Vorlesewettbewerb 2023

Mika Ekelhoff ist Deutschlands bester Vorleser

21. Juni 2023
Redaktion Börsenblatt

Seufzen, erzürntes Schreien oder Zickenkrieg: Die Bandbreite der Stimmen der 16 Landessieger:innen des Vorlesewettbewerbs war großartig. Beim spannenden Bundesfinale im Studio A des RBB in Berlin kürte die Jury Mika Ekelhoff aus Niedersachsen zum Sieger, der bei seinem Text über kreative Notlügen geradezu vor Energie sprühte.

Vorlesewettbewerb 2023 - Jury und Sieger

Vorlesewettbewerb 2023 - Jury und Sieger (v.l.n.r.): Andreas Pietschmann, Ada Grossmann, Sabine Bohlmann, Mika Ekelhoff, Angelika Schaack, Tim Gailus

"Ich bewundere Euer Können, ich habe es nie so weit geschafft", bekannte Karin Schmidt-Friderichs im Studio A des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) in Berlin, der das Bundesfinale des 64. Vorlesewettbewerbs übertrug. "Es gibt nichts Gutes – außer man tut es", zitierte die Vorsteherin des Börsenvereins Erich Kästner und dankte deshalb "allen, die den Vorlesewettbewerb am Laufen halten, den über 2000 Jurorinnen, die das ehrenamtlich tun, allen, die dem Vorlesen ihre Aufmerksamkeit schenken." Bundesweit haben sich 6.600 Schulen und 520.100 Schüler:innen aus 24.300 Klassen beteiligt; die Zahlen liegen damit wieder auf dem Niveau vor der Pandemie.

Ein bisschen Aufregung gehört dazu, die rasch entstandene Gemeinschaft lenkt vor den Gedanken an die Vorlesesituation ab. "Vor zwölfe hat keener geschlafen", meinte ein Landessieger, macht nix, die Landessieger:innen wirken quicklebendig und frisch. Und klar, eine Chatgruppe haben sie auch schon ganz schnell untereinander gegründet.

Sabine Bohlmann, Kinderbuchautorin, Schauspielerin und Synchronsprecherin, hat vorweg einen Tipp für die 16 Landessieger:innen: "Einfach vorstellen, dass alle im Publikum und die Jury Schlafanzüge anhaben – und schon sind wir auf einer Pyjamaparty und alles ist ganz locker."

Vorlesewettbewerb 2023: Die 16 Finalist*innen

Vorlesewettbewerb 2023: Die 16 Finalist*innen

Atemlosigkeit beim Lesen

Live schaltete RBB in die Schulklasse von Mia Dornbruch nach Brandenburg, die ihrer Klassenkameradin zujubelten. Prononciert und klar las sie, die hintergründige Traurigkeit schwingt in der sehr gut ausgesuchten Textstelle mit“, meinte Angelika Schaack, Hörcompany-Verlegerin und Vorsitzende der Jury. Fast spürbar brachte die hamburgische Landessiegerin Emilia Eckardt die grausame Atmosphäre um die Schändung eines Buchs zum Tragen, der Sendesaal war mucksmäuschenstill. „Du hast uns von der ersten Sekunde an gehabt, wir waren mittendrin“, urteilte Bohlmann. Jakob Jansen-Rosseck aus Sachsen-Anhalt hielt bei "Skaterherz" eine Atemlosigkeit beim Lesen durch, Worte, Sätze, die einfach herausmussten- "ein Wechselbad der Gefühle", meinte KiKA-Moderator Tim Gailus.

Die Landessiegerinnen waren in den anderthalb Tagen in Berlin spürbar zusammengewachsen, sie lächelten einander zu, machten Mut. Sichtlich in seinem Text drin war auch Alexander Dörre aus Bayern, er lächelte, staunte, runzelte die Stirn beim Lesen – Buch und Leser waren eins, großartig. "Toller Spannungsaufbau, ich hab gar nicht mehr gemerkt, dass Du gelesen hast, ich war mittendrin", sagte Ada Grossmann, die im vergangenen Jahr das Bundesfinale gewonnen war und nun traditionell in der Jury ist. Grossmann lobte Alexanders Spannungsaufbau, was auch für Mia-Luisa Küstner aus Rheinland-Pfalz galt, die ebenso souverän wie lebendig die ausgewählte Textpassage vermittelte. "Richtig lebhaft, die Reaktionen der Personen im Buch", befand Juror und Schauspieler Andreas Pietschmann.

Tempowechsel quasi mit Fingerschnipsen

"Lügen ist einfach nur erzählen, wie es auch gewesen sein könnte. Oder sein sollte." Das Zitat aus Stefanie Höflers "Feuerwanzen lügen nicht" stand stellvertretend für die Flughöhe des Textes, den Lara Augustin aus Schleswig-Holstein ausgesucht hatte, den sie unglaublich differenziert zum Tragen brachte. "Die Nuancen so rüberzubringen, dass man das Schwanken, die Unsicherheit des Ich-Erzählers merkt, das ist hohe Kunst", urteilte Angelika Schaack.

