Jugendbuchmesse Bologna 2023

Gespräche, Gespräche, Gespräche!

9. März 2023
Redaktion Börsenblatt

Heute geht in Bologna die 60. Jugendbuchmesse zu Ende: Eindrücke über Wiedersehensfreude, Kalkulationssorgen, den Nachwuchs, den Umgang mit geglätteten Texten, lange Schlangen und Buchprojekte.

2023 wieder in Halle 30: Der deutsche Gemeinschaftsstand von Frankfurter Buchmesse und avj in Bologna

Mitternacht in Bologna: Im Palazzo Re Enzo tobt die Party zu "60 Jahre Internationale Jugendbuchmesse Bologna"

Nach der durch Maskenpflicht und vielerlei Einschränkungen doch deutlich anderen Jugendbuchmesse 2022 ist Bologna in diesem Jahr wieder zur alten Erscheinungsweise zurückgekehrt: mit den unbeschwerten Treffen auch im Freien, aber auch quälend vollgestopften Bussen von der Innenstadt zum Messegelände. Nicht nur die rund 300 deutschsprachigen Verlagsmitarbeiter:innen, Literaturagent:innen, Illustrator:innen schätzen das Live-Aufeinandertreffen. „Physische Messen sind wichtig, Ideen und Innovationen werden durch spontane Treffen und Gespräche ausgelöst“, brachte es Belinda Rasmussen, Leiterin von Macmillan Children’s Books, auf den Punkt. „Dieses Gefühl von Aufregung, Energie und Leidenschaft kann einfach nicht auf den Notebook-Bildschirm reproduziert werden. Außerdem haben viele der Bücher, die wir veröffentlichen, taktile Formate: Das sind Bücher, die Sie berühren, erleben und mit denen Sie spielen müssen“, sagte sie im Gespräch mit Tom Tivnan vom „Bookseller“.

Die Ausstellung "Illustrated Ukraine" zeigt in Bologna aktuelle Werke ukrainischer Illustrator:innen

Rights Centre, Blick auf die rechte Seite ...

... und Rights Centre linke Seite

Großer deutscher Gemeinschaftsstand

1456 Aussteller sind in diesem Jahr in Bologna vertreten, die deutschsprachigen sind in der funkelnagelneuen Halle 30 untergebracht, die heller und freundlicher wirkt und nicht mehr so zugig ist wie die alte. Vermisst werden die praktischen, leuchtend roten Mini-Caféterias, wo es sich beim kurzen Schlangestehen herrlich über neue Buchprojekte reden ließ. In den alten Hallen wie 26 gibt es sie noch, auch dahin wird ausgewichen. Eine riesige Fläche nimmt in Halle 30 das übersichtliche Rights Centre mit unzähligen kleinen Tischen ein, was für die deutschsprachigen Kolleg:innen deutlich kürzere Wege bedeutet. Nach den guten Erfahrungen am deutschen Gemeinschaftsstand von Frankfurter Buchmesse und avj im vergangenen Jahr haben sich hier wieder viele Verlage eingemietet; es spart logistischen Aufwand und Kosten. Selbst große Verlage wie Ravensburger haben hier angedockt; Bologna ist eine Lizenzmesse, in der man sich nicht wie auf Publikumsmessen präsentieren muss, so eine Argumentationslinie. Falsch, meinen andere wie Jeannette Hammerschmidt, Programmleiterin vom Loewe-Verlag, der mit einem großen Stand vertreten ist, „auch die ausländischen Verleger stöbern immer wieder gerne, wollen blättern und entdecken. Dafür braucht es auch ein entsprechend großes Titelangebot.“ Auch Carlsen, Minedition, Magellan, Tessloff, Thienemann und andere sind mit großen Ständen vertreten.

