Die Sonntagsfrage

Warum sind Antiquariate nachhaltig, Herr Biester?

2. April 2023
Redaktion Börsenblatt

Antiquariate sind im Idealfall geradezu Nachhaltigkeitsagenturen, meint Björn Biester. Welche Effekte das Gebrauchtbuchgeschäft auf den Buchmarkt hat, ist allerdings weitgehend unerforscht.  Der Historiker und Redakteur der Fachzeitschrift „Aus dem Antiquariat“ plädiert dafür, das bald nachzuholen – und den oft übersehenen Branchenzweig wohlwollend zu behandeln.

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema mit vielen Aspekten, darüber besteht in der Buchbranche weitgehend Konsens. Die Sachverhalte beschäftigen nicht nur Verlage und Druckereien, sondern auch Sortimentsbuchhandel und Logistikdienstleister. Noch zu wenig im Blick scheinen dagegen die Nachhaltigkeitsbeiträge des Gebraucht- und Antiquariatsbuchhandels. Ist der gewerbliche Umgang mit gebrauchten Büchern strukturell vergleichbar mit Carsharing oder Mehrwegsystemen in der Gastronomie? Welche Effekte haben die vielerorts aufgestellten öffentlichen Bücherschränke auf den privaten Literaturaustausch? (Und wie viele Bücherschränke mag es in Deutschland inzwischen überhaupt geben?) Inwieweit wirken sich innovative Geschäftsmodelle von Firmen wie Momox, Rebuy & Co. aus? Schaden diese neuen, stark expandierenden Marktteilnehmer dem etablierten Buchhandel, weil Kund:innen aktuelle Beststeller mit einem Mausklick günstig(er) erwerben können? Stiften sie Nutzen, weil man beispielsweise Bestseller zum regulären Ladenpreis im Buchhandel erwerben und nach der Lektüre einen Teil des Kaufpreises refinanzieren kann (für stark nachgefragte Bücher erzielt man auf Ankaufsplattformen normalerweise die besten Preise)? Zu solchen und anderen Fragen gibt es kaum belastbare Studien, obwohl sie doch zu einem erweiterten Nachhaltigkeitsdiskurs gehören; sie lassen sich fundiert nicht anekdotisch oder je nach eigener Interessenlage beantworten.

Gibt es etwas Nachhaltigeres als gebrauchte Bücher? Antiquar:innen und Second-Hand-Buchhändler:innen stellen im Idealfall geradezu Nachhaltigkeitsagenturen dar, weil sie seit jeher aus der manchmal beängstigenden Flut von Gebrauchtbüchern diejenigen heraussortieren, für die weiterhin Verwendung und Nachfrage bestehen. 

Klar ist auch, dass sich die buchhändlerische Befassung mit Büchern nicht nur auf mehr oder minder zuverlässige Algorithmen stützen kann. Gute Buchhändler:innen kuratieren ihr Angebot immer noch besser als jede Software und stiften darüber hinaus hohen gesellschaftlichen Mehrwert in ihrem lokalen Umfeld. Und gibt es etwas Nachhaltigeres als gebrauchte Bücher? Antiquar:innen und Second-Hand-Buchhändler:innen stellen im Idealfall geradezu Nachhaltigkeitsagenturen dar, weil sie seit jeher aus der manchmal beängstigenden Flut von Gebrauchtbüchern diejenigen heraussortieren, für die weiterhin Verwendung und Nachfrage bestehen (es gibt Bücher, auf die das nicht zutrifft). Eine wohlwollende politische Behandlung dieses oft übersehenen Branchenzweigs wäre daher für die Bewahrung einer differenzierten Buchkultur höchst sinnvoll (stattdessen werden den oft sehr kleinen Firmen fortlaufend bürokratische und postalische Hürden in den Weg gestellt …). Um besonders wertvolle und besondere Bücher, die irgendwo auftauchen, muss man vermutlich keine Gedanken machen, hier funktioniert der Antiquariatsmarkt bestens; es geht eher um die Breite der gedruckten Überlieferung, die eine Herausforderung darstellt.

Fokus auf die gesamte Verwertungskette

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht bei Nachhaltigkeitsfragen der Buchbranche in erster Linie um neue Bücher, weil deren Herstellung und Verbreitung große CO2-Emittenten sind – es ist gut, dass seit einiger Zeit ein Fokus auf diesen Themen liegt. Jedoch sollte die gesamte Verwertungskette in die Diskussion einbezogen werden.