Eine Familienszene über eine weggelaufene Schwester hatte Klara Stockhaus aus Thüringen ausgesucht, "die Mutter voll auf 180, dann wieder ruhige Momente, Tempowechsel quasi mit Fingerschnipsen", so Tim Gailus. Die Bücher hatten die Landessiegerinnen diesmal schon etwas vorher nach dem Inhalt aussuchen können, ausgehändigt bekamen sie sie dann am Vortag, um sich eine bestimmte Szene mit höchstens drei Minuten Lesedauer auszuwählen. Eine unheimliche Szene war es bei aus Lukas Fritsch aus Bremen, gruselig, spannend, kaltes Metall, Panik, Stimmen … "Wie Ihr alle mit einem Schlag ruhig werdet, bewundernswert, wie Du die Stimmen wechselst", meinte Sabine Bohlmann.

Kreative Notlügen - und Hörspielcharakter

Als Erste oder als Letzter aufs Podium, das war bei den Jungs schon ein Thema und der Bammel, wie der Zufall entscheidet. "Egal, Hauptsache ich lese", meinte Lara Böttrich. Fröhlich und gelaunt startete die sächsische Landessiegerin und sprang in den Dialogen je nach Protagonistin zwischen zuckersüß und Zickenkrieg. Geradezu vor Energie sprühte Mika Ekelhoff  aus Niedersachsen, als er den inneren Monolog der Ich-Erzählerin ausbreitete, ein Wechsel zwischen wörtlicher Rede und Gedankensprüngen, denn es geht im Textauszug um ein Telefonat mit äußerst kreativen Notlügen – ein wirklicher Zuhörspaß.

Mit viel Augenkontakt zum Publikum agierte Chiara Aurélie Schönecker aus Baden-Württemberg, mit Mimik und Gestik bei einem Text über die erste Begegnung mit einem Großvater – absolut textsicher. Die Betroffenheit mit den handelnden Personen, die Verzweiflung, die bitterkeit – all das brachte Charlotte Theuke aus Hessen zum Ausdruck: "Es war wie bei einem Hörspiel", sagte Sabine Bohlmann, "Du hast die Personen genau identifiziert, man wusste genau, wer wer ist."

Der Sieger Mika Ekelhoff liest vor

Vorleser als Kameramann beim Actionfilm

Und huiii, war das temporeich bei Carl Neumanns stimmlichem Vortrag! Das war eine Atemlosigkeit in einer dramatischen Szene; man hätte im Studio eine Stecknadel fallen hören können. "Du hast die Lesung gestartet wie einen Actionfilm, Du hast uns als Kameramann mitgenommen", fasste Tim Gailus den Eindruck der Jury beim Landesssieger aus Mecklenburg-Vorpommern zusammen.

Es ging aber auch ganz anders, nachdenklich, besonnen: Louisa Obermeyer aus Nordrhein-Westfalen erläuterte, wie der demente Großvater im lichten Moment seinem Enkel die Unbarmherzigkeit, die Grausamkeit des Kriegs – Louisa schafft es, die Wahrheit satzweise ans Tageslicht zu befördern. "Unglaublich, an welch schwierige Themen Ihr Euch rantraut“, sagte Angelika Schaack, "Du hast Dich so zurückgenommen und den Großvater in den Vordergrund gerückt", es wirkte authentisch, berührend.

Keine leichte Entscheidung für die Jury

Die kürzeste Anreise der Landessieger hatte Celia Spickhoff aus Berlin, die sorgsam ausgewogen intonierte bei einem ernsten Thema, Sklaverei, "Du hast es so echt vorgelesen, ich bin noch etwas sprachlos“, meinte Ada Grossmann. Geradezu eindringlich las Joshua Elias Kläser aus dem Saarland, der mit gut 750 km die längste Anreise hatte und auch am längsten warten musste, bis er an der Reihe war. "Du hast absolut gut mit dem Tempo variiert, das ist bei spannenden Geschichten alles andere als einfach", urteilte Andreas Pietschmann "das wird keine einfache Entscheidung für uns in der Jury, ihr habt alle so toll gelesen!"

Keine leichte Entscheidung also für die Jury. "Ihr habt Euch unglaublich gut in Eure Charaktere hineinversetzt", lobte Juryvorsitzende Angelika Schaack. "Das ist die schönste Aufgabe, die ich bislang in meiner Amtszeit hatte", meinte Karin Schmidt-Friderichs, die den Gewinner verkünden durfte: "Mika Ekelhoff aus Niedersachsen!"