Nach einigen Zwischenstationen kam der Brief 1982 aus Privatbesitz in das Münchner Antiquariat Ackermann, wo ihn Thomas Ganske erwarb. Im Jahr 1984 übergab Thomas Ganske den Brief als Leihgabe dem Deutschen Literaturarchiv.
Zum Inhalt des "Briefs": Nach einem Streit mit seinem Vater über Kafkas geplante Heirat mit der Sekretärin Julie Wohryzek, rekapituliert der Sohn sein Verhältnis zu seinem Vater, der ihm sein Leben lang übermächtig und erdrückend erschien. Wie ein guter Anwalt trägt er Anklagepunkt um Anklagepunkt zusammen und enthüllt immer neue seelische Abgründe. Inwieweit sein Porträt auf den wirklichen Vater zutrifft, ist umstritten. Bereits in seiner 1913 veröffentlichten Novelle "Das Urteil" rechnete ein Sohn mit seinem Vater ab. Manches spricht dafür, dass das geradezu mythische Motiv der Vater-Sohn-Konfrontation Kafka auch darum besonders interessierte, weil es sich dazu eignete, sein Lebensthema der Abhängigkeitsbeziehungen, das auch seine Romane "Der Process" und "Das Schloss" prägt, exemplarisch auf den Punkt zu bringen.
Das Deutsche Literaturarchiv besitzt nach dem eigentlichen Nachlass, der in Oxford liegt, die weltweit größte Sammlung von Kafka-Autographen, darunter die "Process"-Handschrift, zahlreiche weitere Manuskripte und Briefe, u.a. die an seine Schwester Ottla und Milena Jesenská. Zurzeit ist der Brief an den Vater im Marbacher Literaturmuseum der Moderne in der Ausstellung "Kafkas Echo" zu sehen, die wegen des großen Publikumsinteresses bis 22. Juni 2025 verlängert wurde.
"Diese einzigartige Erwerbung ist ein Höhepunkt in der Marbacher Sammlungsgeschichte", sagt Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Der Brief "ist weit mehr als 'nur' ein Brief, er ist Literatur und Dokument zugleich – und zeigt ein Bild von Kafka, wie er sich eigenhändig gesehen hat." Nun werde er in Marbach für die internationale Literaturgeschichte dauerhaft gesichert.
"Was für ein Glücksfall in der Geschichte dieses Instituts: Jetzt wird eine wichtige Lücke in der weltweit bedeutenden Sammlung von Kafka-Autographen im Deutschen Literaturarchiv geschlossen. Eine solche Erwerbung gelingt nur im guten Zusammenwirken vieler Kräfte. Mein ganz großer Dank gilt allen Förderern!", erklärt Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs.