Die Sonntagsfrage

Auslandspraktikum trotz Corona, wie haben Sie das geschafft, Frau Odendahl?

22. Oktober 2020
Redaktion Börsenblatt

Barbara Odendahl ist Auszubildende der Buchhandlung Bücher-Bosch in Bonn – Bad Godesberg. Wie sie trotz Corona im Sommer ein Praktikum in der  Buchhandlung Boekhandel Rosenberg auf der niederländischen Insel Terschelling absolvieren konnte und was sie dort erlebt hat, erzählt sie in der Sonntagsfrage. 

"Inselsommer" oder "Die kleine Inselbuchhandlung" - das sind nicht nur Buchtitel: Ich hab sie in die Tat umgesetzt!

In Büchern reißen die Protagonisten gern aus ihrem Alltag aus, flüchten auf eine Insel und finden dort ihr Glück - und der Leser gleich mit. Aber das ganze Leben umkrempeln und einen Neuanfang starten, das ist nichts für mich, dafür mag ich mein Leben viel zu sehr.

Dann kam eins zum anderen. Meine Berufsschule, das Berufskolleg Bachstraße in Düsseldorf, bietet das Erasmus+-Programm für seine Schüler/innen an. Wer Lust hat, seinen Horizont im EU-Ausland zu erweitern, indem er ein Auslandspraktikum in seiner Branche absolviert, ist bei diesem Programm an der richtigen Adresse. Das Programm bietet persönliche und finanzielle Unterstützung. Die Informationen dazu bekamen wir bereits in unserem ersten Schuljahr.

In mir keimte die Idee, im Rahmen eines Praktikums ein bisschen Inselluft zu schnuppern, Auslandserfahrung zu sammeln und den Buchmarkt außerhalb von Deutschland kennenzulernen. Ein Jahr später meldete ich mich für das Programm an - und los ging's mit der Bürokratie. Die Erstellung von Bewerbungsunterlagen, Absprachen mit dem Auslandsbetrieb und dem eigenen, Formular-Ausfüllung, später dann die Dokumentation des Auslandsaufenthaltes und der Abschlussbericht.

Ein weiteres Jahr später – in meinem 3. Ausbildungsjahr – war es dann so weit. Es wird empfohlen, am Ende seines ersten Ausbildungsjahres mit Erasmus ins Ausland aufzubrechen, doch für mich war in diesem Sommer die Zeit gekommen. Schließlich habe ich mit den Jahren einen sehr guten Einblick in die Buchbranche bekommen und finde es viel spannender, auf dieser Basis Vergleiche zum ausländischen Buchhandel anzustellen.

Kein Vorbereitungsseminar, aber auch keine Corona-Quarantäne

Als Insel hatte ich mir die niederländische Watteninsel Terschelling ausgesucht. Ein zehnminütiges Telefonat mit Boekhandel Rosenberg ein Jahr zuvor und ich wusste – da will ich hin!

Anfang des Jahres kümmerte ich mich um meine Unterkunft – eine schnuckelige 100 Jahre alte Pension, die herzliche Inhaberin kam mir als Praktikantin sogar preislich entgegen. Ebenfalls buchte ich Bahn und Fähre. Eine Auslandsversicherung war auch abzuschließen. Alles war in trockenen Tüchern. Dann kam Corona.

Das Vorbereitungsseminar fiel ins Wasser. So hielt ich digitalen Kontakt mit den Lehrern des EU-Teams. Ich sendete ihnen meine Angaben zu den Zielen, Aufgaben und Tätigkeiten, die im Auslandsbetrieb auf mich zukommen würden. Bis zuletzt bangte ich um mein Praktikum.

Dennoch lernte ich eifrig Niederländisch mit den Büchern, die mir netterweise der Langenscheidt-/Pons-Verlag zur Verfügung gestellt hatte. Danke schön an dieser Stelle! Es waren nur noch ein paar Tage bis zu meiner Abreise, aber ich wollte erst glauben, dass ich das Praktikum wirklich absolvieren würde, wenn ich da war.

Ich unterschrieb meinen Teilnehmer-Vertrag mit der Schule, der Tag rückte immer näher und mir kam tatsächlich nichts mehr dazwischen – keine Quarantäne, kein Virus, kein behördliches Verbot. Ich durfte drei  Wochen lang meinen Fragen auf den Grund gehen und meine Antworten finden. 

Auf Terschelling sind die Leute geduldiger

Wie schnell wird eine Insel mit Büchern beliefert, wo doch die Fähren über Hohe See schippern müssen? Ist es wie in Deutschland und schon einen Tag nach der Bestellung ist das Buch abholbereit? Sind die Menschen dort geduldiger, wenn es darum geht, auf ein Buch zu warten? Die Antwort lautet: ja. Dort kommt keiner auf die Idee, dass er noch ganz dringend ein ganz bestimmtes Buch für einen Geburtstag am nächsten Tag braucht.

In der Regel ist es auch in den Niederlanden so, dass ein bestelltes Buch am nächsten Tag im Laden vorliegt, die Insel bildet eine Ausnahme, denn scheinbar fahren die Belieferungsfähren gerne mal ohne die Bücher vom Festland ab, und so verstreichen oft zwei, wenn nicht sogar drei Tage. Wenn die Bücher dann auf der Insel sind, erweist sich die Aufteilung der Bücherkisten schwieriger als gedacht, denn Buchhandlungen gibt es zwei auf der Insel. Da kann der Lieferant schon mal durcheinander kommen.

Buchempfehlungen werden selten verlangt

Durcheinander war auch manches Mal der Sprach-Wirrwarr in meinem Kopf. Mit dem Niederländischen kam ich gut zurecht. Zur Not half auch Englisch, Hände, Füße oder eben doch die lieben Kollegen vor Ort. Erstaunlicherweise ergab sich für mich nicht die Gelegenheit, eine Buchempfehlung auszusprechen, was nicht am Mangel meiner niederländischen Sprachfertigkeiten lag, sondern einfach daran, dass in den drei Wochen, die ich da war, niemand nach einer Empfehlung fragte.

Während es im deutschen Buchhandel "Arbeit am Kunden" heißt, stand dort die "Arbeit an der Ware" und das Kassieren im Vordergrund. Die Kunden gaben sich mit dem zufrieden, was da war, stöberten oder fragten ganz konkret nach bestimmten Titeln. Empfehlungen waren etwas, was ich dort vermisste. Viele Bücher dort erkannte ich vom deutschen Markt wieder und ich hätte mich gefreut, sie jemandem ans Herz legen zu können.

Wenn euch die Gelegenheit bietet - nehmt sie wahr!

Ans Herz legen möchte ich auf jeden Fall allen Branchen-Nachwüchslern: Wenn sich für euch die Gelegenheit ergibt, mit Erasmus+ ins Ausland zu gehen, nehmt diese Erfahrung mit! An dieser Stelle möchte ich noch einmal meinen Dank aussprechen für die Unterstützung in der Buchbranche allgemein und im Besonderen an meine Schule, die so etwas Tolles bietet, und die Lehrer des EU-Teams, die auch während meines Aufenthaltes mit Rat und Tat beiseite standen, an die Buchhandlung auf Terschelling, die mich mit offenen Armen empfangen hat, und an meinen Ausbildungsbetrieg, die Buchhandlung Bücher-Bosch in Bonn-Bad Godesberg, die mich überhaupt hat gehen lassen!