"Und dann kommt schon die Geschichte"
Paul Maar (85) blickt auf eine außergewöhnliche Schriftstellerkarriere zurück: Im Interview mit dem Börsenblatt erzählt er, was für eine traurige Geschichte ihn zum „Sams“ inspiriert hat.
Paul Maar (85) blickt auf eine außergewöhnliche Schriftstellerkarriere zurück: Im Interview mit dem Börsenblatt erzählt er, was für eine traurige Geschichte ihn zum „Sams“ inspiriert hat.
Ralf Schweikart: 1967 haben Sie ihre Geschichte „Der tätowierte Hund“ geschrieben. Die ist 1968 erschienen. Jetzt ganz aktuell heißt Ihr Erinnerungsbuch „Ein Hund mit Flügeln“ - sind Sie einen großer Hundefreund?
Ja, denn meine Eltern hatten immer Hunde und ich war für die Hunde zuständig. Ich bin mit Hunden groß geworden. Ich musste immer dafür sorgen, dass das Fressen da ist und so weiter.
Ralf Schweikart: Es ist ja nochmal ein anderer Schritt die Tiere auch in Ihre Geschichten zu integrieren. Was fasziniert Sie daran?
Schwierige Frage! Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Vielleicht einfach, weil ich Hunde liebe und weil ich auch von meinen eigenen drei Kindern genau weiß, was für eine große Anziehungskraft Tiere - und insbesondere Hunde - auf Kinder ausüben. Kinder identifizieren sich auch oft mit Tieren. Meine Tochter Anne war zum Beispiel der Bello. Sie hat immer Hund gespielt und da konnte ich sie auch mal „disziplinieren“: Wenn wir abends im Restaurant waren und sie irgendwie herumgerannt ist, dann habe ich gesagt: „Bello Platz!”
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen selbstzufrieden, aber ich bin eigentlich mit allem zufrieden, was so gelaufen ist
Stefan Hauck: Wenn sie jetzt, 55 Jahre später, auf Ihre große Schriftsteller-Karriere zurückblicken, wo sehen Sie da Ihre persönlichen Höhepunkte?
Man ist sehr stolz, wenn man das erste Buch geschrieben hat und das Buch tatsächlich einen Verlag findet. Das war schon mal der erste Höhepunkt. Dann natürlich, als mir die „Sams“-Geschichte eingefallen ist: Da hatte ich noch nicht die geringste Ahnung, dass das mal so ein großer und auch internationaler Erfolg sein würde! Auch „Lippels Traum“ habe ich gerne geschrieben. Da hatte ich eine Herzgeschichte und lag im Krankenhaus. Das Buch habe ich zum großen Teil im Krankenhaus geschrieben. Güney, das war der türkische Arzt, der mich damals gepflegt hat. Dessen Name habe ich für eine Familie im Buch geborgt.
Stefan Hauck: Welche Tiefpunkte gab es denn, die sie überwinden mussten oder überwunden haben?
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen selbstzufrieden, aber ich bin eigentlich mit allem zufrieden, was so gelaufen ist. Ja, ich kann nicht sagen, dass mir Irgendetwas misslungen ist. Ich war immer mit meinen Büchern zufrieden. Ich habe immer einen Verlag gefunden und das war ja für mich die Hauptsache!
Stefan Hauck: Im vergangenen Jahr haben sie jetzt nochmal einen „Sams“-Band geschrieben: „Das Sams und die große Weihnachtssuche“. Wie ist das, wenn man nach so langer Zeit wieder ein vertrautes Figurenarsenal nutzt?
Das Sams gehört gewissermaßen zu meiner Familie. Das ist so, als ob mich ein Neffe besucht oder meine Enkel aus Berlin vorbeikommen, so kann ich auch das Sams aufnehmen. Wenn ich nach einiger Zeit mal wieder Lust habe, eine Sams-Geschichte zu schreiben, dann muss ich nur nachfragen: „Liebes Sams, was würdest du gerne erleben? Ach, Weihnachtenfeiern? Ist gut, dann denk ich mal drüber nach!“ und dann kommt schon die Geschichte.
Ralf Schweikart: Hat sich diese Figur auch im Laufe der Zeit verändert? Ist das Sams denn noch das ursprüngliche Sams?
Ja, es hat ein Eigenleben bekommen. Im ersten Sammelband war ja meine Hauptfigur gar nicht das Sams, sondern Herr Taschenbier. Ich kannte diesen Herrn Taschenbier, das war der Buchhalter meines Vaters. Er war genauso wie ich den Herrn Taschenbier beschrieben habe. Ich habe ihn als Kind erlebt. Ich habe ihn gesehen und dachte mir: Wenn ich ihm doch nur ein bisschen mehr Lebensfreude geben könnte, weil er so schüchtern war und mir irgendwie einsam vorkam. Das kann man natürlich als Kind nicht, aber als erwachsener Autor kann man ihn zum Leben erwecken, ihm eben den Namen Taschenbier geben und ihm ein Wesen zur Seite stellen, dass das genaue Gegenteil von ihm ist: Er schüchtern, es muss also frech sein, er ist ängstlich, also muss es mutig sein, er ist kontaktgestört, es quatscht jeden an, usw.. So entstand eigentlich mit der Hauptfigur Taschenbier dieses Gegenwesen, das Sams. Und das hat dann so ein Eigenleben entwickelt, dass dieser Herr Taschenbier in den folgenden Büchern gar nicht mehr so wichtig war.
Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch mit Paul Maar, das Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck und Ralf Schweikart im Rahmen des Börsenblatt-Podcasts „Kinderbuchpraxis“ geführt haben. Das ganze Gespräch gibt’s zum Nachhören. Weitere Themen: Wie es mit dem Mini-Sams weitergeht und Paul Maars Herzensthema Leseförderung. Maar verrät, wie sich sein Rum auf seinen Alltag auswirkt. Außerdem stellt er das Buch vor, an dem er gerade arbeitet: Darin versucht eine gemeine Zauberin ihre Tochter auf den „richtigen“ Weg zu bringen, die aber hält so gar nichts von schwarzer Magie … „Die Tochter der Zauberin“ (so der Arbeitstitel) wird im Oetinger Verlag erscheinen.