Neueröffnung als "Museum der Langsamkeit"

Wie das Literaturhaus Freiburg dem Virus trotzt

21. Juni 2020
von Nils Kahlefendt

Literaturhaus-Leiter Martin Bruch über analoge Überlebensstrategien im Lockdown - und ein Konzept, das die geltenden Corona-Auflagen grandios unterbietet.

Nicht wenige Kulturinstitutionen machen in Corona-Zeiten das, was sie schon immer mal tun wollten, also aus der Not eine Tugend. Wie ist es bei Ihnen? 

Wir probieren vieles aus. Eine der interessantesten Richtungen, die wir bisher eingeschlagen haben, war die Wiederentdeckung einer Maschine, die hier im Literaturhaus seit 2017 steht – ein Risograph, eine alte japanische Schnelldruckmaschine, die im mechanischen Siebdruck funktioniert. Als der Lockdown begann, haben wir damit eine Mini-Zeitung mit Beiträgen der Künstlerinnen und Künstler gedruckt, die eigentlich ab der zweiten Märzhälfte hier zu Gast sein sollten. Wir haben das Blatt „Wurfpost“ genannt und zunächst an unsere Vereinsmitglieder geschickt. Nach einem Bericht der Regionalzeitung hatten wir übers Wochenende auf einmal 400 Bestellungen. Dann haben wir eine 1000-er Auflage produziert, wir waren hier 14 Tage eine einzige Druck- und Versand-Zentrale (lacht). Das hat nicht nur großen Spaß gemacht. Wir haben gemerkt, dass das auch eine Form ist, mit der Situation umzugehen: Den analogen Briefkasten zu bedienen.

Wir möchten die Zwischenzeit für eine Suchbewegung nutzen, hin zum Unvermuteten, Zufälligen und Widerständigen.  

Dabei sind Sie aber nicht stehengeblieben?

Für uns war klar, dass es eine zweite "Wurfpost" geben sollte. Ebenso sicher waren wir, dass es auf absehbare Zeit im Literaturhaus keinen Regelbetrieb geben wird, wie wir ihn kannten – und dass wir unser Veranstaltungshaus anders denken müssen. Am 7. Juni ist das Literaturhaus Freiburg nun als "Museum der Langsamkeit" eröffnet worden – mit einer temporären Installation und der zweiten, wieder von Andreas Töpfer gestalteten "Wurfpost" als Ausstellungskatalog. 

Sie feiern Entschleunigung und achtsames Atmen? 

Nein, das würde angesichts der dramatischen Folgen der Pandemie und drängender Fragen von Migration, Klimawandel und sozialer Not doch etwas hohl tönen. Wir möchten die Zwischenzeit stattdessen für eine Suchbewegung nutzen, hin zum Unvermuteten, Zufälligen und Widerständigen.  

Wie muss man sich das "Museum der Langsamkeit" vorstellen?

Wir haben 16 Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstler um Beiträge gebeten – von Texten über Videos und Audios bis zu Zeichnungen. Aus dem Material hat der Szenograph Jens Burde eine begehbare Installation entworfen, die die transformative Kraft der Kunst in Hör- und Seherlebnissen bündelt. 

Maximal fünf Personen erkunden bei uns für je 60 Minuten den Raum.

Wie halten Sie es mit den nötigen Abstands- und Hygieneregeln?

Das Literaturhaus Freiburg hat unter Normalbedingungen eine Kapazität von rund 150 Besuchern. Unter den aktuellen Auflagen wären es 30 Besucher. Mit dem „Museum der Langsamkeit“ unterbieten wir diese Zahlen grandios: Maximal fünf Personen erkunden bei uns für je 60 Minuten den Raum. Dafür können sie sich frei bewegen und immer andere Entdeckungen machen.

Was planen Sie mit Blick auf den Herbst?

Wir hoffen, dass wir ein gewohnt vielfältiges Programm anbieten können – wenn auch für ein zahlenmäßig kleineres Publikum im Saal. Wie alle Häuser beschäftigt uns natürlich die Frage, wie wir darüber hinaus Literaturinteressierte erreichen können. Wir denken viel darüber nach, wie digitale Formate funktionieren könnten, die über das bloße Abfilmen von Lesungen hinausgehen. Ich war neulich das erste Mal seit langem wieder in einer Gaststätte – und fand die Abstände, den vielen Platz, überraschend angenehm. Es sollte uns gelingen, unser Haus in dieser Hinsicht umzubauen, mit einer gewissen Lässigkeit zu bespielen. Auch neue Formate zu erfinden, ob analog oder digital. Es reicht jedenfalls nicht, wenn wir uns nur digital begegnen. 

Martin Bruch, geboren 1984 in Siegen, studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, Rom und Berlin und war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift BELLA triste. Nach Tätigkeiten im Frankfurter Verlag weissbooks.w und in der Zentrale des Goethe-Instituts leitet er seit 2014 das Literaturbüro Freiburg, seit Oktober 2017 das Literaturhaus Freiburg.