Sechs Wochen nach dem Angriff auf Factor Druk

Ukrainische Buchbranche schwer getroffen

1. Juli 2024
Redaktion Börsenblatt

Der russische Raketenangriff auf die ukrainische Druckerei Factor Druk hat gravierende Folgen für den Buchmarkt und den Bildungsbereich. Eine erste Schadensbilanz liegt vor, und es wurden bereits auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche Hilfsinitiativen zum Wiederaufbau des Druckbetriebs gestartet. Ein Beitrag des ukrainischen Branchenportals Chytomo.

Ein russischer Raketenangriff am 23. Mai zerstörte die Druckerei Factor Druk und versetzte der ukrainischen Buchindustrie einen schweren Schlag. Bei dem Angriff wurden sieben erfahrene Spezialisten getötet, deren Fachwissen unersetzlich ist. Der Angriff auf einen der größten Druckkomplexe Europas hat zu einem Rückstau an Druckaufträgen geführt und dürfte die Buchpreise in die Höhe treiben.

Zahlreiche führende ukrainische Verlagshäuser haben sich beim Druck auf Factor Druk verlassen. Die Zerstörung wirkt sich auch auf den Bildungssektor aus, da die Druckerei bisher 40 Prozent der ukrainischen Schulbücher produziert hat.

Die Menschen sind am wichtigsten

Der Angriff auf Factor Druk ist eine Tragödie für die gesamte ukrainische Druckindustrie. Die Opfer waren nicht nur Angestellte dieser Druckerei, sondern arbeiteten auch in anderen Buchproduktionsstätten in der Stadt. Sie waren Fachleute mit jahrelanger Erfahrung, und ihr Verlust wird von der Verlagswelt tief empfunden.

Oleksandr Popovych, Direktor von Unisoft, einer der größten Druckereien der Ukraine, beschrieb die Auswirkungen der Tragödie auf Charkiw und die Buchbranche als erheblich und sehr persönlich für sein Team. "Wir trauern alle, weil viele Mitarbeiter von Factor Druk familiäre Bindungen zu unseren Fabrikarbeitern hatten", sagte er.

Charkiw steht täglich unter Beschuss, so dass sich viele Menschen gezwungen sehen, die Stadt zu verlassen – was zugleich einen Mangel an Fachkräften verursacht. 22 Unisoft-Mitarbeiter kämpfen derzeit an der Front, einer von ihnen wurde getötet.

Gleichzeitig hat sich die Arbeitsbelastung für Unisoft nicht geändert, die Druckerei ist anderthalb bis zwei Monate im Voraus ausgebucht, und dies schon seit etwa einem Jahr.

Die russischen Streitkräfte haben bereits früher wichtige Einrichtungen der Druckindustrie angegriffen, darunter Unisoft, das durch Beschuss beschädigt wurde. Im März führten sie außerdem einen Raketenangriff auf die Druckerei Hurov und Co. durch. Im Juli 2022 beschädigten die Besatzer das Haus der Druckerei schwer und zerstörten es fast vollständig. Zudem trafen sie das Logistikzentrum des Ranok-Verlags.

"Der Verlust von Menschenleben ist der verheerendste Aspekt dieser Tragödie", sagte Viktor Kruglov, Direktor des Ranok-Verlags. "Während die Ausrüstung ersetzt werden kann, sind die Menschen, die bei dem Angriff ihr Leben verloren haben, unersetzlich. In der Branche herrscht bereits jetzt ein Mangel an Fachkräften, so dass dieser Verlust noch schwerer wiegt."

Während die Ausrüstung ersetzt werden kann, sind die Menschen, die bei dem Angriff ihr Leben verloren haben, unersetzlich. In der Branche herrscht bereits jetzt ein Mangel an Fachkräften, so dass dieser Verlust noch schwerer wiegt.

Viktor Kruglov, Direktor des Ranok Verlags

Die Warteschlangen für den Druck

Tetiana Hryniuk, CEO von Factor Druk, erklärte gegenüber Chytomo, dass das Unternehmen derzeit Verträge mit Geräteherstellern abschließt und nach gebrauchten Geräten sucht, da neue Maschinen unerschwinglich seien. In der Zwischenzeit räumt das Unternehmen den Schutt weg und demontiert das Dach. "Weit mehr als 50.000 Bücher wurden bei dem Feuer zerstört", sagte Hryniuk.

