Deutscher Verlagspreis

Feier des Unperfekten

17. Oktober 2024
von Nils Kahlefendt

330 Verlage hatten sich beworben, auf 84 von ihnen ging in 90 Minuten ein warmer Regen von mehr als 1,6 Millionen Euro nieder. Wer wissen will, wie es mit der Strukturförderung konkret weitergeht, muss auf Nuancen achten – aber in dieser Disziplin sind Verlegerinnen und Verleger ja firm.

Offensichtlich muss man auch ein großes Vertrauen in das haben, was man nicht kann.

Insa Wilke, Moderatorin

Vertrauen in die Zukunft

„Das amortisiert sich nicht“, hatte Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel den Ersten Leitsatz des Independent-Publishing einmal über ein Jubiläumsprogramm geschrieben. Moderatorin Insa Wilke sprang mit einem Paradoxon in den Abend der Verleihung des Deutschen Verlagspreises 2024: „Sie werden heute für das ausgezeichnet, was Sie können. Und in gewisser Weise auch für das, was Sie nicht können können.“ Denn wie soll das auch gehen, in der aktuellen Situation, die – nicht nur gefühlt – schon ziemlich lang anhält: Bücher machen, mit kleinem Budget, mit limitierter Mannschaft, ohne großen Apparat. „Offensichtlich muss man da auch ein großes Vertrauen in das haben, was man nicht kann“, so Wilke. „Das wollen wir feiern.“ Die Literaturkritikerin warf die Frage auf, die den Preis seit seiner Begründung 2019 begleitet: „Sind Sie ein normaler Teil der deutschen Wirtschaft und haben mit normalen Schrumpfungsprozessen und Tiefs zu tun, sind dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen? Oder leisten Sie einen Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung?“  

Jury und Vertreter:innen der Spitzenpreisträger

Ich sehe wie Sie den Bedarf für eine strukturelle Verlagsförderung. Es sind die Zwänge des Haushalts und auch die Zwänge einer Schuldenbremse, die uns hier enge Grenzen setzen.

Claudia Roth, Kulturstaatsministerin

Für Kulturstaatsministerin Claudia Roth stellt die Arbeit der Indies nicht nur eine Bereicherung für die Kultur dar, sondern ist „unverzichtbar für den gesellschaftlichen Diskurs“, die „freiheitliche Demokratie“ schlechthin. Der Zuschnitt des Preises wurde deshalb 2024 dahingehend angepasst, dass mehr Verlage in den Genuss warmen Geldsegens kommen. Wurden im letzten Jahr jenseits der drei Spitzenpreise 60 Verlage mit je 24.000 Euro bedacht, sind es heuer 80 Häuser mit je 18.000 Euro. Die Spitzenpreise sind nun mit 50.000 Euro (statt 60.000 Euro) bedacht, die so gewonnen 30.000 Euro gehen in ein erstmals verliehenes Gütesiegel für nachhaltiges Verlegen.

Ökonomische Bedrohungslage und Solidarität

Die siebenköpfige Jury des aktuellen Preises habe sich, wie ihr Sprecher Jörg Albrecht ausführte, angesichts der anstehenden Kürzungen bei den Bundesfonds mit einem Appell an Roth gewandt. Darin seien „zwei Emotionslagen“ formuliert worden: Zum einen Sorge, da die ökonomische Situation vieler kleiner Verlage schon seit Jahren katastrophal sei. Zum anderen Hoffnung, da sich eben diese Verlagslandschaft aktuell sehr weit ausdifferenziert und unendlich vielfältige Facetten bietet. Die Solidarität in der Branche sei immens, sagte Albrecht mit Blick auf die Arbeit von Kurt Wolff Stiftung, Hotlist oder den Indiebookday.


Die an diesem Abend Schecks ausreichende Kulturstaatsministerin sah sich – anders als bei der Buchmesse-Eröffnung am Vortag – keiner Kritik auf offener Bühne ausgesetzt. Roth gab auf der Buchmesse-Agora die unbedingte Kämpferin für gebeutelte Buchbranche, und wenn sich die Ministerin der allgemeinen Feierstimmung alsbald entzog, liegt das nur darin begründet, dass sie schon am heutigen Donnerstagmorgen im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages als Lordsiegelbewahrerin der Indie-Interessen aufzutreten verspricht. Zur Causa der seit gefühlt zehn Jahren angedachten strukturellen Verlagsförderung, deren Prüfung im Koalitionsvertrag der Ampel fixiert war, sagte Roth: „Ich sehe wie Sie den Bedarf für eine strukturelle Verlagsförderung. Es sind die Zwänge des Haushalts und auch die Zwänge einer Schuldenbremse, die uns hier enge Grenzen setzen.“ Bei einem Spitzengespräch mit den Kulturministern der Länder wurde letzte Woche indes vereinbart, „dass es, nicht irgendwann, sondern sehr, sehr schnell, eine Länder-AG geben wird, die die konkreten Möglichkeiten einer strukturellen Verlagsförderung konkret prüfen wird.“ Der Börsenverein immerhin hat konkrete Vorschläge gemacht, auch die Zahl zehn Millionen Euro steht unwidersprochen als Elefant im Raum – nun muss nur noch der politische Wille her. Und eben ein Konzept, das trägt.

Es ist einigermaßen schräg zu verlangen, die Indies sollen die Demokratie retten. Was Verlage tun können, ist, eine Resilienz gegenüber totalitären Systemen aufzubauen: Räume, in denen man über sich selbst reflektiert, statt um sich zu schlagen.

Enis Maci, Juror

Bleibt zu hoffen, dass Roths Haus die Kärrner-Arbeit der Independents nicht nur als Außenabteilung der Bundeszentrale für politische Bildung sieht und auch Verlage, die sich mit DaDa-Lyrik oder Sakralbauten auf dem platten Land ernsthaft beschäftigen, irgendwann zum Zuge kommen. Auf die Frage Insa Wilkes, ob das Wirken der Verlags-Davids vielleicht „eine groß orchestrierte Gegensprache zum populistischen Sprech“ sei, meine Juror Enis Maci: „Wenn die Politik auf Abschiebung und Aufrüstung setzt, ist es einigermaßen schräg zu verlangen, die Indies sollen die Demokratie retten. Was Verlage tun können, ist, eine Resilienz gegenüber totalitären Systemen aufzubauen: Räume, in denen man über sich selbst reflektiert, statt um sich zu schlagen.“