt. "Wir sind eine Art kleine Familie geworden", sagt sie mit Blick auf die Stand-Kollegen. "Und doch bewahren alle ihre Individualität." Das Argument, Kosten zu sparen, tritt dahinter schon fast zurück: Für die Schweizer ist die Forum-Beteiligung inzwischen ähnlich teuer wie ein kleinerer eigener Stand.

Der große Vorteil besteht für Patrizia Haupt darin, dass das Forum bespielt wird. "Theoretisch könnten wir Freitagmittag nach Hause fahren. Nur machen wir das nicht – weil wir die Buchmesse lieben. Meine Eltern sind extra angereist fürs Wochenende, wir sind Messe-Fans! Es ist die ideale Gelegenheit, mit Leserinnen und Buchkäufern in direkten Kontakt zu kommen." Von Mittwoch bis Freitag nimmt Haupt viele Lizenztermine wahr, das Wochenende gehört dann dem "Zielgruppenaustausch". Der Verkauf am Stand kompensiere die entstehenden Kosten nur zu einem geringen Teil. Auffällig sei in diesem Jahr der große Zulauf junger Illustratorinnen und Autoren, die Projektideen vorstellen möchten – vermutlich Resultat eines Preises, über den sich auch die Verlegerin sehr freut: Katharina Vlcek wurde für ihr 2024 bei Haupt erschienenes Sachbuch "Mittelmeer. Tauche ein in die mediterrane Welt" der Nachwuchspreis für Illustration der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur 2024, die Serafina, verliehen. Zu eigenen Entdeckungen kann Patrizia Haupt erst am Sonntag aufbrechen. "Ich habe meiner Tochter versprochen, ein Kinderbuch mitzubringen."