Die Sonntagsfrage

Was bedeuten die Kürzungen im Berliner Kulturetat für die Buchbranche, Leif Greinus?

8. Dezember 2024
Redaktion Börsenblatt

In Berlin tauschen sich Autorinnen mit Kolleginnen aus, werden erste Auftritte absolviert und Netzwerke geknüpft, geben Plattformen ihnen die Chance, ein Publikum zu finden: Voland&Quist-Verleger Leif Greinus erläutert, warum Berlin für die Buchbranche wichtig ist. Und warum die Branche nicht auf Spitzwegs "Armen Poeten" schielen, sondern mit breiterem Kreuz und ein bisschen mehr Schwefel, Teufelsgeige und Stroboskop ihre Forderungen gegenüber der Politik durchsetzen sollte.

Leif Greinus

2018 war es so weit: Voland & Quist verlegte seinen Sitz von Dresden nach Berlin. Nicht der Slogan "Arm, aber sexy" gab den Ausschlag, sondern der Blick auf unsere nationalen Honorarabrechnungen brachte uns auf die Idee. 80 % der Abrechnungen gingen und gehen nach Berlin. Für uns als Verlag hat sich diese Entscheidung als ausgesprochen wegweisend und überaus bereichernd erwiesen, mit spürbar positiven Effekten auf unser Programm, unsere öffentliche Wahrnehmung und – entscheidend – auf Umsatz und Absatz.

Nähe verbindet: kreativer Austausch vor Ort

Für uns bedeutet der Standort Berlin, sich jederzeit mit unseren Autorinnen zu treffen – ob zum Mittagessen im Verlag, bei Lesungen an den Literaturorten der Stadt oder zu Abendveranstaltungen in unseren Verlagsräumen. Diese Nähe verbindet, verändert positiv die Arbeit an den entstehenden Texten und bietet dabei auch Raum, um das Sichtbarmachen der Buchveröffentlichungen gezielt zu planen und zu organisieren, anstatt Novitäten ziellos in den Buchmarkt zu werfen.

Unser Umzug nach Berlin war aber auch aus einem ganz anderen Grund wichtig: das Entdecken neuer Stimmen. Autorinnen benötigen mehr als nur Ideen für Texte, um literarisch zu wirken. Sie brauchen geschützte Räume, die ihre Arbeit ermöglichen und fördern. Literaturhäuser, Schreibwerkstätten und Werkstipendien bieten genau diese unerlässlichen Voraussetzungen. Hier entstehen Texte, hier findet der kreative Austausch mit Kolleginnen statt, hier werden erste Auftritte absolviert und Netzwerke geknüpft, die Karrieren erst ermöglichen. Solche Orte sind nicht nur Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten, sondern auch wichtige Plattformen, um sich untereinander über die Buchbranche auszutauschen und mit dem Literaturpublikum in Kontakt zu treten. Ohne diese geschützten Räume drohen nicht nur individuelle Schreibprozesse ins Stocken zu geraten, sondern auch die Vielfalt und Innovationskraft der gesamten Literaturszene zu erodieren.

Sichtbarkeit und die Chance, ein Publikum zu finden

Für viele Schreibende sind Honorare aus Lesungen, Festivalauftritten und anderen literarischen Veranstaltungen ein unverzichtbarer Teil ihres Einkommens. Diese Einnahmen fallen mit dem Rückgang solcher Formate weg – in einer Branche, in der die meisten ohnehin schon unter prekären Bedingungen arbeiten. Noch bedrohlicher ist jedoch die langfristige Perspektive: Ohne ausreichende Sichtbarkeit und Plattformen werden neue Autorinnen kaum mehr die Chance haben, ein Publikum zu finden. Viele könnten gezwungen sein, ihre schriftstellerische Tätigkeit aufzugeben, was die Vielfalt und Qualität der Literaturlandschaft in Berlin und darüber hinaus massiv einschränken würde. Ein Klima, das Kreativität erstickt, anstatt sie zu fördern, wird Berlin letztlich mehr kosten, als es spart. Und das Fehlen von Kreativität in Berlin wird sicherlich nicht zu vermehrter Kreativität in Uelzen führen. An einer schwindenden Literaturlandschaft in Berlin wird der gesamte deutschsprachige Raum leiden.

Ab jetzt ein bisschen mehr Schwefel, Teufelsgeige und Stroboskop

Eine der für mich erstaunlichsten Erkenntnisse beim Beginn meines Studiums der Verlagswirtschaft in Leipzig war der große wirtschaftliche Faktor unserer Branche. Den vergessen wir jedoch immer wieder. Statt mit breitem Kreuz unsere Forderungen gegenüber der Politik durchzusetzen (Stichwort strukturelle Verlagsförderung), schielen wir mit einem Auge auf Spitzwegs "Armen Poeten" und freuen uns, dass das Dach noch dicht ist. Liebe Literaturmenschen, versteht unseren offenen Brief auch als eine Aufforderung an uns selbst: ab jetzt ein bisschen mehr Schwefel, Teufelsgeige und Stroboskop.