Mit zehn Millionen Büchern jährlich fertigt Factor Druk ein Drittel aller in der Ukraine gedruckten Bücher – eine Produktionskapazität, die von anderen Druckereien nicht kompensiert kann, was zu Verzögerungen bei den Neuerscheinungen führt. "Ich habe eine dreiseitige Liste mit Titeln, die wir in den Monaten Mai und Juni ausliefern sollten, und wir appellieren an andere Druckereien, unsere halbfertigen Produkte zumindest teilweise zu vervollständigen", sagte Hryniuk. Allerdings ist es aus finanziellen Gründen fast unmöglich, Bücher von Grund auf neu zu vervielfältigen.

Von den Verzögerungen einmal abgesehen, rechnet Ranok-Chef Kruglov damit, dass die zerstörerischen Folgen des russischen Angriffs die Kosten für den Buchdruck erhöhen werden. Stromausfälle, Materialknappheit und möglicher neuer Beschuss in der Region Charkiw, in der viele Druckereien angesiedelt sind, werden sich ebenfalls auf die Kosten für Druckdienstleistungen auswirken. Eine Verlagerung dieser Kapazitäten sei weder machbar noch finanziell tragbar.

Auswirkungen auf das Bildungswesen

Zum Zeitpunkt des Beschusses befanden sich rund drei Prozent der für ukrainische Schulen bestimmten Schulbücher für das kommende Schuljahr in verschiedenen Produktionsstadien bei Factor Druk. Der Druckkomplex hat jährlich etwa 40 Prozent aller Schulbücher produziert, so dass die wichtigste Folge des Angriffs ein möglicher Mangel an gedruckten Schulbüchern ist. Derzeit ist die Produktion vollständig eingestellt.

Bei dem Anschlag wurden auch 84.000 von Ranok herausgegebene deutschsprachige Schulbücher für die 7. Klasse zerstört, die in anderen ukrainischen Druckereien auf Kosten des Verlags nachgedruckt werden sollen.

Wenn Faktor Druk jedoch nicht schnell wiederhergestellt wird, könnte der Bildungssektor im nächsten Jahr von einer ernsten Verknappung an Bildungsliteratur betroffen sein. Eine weitere Herausforderung für die Verleger und Drucker ist die schwierige Energiesituation im Lande.

"Während Belletristik-Neuerscheinungen verschoben werden können, haben wir für Schulbücher strenge Fristen. Das Bildungsministerium veranstaltet im Frühjahr einen Schulbuchwettbewerb, und die Verlage müssen die bestellten Publikationen drucken und bis zum Beginn des Sommers an die Schulen liefern, so dass eine rechtzeitige Produktion von entscheidender Bedeutung ist", so Kruglov.

In der Zwischenzeit vertreibt die in Charkiw ansässige Buchfabrik Globus gedruckte Schulbücher, die bereits in den Schulen der Region eingetroffen sind. Der Vertreter der Fabrik, Oleh Khotyniuk, berichtete von einem reibungslosen Lieferprozess ohne Verzögerungen. "Wir erhalten wertvolle Unterstützung von den örtlichen Behörden, den Versorgungsbetrieben und allen Beteiligten, die bei Bedarf sogar Generatoren zur Verfügung stellen", sagte Khotyniuk und hob die gemeinsamen Bemühungen um eine rechtzeitige Lieferung der Schulbücher hervor.

Schadensbewertung

Factor Druk führt derzeit eine Inventur durch, um die genaue Anzahl der durch den Raketeneinschlag und das Feuer zerstörten Bücher zu ermitteln. Bisher hat der Verlag Vivat, der zur Factor Group Company gehört, einen weiteren Verlust gemeldet, wobei bestätigt wurde, dass über 83.000 Exemplare zerstört wurden. Damit steigt die Gesamtzahl der zerstörten Bücher bei der Factor Group Company auf möglicherweise über 100.000. Die Verluste von Factor Druk, einschließlich der zerstörten und beschädigten Ausrüstung, werden umgerechnet auf über 7,9 Millionen Euro geschätzt. Der Schaden des Verlags Ranok beläuft sich umgerechnet auf fast 200.000 Euro.

