Finanzielle Lage der Literaturhäuser

"Kostenexplosionen werden durch Reduktion von Vielfalt kompensiert"

24. Februar 2023
Redaktion Börsenblatt

Das Netzwerk der Literaturhäuser sieht die Sicht- und Erlebbarkeit des Kulturguts Buch und damit auch eine wesentliche Existenzgrundlage von Autor:innen in Gefahr. Der Finanzierungskollaps sei absehbar. Die Literaturhäuser appellieren an die Politik, deren Leuchtturmkulturpolitik die Literatur immer nachrangig bezuschusst habe. 

„Ein Finanzierungskollaps der Literaturvermittlung, von Lesungen, Gesprächen und Diskussionen, steht absehbar bevor“, beginnt das Netzwerk der Literaturhäuser seinen Appell, ein Ergebnis der außerordentlichen Tagung des Netzwerks zum Jahresauftakt im Literaturhaus München.

Das Netzwerk sieht mit der Finanzierungskrise das gesamte Veranstaltungssegment Buch und dessen Vielfalt und Entwicklung bedroht. Die massiven Kostensteigerungen in sämtlichen Bereichen würden mittelbar auch eine wesentliche Existenzgrundlage von Autor:innen sowie die Sicht- und Erlebbarkeit des Kulturguts Buch bedrohen.

"Die Strukturen bröckeln"

In allen Literaturhäusern seien erhebliche Kostensteigerungen festzustellen: Höhere Energie- und Dienstleistungskosten und bis zu 50 % angehobene Honorare von Verlagen und Podiumsgästen. Doch die öffentlichen Zuschüsse von Ländern, Kommunen und Kantonen seien seit Jahren nicht angepasst worden. Zudem seien Drittmittelförderer wie Stiftungen immer seltener bereit, sich an den bedingenden Personal- und Betriebskosten von Veranstaltern zu beteiligen. Oder sie würden sich proaktiven Eigenprogrammen zuwenden.

„Die Strukturen, die seit den 80er und 90er Jahren die weltweit so einzigartigen Literaturhäuser ermöglichten und damit den Beginn einer immer lebendiger und vielfältiger werdenden Literaturvermittlungsszene, bröckeln“, heißt es im Appell weiter.

„Alle Literaturveranstalter verstehen sich als Partner von Autor:innen und Verlagen, als Umschlagplatz für das Buch, als Vermittler Kultureller Bildung, als Multiplikatoren für Dichtung und Wahrheit, als Plattform für europäische Dialoge und internationalen Austausch. Alle Orte für die Begegnung mit Literatur sind unerlässlich, erst recht vor dem Hintergrund von abnehmender Lesekompetenz und mangelnder Leseförderung.“

Das Netzwerk weist auch darauf hin, dass man, beispielsweise durch das Programm „Neustart Kultur“ und anderen Hilfsprogrammen der Schweiz und Österreichs, während der Pandemie kulturelle Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten unter schwerwiegenden Einschränkungen weiterhin ermöglichte.

Eine moderne, viele Autor:innen, viele Bücher und das Lesen fördernde Literaturvermittlung, für die der deutschsprachige Raum international Bewunderung erfährt, ist in Form und Umfang nicht aufrechtzuerhalten.

Finanziell angegriffen seien nun Grundsicherungen und Programmstrukturen. Notwendige und aufwendige Wandlungsprozesse für eine fortschrittliche Literaturvermittlung fänden nicht zur Umsetzung.

„Unerlässliche Personalinvestitionen laufen auf. Fairpay ist in Gefahr. Eine moderne, viele Autor:innen, viele Bücher und das Lesen fördernde Literaturvermittlung, für die der deutschsprachige Raum international Bewunderung erfährt, ist in Form und Umfang nicht aufrechtzuerhalten. Vielerorts prägen schon jetzt Konzentrationsmaßnahmen die Programmausrichtungen. Kostenexplosionen werden durch Reduktion von Vielfalt kompensiert. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das hohe Gut der angemessenen Honorierung von vielen Autor:innen.“

Der Finanzierungskollaps sei absehbar. Die Corona-Krise habe die ohnehin geschwächten Strukturen empfindlich belastet. „Denn diese standen bereits Jahre zuvor im Schatten einer Leuchtturmkulturpolitik, die die Literatur immer nachrangig bezuschusste. Deshalb begrüßen bspw. deutsche Vermittlungsinstitutionen den Kulturfonds Energie des Bundes.“

Kostenexplosionen werden durch Reduktion von Vielfalt kompensiert. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das hohe Gut der angemessenen Honorierung von vielen Autor:innen.

Nun richtet sich das Netzwerk der Literaturhäuser an die Kulturbehörden in Deutschland, Österreich und Schweiz:

„Wir appellieren an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in Deutschland, Staatsministerin Claudia Roth, an das Ministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport in Österreich, an das Bundesamt für Kultur der Schweiz, an die Kulturbehörden in den Ländern und Kantonen, an die kommunalen Instanzen, Kulturdezernate und -ämter sowie an Stiftungen und Sponsoren in allen deutschsprachigen Ländern, gerade jetzt die finanzielle Förderung von Literaturveranstaltern auszuweiten und dann zu verstetigen, um so den gewachsenen Ansprüchen und Kostensteigerungen Rechnung zu tragen. Nur durch rasch einsetzende Maßnahmen und Handlungsbereitschaft wird sich ein massiver Einbruch des literarischen Lebens und Kulturangebots verhindern lassen. Nur mit einem klaren finanziellen Bekenntnis kann die in Deutschland, Österreich und der Schweiz so einzigartige Form des Literaturhauses ihre Vorreiterrolle für die literarische Begegnung, für Teilhabe und Dialog aufrechterhalten und weiterentwickeln.“

Nur mit einem klaren finanziellen Bekenntnis kann die in Deutschland, Österreich und der Schweiz so einzigartige Form des Literaturhauses ihre Vorreiterrolle für die literarische Begegnung, für Teilhabe und Dialog aufrechterhalten und weiterentwickeln.

Unterschrieben wurde der Appell von:

Hauke Hückstädt (Literaturhaus Frankfurt am Main), Vorstandsvorsitzender des Netzwerks der Literaturhäuser

Tomas Friedmann (Literaturhaus Salzburg), für den Vorstand

Gesa Schneider (Literaturhaus Zürich), für den Vorstand

Ursula Steffens (Geschäftsführung Netzwerk der Literaturhäuser, Hamburg)

 

Katrin Eckert (Literaturhaus Basel)

Florian Höllerer (LCB, Berlin)

Anja Johannsen (Literarisches Zentrum Göttingen)

Alexander Suckel (Literaturhaus Halle)

Rainer Moritz (Literaturhaus Hamburg)

Bettina Fischer (Literaturhaus Köln)

Thorsten Ahrend (Literaturhaus Leipzig)

Tanja Graf (Literaturhaus München)

Ulrika Rinke (Literaturhaus Rostock)

Stefanie Stegmann (Literaturhaus Stuttgart)

Robert Huez (Literaturhaus Wien)

Susanne Lewalter (Literaturhaus Wiesbaden)