Die am 1. September 1940 in Lillebonne geborene Ernaux wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, ihre Eltern führten in der Normandie einen Krämerladen mit Café. Nach dem Besuch eines Mädchenpensionats studierte Ernaux Literaturwissenschaften in Paris, unterrichtete an einem Gymnasium und promovierte 1971. Später unterrichtete sie als Dozentin an der staatlichen Fernuniversität.
Jurymitglied Anders Olsson begründete die Entscheidung, Ernaux habe die Auszeichnung bekommen "für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Zwänge der persönlichen Erinnerung aufdeckt". Ernaux stehe in der französischen Tradition, schreibe eine strenge Prosa mit Blick auf soziale Kontexte, zeichne engagiert arme und ehrgeizige Charaktere aus dem Umland. Sie kreise um die Themen Geschlecht, Sprache und Klasse, "früh schon setzte sie sich literarisch mit ihren Erfahrungen von Klasse und Herrschaft auseinander als Erinnerungsprojekt, das die Grenzen der Literatur über die Fiktion im engeren Sinne hinaus erweitert." Vor allem aber: "Sie hat die Literatur in vielerlei Hinsicht wirklich erneuert." Welches Buch sollte man zum Einstieg in ihr Werk lesen? "'Der Platz'", empfahl Olsson auf Nachfrage.
Auf die Frage eines Journalisten, was die Jury den Schriftstellern außerhalb von Europa nach der Entscheidung für eine Europäerin sagen könne, betonte Anders Olsson, dass die Jury viele unterschiedliche Kriterien im Blick habe: "Wir können nicht alle erfüllen, die allerwichtigste jedoch ist die literarische Qualität in den Werken des Preisträgers. Wir versuchen, alle Regionen dieser Erde zu berücksichtigen, im vergangenen Jahr kam der Preisträger nicht aus Europa, es war ein Mann, dieses Jahr ist es eine Frau." Es sei sicher keine einfache Aufgabe, entsprechend verliefen auch die intensiven Diskussionen. In ihre Diskussionen mochte die Jury auf Nachfrage einer Journalistin aber keine Einblicke geben, sie seien geheim, sagte Ellen Mattson, die mit Olsson, Steve Sem-Sandberg, Anne Swärd und Per Wästberg die Jury des Literaturnobelpreises bildet. Sie gehören zu den insgesamt 18 Mitgliedern der Schwedischen Akademie, die Sie hier finden.