Die Sonntagsfrage

Wie können wir die Existenz unabhängiger Verlage sichern, Yasemin Altınay?

28. Juli 2024
Marlene Münßinger

In der Buchbranche stoßen kleine unabhängige Verlage oft an ihre Grenzen. Literaturwissenschaftlerin Yasemin Altınay, Verlegerin des Literarische Diverse Verlags, spricht im Interview über das Verlagsaus von &Töchter sowie die Notwendigkeit struktureller Verlagsförderungen.

Yasemin Altınay

Mitte Juli haben &Töchter bekannt gegeben, dass sie aufhören werden. Was macht das mit mit Ihnen?

An erster Stelle bin ich dankbar für die wertvolle Arbeit des Teams von &Töchter. Mit ihrem Fokus auf feministischer Literatur haben sie tolle Bücher zu wichtigen Themen beigetragen und den Weg für viele Autor:innen geebnet. Auch wenn sie jetzt aufhören, bleiben sie für immer ein Teil der Branche. Es ist wichtig,  Arbeit grundsätzlich zu würdigen, Mut und Ausdauer anzuerkennen, auch wenn es natürlich traurig stimmt, wenn Kolleg:innen aufhören, weil sie an ihre Grenzen kommen. Ich denke da an die vielen anderen Verlage, die ihre Arbeit unfreiwillig niederlegen mussten.

Sie haben selbst einen Verlag, der Bücher und Magazine publiziert. Wie kam es, dass Sie sich für diese Gründung entschieden haben, und wie war Ihr Weg dorthin?

Nach meiner Ausbildung als Verlagskauffrau und dem Master in Angewandte Literaturwissenschaft war die Gründung meines Verlags für mich eine logische Konsequenz und Notwendigkeit, um auf Autor:innen aufmerksam zu machen, die in der Literaturwelt zu wenig gehört werden. Die Unabhängigkeit erlaubt es mir, meinen Fokus selbst zu setzen und mich dabei kreativ auszuleben. Der Weg dahin und darüber hinaus war sowohl stärkend als auch herausfordernd, da ich viele strukturelle Hürden anerkennen musste, die eben nicht so einfach umgangen werden können. Dadurch habe ich aber wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Waren bei der Entscheidung für die Gründung eines eigenen Verlags auch Zweifel und Unsicherheiten mit im Spiel?

Zweifel hatte ich nie, da ich meine Arbeit mit großer Leidenschaft ausübe und mir die Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteur:innen viel Freude bereitet. Unsicherheiten traten jedoch im Laufe der Jahre auf, insbesondere durch die Pandemie, als die Kosten in allen Lebensbereichen enorm stiegen und die Nachfrage spürbar zurückging.

Mir ist es wichtig, dass neue Stimmen gefunden und gehört werden, und Menschen sich trauen, ihr Geschriebenes zu veröffentlichen.

Yasemin Altınay

Kommen wir zu Ihrem Magazin: Was macht die "Literarische Diverse" aus? Was sind die Schwerpunkte?

Das Magazin setzt mit jeder neuen Ausgabe ein neues Thema, zu dem Autor:innen sich bei einem Open Call auseinandersetzen dürfen. Bisher sind fünf Magazine zu den Themen Engagement, Sprache, Widerstand, Liebe und Traum erschienen. Den literarischen Schwerpunkt setzen Autor:innen selbst, in dem sie mal mehr Gedichte schreiben, mal mehr Prosa. Was sich durch die Magazine zieht, sind Interviews mit verschiedenen Autor:innen. Mir ist es wichtig, dass neue Stimmen gefunden und gehört werden, und Menschen sich trauen, ihr Geschriebenes zu veröffentlichen.

Wie finanziert sich das Magazin und der Verlag? Arbeiten Sie Vollzeit als Verlegerin? Haben Sie Mitarbeiter:innen?

Der Verlag finanziert sich hauptsächlich durch die Community, oft mittels Vorbestellungen, die unter anderem Honorare und Druckkosten decken. Gelegentlich habe ich Förderungen erhalten, beispielsweise vom Berliner Senat im Jahr 2022. Ich arbeite jedoch nicht in Vollzeit als Verlegerin, sondern in Teilzeit als Kommunikationsmanagerin, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Mitarbeiter:innen konnte ich nie einstellen.

