Die Sonntagsfrage

"Wie baut man in der Corona-Krise ein Literaturhaus auf, Frau Schutzbach?"

5. Dezember 2020
Redaktion Börsenblatt

Im September hat Anya Schutzbach den Unionsverlag und damit auch den von ihr mitgegründeten Verlag weissbooks.w verlassen, seit 1. November ist sie Programmleiterin des St. Gallener Literaturhauses Wyborada. Ihr Job: das noch junge Literaturhaus zu einer Institution für die Ostschweiz aufzubauen. Wie geht das, wenn das literarische Leben wegen Corona am Boden liegt?

Das Literaturhaus Wyborada ist ein ganz besonderes Literaturhaus - wegen seiner Namenspatronin (und ihrer erzählenswerten Geschichte) – und wegen seiner geografischen Lage: Die Ostschweiz ist Teil einer ganz besonderen Kulturlandschaft mit vielfältigen Grenzlinien. Die Nähe zu Liechtenstein und dem Rheintal, zum österreichischen Vorarlberg, zum Bodensee und seinen anderen Ufern gibt der Region einen offenen Geist. Unser Ziel: In der Stadt, in der Region und später auch darüber hinaus bekannt zu werden als ein Ort, an den man gerne geht, an den man Erwartungen hat, auf den man immer neugierig ist.

Gegründet (und auch eröffnet) wurde das Haus bereits 2019. Das Startprogramm konnte allerdings aus den bekannten Gründen nur bedingt realisiert werden. Es wurden aber Weichen gestellt, Programm“gefässe“ etabliert und auch viel Energie darauf verwendet, ein eigenes Haus zu finden. Momentan sind die Räume der älteren Schwester, der Bibliothek Wyborada unsere „Homebase“, ansonsten sind wir ein fliegendes Haus, Nomaden.

"Gerade ist jedes Literaturhaus mein Vorbild"

Ob ich ein Vorbild in der vielfältigen Literaturlandschaft habe? Gerade ist jedes Literaturhaus mein Vorbild. Ich bewunderte schon immer die so ganz unterschiedlichen kuratorischen Ansätze. Ich finde das ebenso inspirierend wie ihre Kreativität in puncto technischer Machbarkeiten in Zeiten wie diesen, wo wir alle sehr schnell lernen müssen, wie Teilhabe jenseits physischer Präsenz attraktiv inszeniert werden kann.

Im Wyborada-Programm wird man ganz ohne Zweifel meine Liebe zur Schweizer Gegenwartsliteratur wiederfinden. Bei aller Selbstverständlichkeit, grenzenlos zu denken und zu planen, wird das Segment „Schweiz“ immer ein fester Bestandteil des Programms sein. Außerdem möchte ich meine Liebe zu „Misfits“ nicht aufgeben, zu Texten / Autorinnen und Autoren, die nicht ins Schema passen, die sich an den Rändern, auch jenen der Aufmerksamkeit, bewegen.

Dieses Jahr schließt ab mit einer „Stern“stunde: Wir konnten die Preisträgerin des Schweizer Buchpreises, Anna Stern, gewinnen, trotz allem bei uns zu lesen. Es ist ihre erste Lesung nach der Verleihung – und überhaupt die einzige bis zum Jahresende. Das erste Halbjahr 2020 steht dann unter dem Motto „The human body“. Da wird es um Ernährung gehen, um Fleisch und ums Fasten, ums Sterben, Künstliche Intelligenz  und ein Leben ohne Körper. 

"Wichtig ist aktuell das Knüpfen von Netzen in die Politik"

Mit den Buchhandlungen besteht natürlich bereits eine gute Zusammenarbeit, auch hinsichtlich gemeinsamer zukünftiger Projekte. Wichtig ist aktuell das Knüpfen von Netzen in die Politik und zu Partnern in der Kulturszene: den Theatern, den Museen, den anderen Literaturveranstaltern.

Literaturhaus & Bibliothek erhalten jährliche Zuschüsse von Stadt und Kanton, die jeweils neu beantragt werden müssen. Darüber hinaus sind allerdings weitere Fördergelder zu akquirieren. Auch hier also Fädenspinnen für den Ausbau des Programms, die Aufrüstung der Technik, eine sichtbare Öffentlichkeitsarbeit. Knüpfen und Fädenspinnen – gute Stichworte in einer Stadt der frühen Textilindustrie! 

Parallel läuft seit der Gründung des Literaturhauses die Suche nach einem eigenen Haus. Die Kolleginnen waren im Gespräch über die Nutzung der Villa Wiesenthal, eine schöne Aussicht, die sich aber zerschlagen hat, weiter ist das ein ehemaliges Hotel ein Thema. Bis es aber soweit ist, eigene Räumlichkeiten zu bespielen, die auch ein gastronomisches Angebot ermöglichen, sind sogenannte „kreative Lösungen“ gefragt.