Die folgende Antwort stammt aus Sebastian Tippes Buch "Toxische Männlichkeit – Erkennen, reflektieren, verändern", das im Januar im Edigo Verlag erschienen ist.
"Geschlecht ist ein soziales Konstrukt – das gibt Hoffnung! Da toxische Männlichkeit eben nicht auf biologische Ursprünge zurückzuführen ist, ist diese auch veränderbar. Momentan kämpfen fast ausschließlich Frauen für Gleichberechtigung. Parallel organisieren sich Menschen, die unter dem Deckmantel des Feminismus diesen von innen bedrohen und sabotieren, da sie patriarchale Strukturen reproduzieren und versuchen, die Gewalt an Frauen unsichtbar zu machen. Zudem erstarken rechte, rechtsextreme und rechtspopulistische Bewegungen mehr und mehr und führen einen Kampf gegen Gleichberechtigung, bei dem sich Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus verschränken. [...]
Betreiber sozialer Netzwerke gehen trotz gesetzlicher Auflagen nicht ihrer Aufgabe nach, sich um Bedrohungen gegen Frauen und Sexismus auf ihren Plattformen zu kümmern – ganz im Gegenteil werden Meldungen, beispielsweise bei Facebook, regelmäßig mit den Worten „entspricht den Gemeinschaftsstandards“ abgetan.
Und doch regt sich etwas. Ein Widerstand. Die Frauenbewegung ist keine neue – aber seit #metoo positionieren sich mehr und mehr Frauen für einen Kampf um Gleichberechtigung. Es werden on- wie offline Gruppen und Vereine wie SHESPECT e.V. gegründet, die sich gegen Sexismus, Hate Speech und Frauenhass einsetzen. Im Juni 2020 urteilte das Oberlandesgericht Köln, dass pauschale Verunglimpfungen/Angriffe auf die Menschenwürde von Frauen unter dem Paragrafen 130 der Volksverhetzung des Strafgesetzbuches geahndet werden können – und hob den Freispruch eines Mannes des Landgerichts Bonn wieder auf – der Mann hatte Frauen auf seiner Webseite als „Mensch zweiter Klasse“, „den Tieren näherstehend“ und als „minderwertige Menschen“ bezeichnet. Die Stimmen, die das Nordische Modell fordern, werden lauter, vereinzelt gibt es geschlechtersensible Angebote und Projekte wie die feministische Jungenarbeit. Der Ruf nach der Dekonstruktion von toxischer Männlichkeit ist mittlerweile unüberhörbar. Und: Das Thema erreicht nach und nach die Öffentlichkeit – und die Männer.
Bisher sind es nur wenige, aber mit jedem Mann, der für den Feminismus gewonnen werden kann, der dann wiederum weitere Männer sensibilisiert, wird die Solidarität für Frauen, für eine gleichberechtigte Gesellschaft und gegen Sexismus sowie gegen Frauenhass größer. Es ist ein langer Weg, bis die Benachteiligung von Frauen abgeschafft ist, bis die Gewalt gegen Frauen aufhört, bis feministische Theorien und das Sichtbarmachen von Frauen und ihrer Leistungen in sozialen Ausbildungsstätten und Berufen, in Therapiekontexten, in der Justiz und allen Behörden und Einrichtungen, in Kitas, Horten und Schulen, in der Politik und allgemein in der Gesellschaft angekommen sind.
Am Ende wird es ein Gewinn für alle Menschen sein: für Männer, die gesünder und länger leben werden, die einen Zugang zu ihren Gefühlen erlernen und sich nicht mehr in stereotype Geschlechterbilder pressen lassen müssen. Für Frauen, die nicht mehr permanent in Sorge leben müssen, weil sie Gewalt durch Männer erleben und strukturell benachteiligt werden könnten, für Frauen, die nicht mehr objektiviert, sexualisiert und wie eine Ware gehandelt werden, für Männer und Frauen, die endlich Beziehungen auf Augenhöhe führen können. Für Kinder, die nicht in ein binäres Geschlechterkonstrukt gepresst werden und sich (gewalt-)frei entfalten können; für Familien und Partnerschaften bis hin zu jedem Menschen dieser Gesellschaft. Es werden alle davon profitieren."