Nach der Leipzig-Absage: Eine Branche im Streit
Auch zwei Tage nach der Absage beschäftigen sich die Medien mit der Leipziger Buchmesse. Es geht um Ursachenforschung und Zukunftsfragen - und es wird auch heftig gestritten.
Auch zwei Tage nach der Absage beschäftigen sich die Medien mit der Leipziger Buchmesse. Es geht um Ursachenforschung und Zukunftsfragen - und es wird auch heftig gestritten.
Sind Messeformate wie in Leipzig noch zeitgemäß? Wer ist schuld an der Absage der Buchmesse? Diesen Fragen geht die Leipziger Volkszeitung (LVZ) in ihrem Artikel „Nur noch eine Wüste“ auf den Grund. Die Schuldzuweisung an große Verlage, sie hätten durch ihre Nicht-Teilnahme die Absage der Leipziger Buchmesse erzwungen, wurde in den letzten Tagen mehrfach geäußert. In einem offenen Brief machten etwa Autorinnen und Autoren ihrem Ärger Luft: "Macht die Buchmesse auf! Wir wollen lesen!" Die Frage, ob große Verlage so auch den kleinen schaden, verneint der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt entschieden. Schaden sehe er eher in der „Legende“, dass Konzernverlage die Leipziger Buchmesse und kleine Verlage zerstören wollen.
Er selbst habe bereits am 20. Januar abgesagt, so die LVZ. Leipzig sei in erster Form eine Kommunikationsmesse, die nur sinnvoll für Verlage sei, wenn Kommunikation stattfinden kann. Das Hygienekonzept habe „Kommunikation de facto unmöglich“ gemacht. Eine Messeteilnahme hätte aus seiner Sicht „keine Aussicht auf Erfolg“ gehabt.
Auch Steffen Schulze, Marketingleiter beim Messeveranstalter AUMA, findet Schuldzuweisungen unfair. Er weist mit Hinblick auf die nur vier Wochen geltenden Corona-Schutzverordnungen auf die Planungsunsicherheit hin. Man könne es kaum verübeln, wenn man seine Teilnahme vorher schon abgesagt habe.
Ob eine Buchmesse noch zeitgemäß ist, hänge für die "Leipziger Volkszeitung" nicht von der Pandemie ab, sondern von kommenden Generationen und ihrem Interesse am Buch. Es gebe keinen Ersatz für eine Messe – vergleichbare digitale Räume blieben spärlich besucht.
"Innerer kultureller Kern Deutschlands"
Der deutsche Kulturrat fordert deshalb für das nächste Jahr eine Perspektive. Die Leipziger Buchmesse gehöre zum inneren kulturellen Kern Deutschlands und sei unverzichtbar. „Wir erwarten von der Politik und den Großverlagen, dass für das kommende Jahr alles getan wird, damit die Buchmesse und ‚Leipzig liest‘ stattfinden können“, so Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Er sieht auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth in der Pflicht. Das berichtet unter anderem die „Welt“.
In einem Interview in der FAZ macht auch Messedirektor Oliver Zille deutlich, dass die großen Verlage keineswegs alleinige Schuld an einer Absage der Messe tragen. „Es ist keineswegs so, dass die Konzernverlage hier den Stecker gezogen haben. Natürlich haben wir uns auch permanent beraten. Und ich bin bis zum heutigen Tag überzeugt, dass man hier, was das Hygienekonzept angeht, eine Messe hätte durchführen können. Aber angstfrei war das eben offensichtlich nicht mehr zu leisten“, so Zille im Interview. „Die Verlage haben argumentiert, sie hätten große Personalausfälle, weil Leute krank oder in Quarantäne seien. Und dass sie es den Mitarbeitern freistellen würden, ob sie nach Leipzig führen. Und dabei kamen offenbar nicht genügend zusammen.“ Auch kleine Verlage hätten im Vorfeld der Messe abgesagt. Er wolle keinen Verschwörungstheorien Vorschub leisten.