Welche Prozesse laufen gut und welchen Herausforderungen müssen Sie sich oft stellen?

Die größten Herausforderungen sind meist von zeitlicher und finanzieller Dimension. Durch meinen Teilzeitjob bleibt wenig Zeit für die Planung neuer Projekte. Was gut funktioniert und mir besonders viel Freude bereitet, ist die Auswahl der Autor:innen und die Gestaltung der Bücher und Magazine.

Sie hatten im Juni 2024 das erste Mal über Instagram um Spenden und damit um die Hilfe Ihrer Community und Leser:innenschaft gebeten. Was waren die ausschlaggebenden Gründe für diesen Spendenaufruf?

Der Spendenaufruf ist mir, wie ich auch transparent kommuniziert habe, nicht leichtgefallen. Wie gesagt, ich habe bisher immer einen Weg gefunden, Projekte zu finanzieren. Der Aufruf war leider notwendig, da es einen Fehler bei Abbuchungen gab, und ich somit auf einmal eine große Rechnung zu begleichen hatte. Ohne die großzügigen Spenden meiner Community hätte das in ein Aus führen können.

Welche Unterstützung benötigt es Ihrer Meinung nach für kleine unabhängige Verlage für eine anhaltende Existenzsicherung? Was bräuchten Sie von der Buchbranche?

Eine große Möglichkeit ist der Deutsche Verlagspreis, den ich auch in diesem Jahr wieder als Jurymitglied unterstützen werde. Der Preis bringt nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und ehrt Verlage, die sich trotz allem für das Buch engagieren. Es ist aber auch zu erwähnen, dass Preise keine langfristige Planung ermöglichen. Dafür benötigt es eine strukturelle Verlagsförderung für eine Zukunftssicherung der unabhängigen Verlage. Welch große Erleichterung das wäre!

Und geht es jetzt bei Ihnen trotz all den schwierigen Umständen im Moment erst einmal weiter mit dem Verlag und dem Magazin? An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?

Für den Verlag geht es im eigenen Tempo weiter. Das darf ich schon jetzt verraten: Ich arbeite seit zwei Monaten an einem neuen Projekt, das noch dieses Jahr erscheinen wird. Darauf freue ich mich sehr! Das Magazin ruht jedoch im Moment.

Ich habe die große Hoffnung, dass es eine strukturelle Verlagsförderung geben wird, sodass unabhängige Verlage langfristiger planen und aufatmen können, wenn sie an die Zukunft denken.

Yasemin Altınay

Wenn wir nochmals auf das Verlagsende von &Töchter zu sprechen kommen: Was nehmen Sie für sich und Ihren Verlag nun für Gedanken mit für die Zukunft?

Ich habe die große Hoffnung, dass es eine strukturelle Verlagsförderung geben wird, sodass unabhängige Verlage langfristiger planen und aufatmen können, wenn sie an die Zukunft denken. Für meinen Verlag wünsche ich mir weiterhin viele Leser:innen und dass er lange Teil der Literaturbranche sein wird. Ohne meine Community ginge gar nichts, daher nochmal ein großes Dankeschön an dieser Stelle! Solange es mir möglich ist, werde ich weitermachen. So viel ist sicher.

Yasemin Altınay ist in der Buch- und Verlagsbranche auf vielfältige Weise engagiert. Ihr Einsatz reicht von politischer Aufklärungsarbeit über Social Media bis hin zu aktiven Beiträgen in verschiedenen Initiativen und Gremien, wie zum Beispiel bei der Initiative "Verlage gegen Rechts". 2020 war sie Bloggerin des Deutschen Buchpreis, 2021 hat sie die Auszeichnung der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilotin erhalten, 2023 war sie Jurymitglied der Literaturförderung des Berliner Senats, seit 2023 ist sie Jurymitglied für den Deutschen Verlagspreis. Ihr Ziel ist es, auf verschiedene Art und Weise ein Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und politische Teilhabe zu schaffen. #PoeticJustice / www.ldverlag.de