Tetiana Hryniuk schätzt, dass die Wiederherstellung der Druckerei bis zu sechs Monate in Anspruch nehmen könnte, vorbehaltlich des Eingangs von Geldern ausländischer Geber. Branchenexperten haben unterschiedliche Meinungen zu möglichen Hilfen geäußert, sind sich aber einig, dass ein Mechanismus zur Versicherung militärischer Risiken für Unternehmen in der Region Charkiw erforderlich ist.

Die Hilfe von Leser:innen, Unternehmen und der internationalen Gemeinschaft

Derzeit erhalten weder Verleger noch Drucker eine Entschädigung, da sich die Versicherungsgesellschaften weigern, Unternehmen in Charkiw zu versichern. Experten schlagen vor, dass Zuschüsse der Europäischen Kommission für den Kauf von Büchern für Bibliotheken ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Erholung der Branche sein könnten.

In den ersten Wochen taten sich die Leser:innen zusammen, um die Druckerei und die betroffenen Verleger zu unterstützen. Das Versandunternehmen Nova Poshta half den Verlegern, indem es kostenlose Buchlieferungen anbot. So wurden innerhalb eines Monats 19.492 Bestellungen von der Onlinebuchhandels-Website Vivat ausgeliefert, was fast eine Vervierfachung der Bestellungen des Vormonats bedeutet. Bis heute hat Vivat fast 28.000 Bestellungen erfüllt, weitere 8.000 Vorbestellungen warten auf den Druck.

Neben der Unterstützung durch die Leser:innen haben auch staatliche Stellen und internationale Fonds ihre Hilfe zugesagt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyj hat das Wirtschaftsministerium und die Regionalregierung von Charkiw angewiesen, der Branche nach den Streiks staatliche Unterstützung zu gewähren. Es ist jedoch noch zu früh, um über staatliche Finanzhilfen für den Wiederaufbau zu sprechen, da es in der Ukraine keinen etablierten Mechanismus für die Bereitstellung von Finanzhilfen für Privatunternehmen gibt.

Die britische Renaissance Foundation reagierte als erste und bot dem Verlag einen dringenden Zuschuss an, um die Folgen des Beschusses zu überwinden. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat umgehend eine Erklärung abgegeben, in der er die Menschen auffordert, zu spenden und Factor Druk zu unterstützen. Der deutsche Verlag Katapult, der sein geopolitisches Magazin "Katapult" bei Factor Druk drucken lässt, hat eine Spendenaktion zugunsten der betroffenen Druckerei gestartet.

Später kündigte der Fonds des amerikanischen Milliardärs Howard Buffett Pläne an, die Verluste von Factor Druk auszugleichen, und die US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) wird Mittel für den Druck von Schulbüchern für Grundschüler in der Ukraine bereitstellen.

Nur eine Woche vor dem internationalen Festival Book Arsenal, einer der wichtigsten Veranstaltungen des ukrainischen Verlagswesens, versetzte Russland der Druckerei in Charkiw einen verheerenden Schlag. Als Zeichen der Solidarität mit der zerstörten Druckerei und den Verlegern war auf dem Festival ein ergreifender Stand mit dem Titel "Von Russland zerstörte Bücher" zu sehen, an dem verkohlte Publikationen ausgestellt waren, und an dem die Besucher:innen über einen QR-Code für die Restaurierung von Factor Druk spenden konnten. Die beeindruckende Ausstellung wird nun in verschiedene Länder reisen, um das Bewusstsein für das ukrainische Verlagswesen zu schärfen und es zu unterstützen.

Artikel von Oksana Khmelyovska und Olesia Boyko (Übersetzung: Börsenblatt)

Dieser Text wurde dem Börsenblatt mit freundlicher Genehmigung des ukrainischen Branchenportals Chytomo zur Verfügung gestellt.