Die Konzernverlage wehren sich vehement gegen Schuldzuweisungen und gegen die Behauptung, für sie sei die Leipziger Buchmesse nicht mehr von Bedeutung. Gestern bekennt sich Holtzbrinck zu Leipzig 2023. Auf LinkedIn macht sich Rebecca Prager, Leitung Unternehmenskommunikation von PRH, Gedanken. „Was ist denn hier gerade los?“, fragt sie die Branche. „Es ist Pandemie mit Infektionszahlen, die wir so noch nie gesehen haben. Verlage – große wie kleine – haben ihre Messestände in Leipzig abgesagt, weil sie die tagelange Präsenz in Messehallen mit zigtausenden anderen Menschen für gefährlich halten. Und daraus wird jetzt abgeleitet, dass die großen Verlagsgruppen 'am Beispiel der Leipziger Buchmesse einmal ausprobieren wollten, wie groß ihre Macht tatsächlich ist' und 'in einem Moment großer Fragilität ein zweites Gesicht zu zeigen und Stand- und Personalkosten zu sparen' (SZ, 9.2.). Geht‘s eigentlich noch?“
Prager weist auf die große Leidenschaft hin, mit der man sich bei PRH, und sicherlich in den anderen großen Verlagen, für literarische Stimmen stark mache, und dass die Veranstaltungskolleginnen seit Monaten auf die Messe hingearbeitet hätten. Was sie sicher wisse, sei, dass vermeintliche Kosteneinsparungen absolut gar nichts mit dieser Absage zu tun hätten. „Und ich weiß, dass wir bei Penguin Random House nächstes Jahr unbedingt wieder mit einem Stand in Leipzig stehen wollen.“
Auf die Frage, ob die Buchmesse drei Absagen überstehen könne, antwortet Oliver Zille in der FAZ entschieden, dass er vom Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig das Signal erhalten habe, alle Mittel in die Hand zu bekommen, um die Messe in den kommenden Jahren durchzuführen.
In der "Leipziger Zeitung" schreibt Michael Freitag, dass die pandemische Begründung seitens der Verlage nur eine offizielle sei. Ehrlicher scheine ihm die Erklärung, dass den größeren Verlagen das Kostenrisiko zu hoch sei und das Vertrauen in die Besucherzahlen fehle. Freitag kritisiert außerdem die „Messeleitung um Oliver Zille“ dafür, die Buchmesse nicht weiter ins Jahr 2022 hineinverlegt zu haben, oder auf eine Umorganisation von „Leipzig liest“ gesetzt zu haben oder ein digitales Alternativformat geplant zu haben. Er spricht von einem „Komplettversagen der Organisation“ in diesem Jahr.
In der FAZ kommentiert Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg, die Absage der Leipziger Buchmesse. Er weist auf das schlechte Standing der Messe bei Controllern großer Häuser in den 90er Jahren hin. Erst der Erfolg des Lesefestivals habe die Stimmung in den Verlagen markant verändert. „Doch wie sich nun mit der dritten Absage der Leipziger Buchmesse in Folge zeigt, waren die bösen Geister der Vergangenheit nicht wirklich tot. All die Jahre über befanden sie sich offenkundig im Standby-Modus, auf eine Gelegenheit lauernd, der Leipziger Messe den Garaus zu machen und dem Frankfurter Herbstereignis zu huldigen.“ Wer die Begründungen der Großkonzerne lese, käme nicht umhin, sich an alte Zeiten erinnert zu fühlen.
Man verstecke sich hinter der Pandemie, schütze wirtschaftliche Argumente vor und spekuliere darauf, dass hybride und digitale Formate ein Messetreffen mit echten Menschen ohnehin überflüssig machen. Rainer Moritz ist sich sicher, hätte man in den Verlagen so viel Einsatz wie im vorigen Herbst für Frankfurt gezeigt, sei eine Leipziger Buchmesse in diesem Jahr möglich gewesen.