Zoë Beck über Sexismus in der Branche

#MeToo der Buchbranche

18. November 2021
Zoë Beck

Am Buchmarkt dominiert noch immer der männliche Blick auf die Welt. Zoë Beck erkennt aber eine neue Welle der Sichtbarmachung von Frauen. Nur so, meint sie, lassen sich Machtverhältnisse dauerhaft korrigieren.

Als vor ein paar Wochen Julian Reichelt bei der »Bild« dann doch gehen musste, war meine Freude zunächst groß. Und nicht nur meine, ein paar Stunden lang brummte mein Handy, weil auch meine Freundinnen die Nachricht nicht allein feiern wollten. Obwohl keine von uns direkt betroffen war.

Diese grimmige Freude hat eine Menge damit zu tun, dass wir letztlich alle noch auf das große #MeToo der Buchbranche warten. Seit Jahren haben wir unsere Listen im Kopf, mit den Namen derer, die es eigentlich treffen müsste, aber es ist schwierig. Machtdynamiken sind komplex, Angst und Scham spielen eine Rolle, Frauen wird oft nicht geglaubt, und – wie man am Fall Reichelt gesehen hat – vieles gilt ohnehin nur als Kavaliersdelikt, als Marginalie, und schon bekunden andere Männer ihre Solidarität. Es geht um mehr als harte Fakten.

Es geht um ein System, in dem wir leben und dessen Regeln wir mehr oder weniger befolgen, denn sich dagegen aufzulehnen, erschöpft ungemein. Das System Reichelt (Name austauschbar durch so viele andere) lebt davon, dass weg­geschaut wird, dass man froh ist, wenn es eine nicht selbst trifft, dass gesagt wird: Der ist halt so, »boys will be boys«, und gemeint sind damit aber eben auch die Machtverhältnisse, die Ungleichheiten, die an das Geschlecht gekoppelten Zuschreibungen. Es ist klar, wer hier die Deutungshoheit hat und diese ganz sicher nicht aufgeben will.

Sexismus tragen wir alle mit. Durch Schweigen, Dulden, Reproduzieren von Rollenbildern.

Zoë Beck

Die Zahlen, die in den vergangenen Jahren dank #frauenzählen und Erhebungen der BücherFrauen und anderer Datensammlerinnen zusammengetragen wurden, kennt man, es sind mehr Männer in Führungspositionen, im Hardcover, es werden mehr Männer im Feuilleton besprochen, sie bekommen mehr Preise. Spitzenpositionen und Spitzenplatzierungen sind nur ein Symptom dafür, was insgesamt immer noch schiefläuft, und sie haben bewusste wie unbewusste Auswirkungen – zugunsten der Männer. Wobei Sexismus nur eine Form der Diskriminierung ist, stellvertretend für alles, was nicht der Norm (weiß, heterosexuell, westlich etc.) entspricht. Diese sichtbaren Spitzenplätze prägen, wie wir die Welt sehen und wie wir neue Welten schaffen. Sexismus geht nicht nur von Männern in Machtpositionen aus, aber dort zeigt er sich am deutlichsten. Sexismus tragen wir, wenn es schlimm läuft, und das tut es weiterhin, alle mit. Durch Schweigen, Dulden, Reproduzieren von Rollenbildern, durch all das, womit wir aufgewachsen sind, womit wir in den alltäglichen Narrativen konfrontiert werden. 

Sexismus hat eine Menge mit Sichtbarkeit zu tun. Unsere weibliche Sichtbarkeit wurde bisher kaum von uns bestimmt, sondern vom männlichen Blick, was dieser Blick sehen will, und das muss sich nachhaltig ändern. Dank der Frauenbewegung gab es schon mal eine Sichtbarmachung von Frauen in Kunst und Wissenschaft. Nur wurden diese Frauen dann wieder vergessen, weil sie doch nicht in die Geschichts­bücher und Anthologien aufgenommen wurden oder in den Kanon, der für Schulen und Universitäten gilt. Wir erleben gerade eine neue Welle der Sichtbarmachung. Und wir müssen dafür sorgen, dass es diesmal bei der Sichtbarkeit bleibt. Nur so lassen sich die Machtverhältnisse ausgleichen, lässt sich der »male gaze« korrigieren, der Sexismus auf Dauer ­bekämpfen.