Welt am Sonntag-Lesetipp

"Schleichender Relevanzverlust der Buchbranche"

22. Juni 2020
Redaktion Börsenblatt

Richard Kämmerlings wirft der Buchbranche Debattenmüdigkeit vor. Buchmessenabsagen, Verlegerinnenkarussell und Provinzialisierung seien „Symptome des schleichenden Relevanzverlusts einer einst herausragenden Branche“.  Er titelt: „Das Ende der Literatur“.

„Jahrzehntelang hat die Buchwelt die geistige Landschaft und die gesellschaftlichen Debatten in Deutschland geprägt. Längst hat ein tiefgreifender Wandel stattgefunden, der in der Auszeit besonders sichtbar wird.“ So leitet Richard Kämmerlings seinen Artikel in der Welt am Sonntag ein. „Ein Weckruf in zehn Thesen“, nennt er es. Zehn Thesen, woran er den Relevanzverlust der Buchbranche erkennt.

Zum einen kritisiert er die Verlags-Absagen zur Frankfurter Buchmesse. „Die ideelle Bedeutung für die ganze Branche spielte offenbar keine Rolle. … Dass wichtige Teile der Verlagslandschaft die Messe im Stich lassen, ist ein Armutszeugnis dafür, wie weit die verlegerische Macht in den Konzernen schon gegenüber den Kaufleiten ins Hintertreffen geraten ist.“

Zum anderen fehlt es Kämmerlings auch an Kontinuität an der Verlagsspitze großer Häuser. „Verlegerinnenkarussell“ bezeichnet er die jüngsten Entwicklungen. Diese Fluktuation verhindere, dass Verlagschefs eine eigene Handschrift entwickeln könne. Im nächsten Abschnitt erinnert Richard Kämmerlings an Verlagsleiter wie Reinhold Neven Du Mont, Wolfgang Beck und Monika Schoeller, die „ihre Häuser über Jahrzehnte geprägt“ haben.

Unsere Probleme vom Klimawandel über den Rechtspopulismus bis zur Pandemie sind global, aber die Literaturszenen bleiben hübsch getrennt.

Richard Kämmerlings in der "Welt am Sonntag".

Außerdem bemängelt Kämmerlings die Debattenmüdigkeit – vor allem die der Autoren. „Dass ein monatelanger Ausnahmezustand keine lautstarken Wortmeldungen prominenter Schriftsteller provoziert, wäre früher undenkbar gewesen“. Kämmerlings hat die Proteste gegen die Schließung von Buchhandlungen vermisst. „Zu Zeiten von Frisch, Peter Weiss und dem jungen Walser“ hätte es das nicht gegeben, meint er.

„Der Literaturbetrieb im 20. Jahrhundert war durch und durch international – die Intellektuellenszenen … waren eng miteinander vernetzt.“ Heute habe man für jedes Land einen Fachmann. „Zugleich nimmt man Debatten selbst in den Nachbarländern nicht mehr zur Kenntnis. Unsere Probleme vom Klimawandel über den Rechtspopulismus bis zur Pandemie sind global, aber die Literaturszenen bleiben hübsch getrennt.“

Was Richard Kämmerlings noch zur Debattenmüdigkeit der Verlage, Autoren und Literaturkritik sowie zur „Provinzialisierung“ zu sagen hat, können Sie im Artikel "Das Ende der Literatur" in der „Welt am Sonntag“ vom 21. Juni  (Nr. 25) auf Seite 49 nachlesen.

 

Debattenmüdigkeit, Verlegerinnenkarrussel und Provinzialisierung: Was sagen Sie? Könnte die Buchbranche wieder einen Hauch der Debattenkultur des 20. Jahrhunderts ertragen oder hat sich die Debatte einfach ins Netz verschoben?