Der Stand von Loewe in Bologna

Die Stimmung ist gut

Die Wiedersehensfreude ist bei allen groß, der ungestörte direkte Austausch wird genossen, und man ist offener als in Zoom- oder anderen Meetings, so wird es allenthalben empfunden. Mit Hinblick auf gestiegene Papier-, Energie-, Logistik- usw.-Preise machen allen die vielen unbekannten Variablen bei der Preiskalkulation zu schaffen und die geteilte Erfahrung, dass die alten Rädchen, an denen man drehen konnte, nicht mehr greifen. Hat man seit altersher beispielsweise die Auflage erhöht, um auf die nötige Kostendeckung zu kommen, hilft inzwischen selbst das nicht mehr. Die Kalkulationen werden zum Ping-Pong-Spiel zwischen Skylla und Charybdis. Auch der Umgang und Nicht-Umgang mit den Möglichkeiten von KI (siehe Bericht von gestern) ist immer wieder Thema. Trotzdem ist die Stimmung in den Messehallen gut, die Freude über gelungene Buchprojekte (die gibt es erstaunlich viel) und gemachte Entdeckungen ist spürbar.

Eine lange Schlange mit Nachwuchsillustrator:innen vor dem deutschen Gemeinschaftsstand

Mappenschau und mehr

Etablierte Illustrator:innen wie Anke Kuhl, Markus Lefrançois und Joëlle Tourlonias treffen in Bologna auf Hunderte noch unbekannter künftiger Kolleg:innen, die voller Hoffnung mit ihren Mappen anstehen, um den Lektor:innen ihre Blätter zu zeigen. Die Schlangen sind lang und oft überziehen die Verlagsleute die anberaumten ein, zwei Stunden, damit auch noch die letzten in den oft 20, 30 Meter langen Schlangen drankommen können; nicht immer geht das. Der Nachwuchs wiederum ist froh, eine Chance zum Austausch zu bekommen, hilfreiche Tipps, woran sie weiterarbeiten sollen, und wenn ein Satz wie „Kommen Sie nächstes Jahr wieder!“ am Ende einer Mappenschau steht, lässt das die Gesichter strahlen. Entdeckungen werden auf diese Weise immer wieder gemacht, Gudrun Albertsmeier von Minedition hat so im vergangenen Jahr eine Illustratorin entdeckt, die ein Bilderbuchprojekt in einem hochambitionierten Ätzradierungsverfahren vorgestellt hatte: Das Buch von Friederike Steil wird diesen Herbst bei Minedition erscheinen.

Andrew Rushton, stellvertretender Geschäftsführer von NordSüd, lehrt zwischen den Messehallen

Der Nachwuchs ist in den Messehallen

Aber auch eine Gruppe von Studierenden der Mainzer Buchwissenschaft hat sich mit Anke Vogel auf den Weg zur Messe gemacht; hier live mit Größen wie Axel Scheffler sprechen zu können macht sichtlich gute Laune. Andrew Rushton, stellvertretender Geschäftsführer von NordSüd, erklärt zwischen zwei Messehallen in der Sonne einer Gruppe junger Leute die Besonderheiten der Messe – die gesamte Branche hat erkannt, wie wichtig es ist, in direkten Kontakt mit dem Nachwuchs zu kommen.

Erst ein Foto, dann ein Gespräch: Grüffelo-Erfinder Axel Scheffler und Mainzer Buchwissenschaftlerinnen

Literatur zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Diskutiert wird in den Hallen auch immer wieder über die sensitivity-geglätteten Ausgaben von Roald-Dahl-Büchern bei Puffin Books, die nach dem Aufschrei noch schnell unbereinigte Neuauflagen hinterhergeschoben hatten. Das Reagieren und Nicht-Reagieren auf Anforderungen und Wünsche unterschiedlicher Gruppen setzt Verlage unter Druck, und worüber sich hier alle Gedanken machen, sind die Folgen bei den Leser:innen. Wenn inkriminierte Wörter nicht mehr geschrieben, „falsche“ Handlungen nicht mehr in Büchern vorkommen, klafft zwischen den Lebenserfahrungen im Kinderalltag und Lesestoff bald eine immer größere Lücke und die Texte werden zu Wunschvorstellungen, so die Befürchtungen der Verleger:innen und Lektor:innen. Auch die vielen sachdienlichen Erläuterungen lassen literarische Texte zu pädagogischer-Zeigefinger-Lektüre werden, die Kinder und Jugendliche als ständige Belehrung wahrnehmen: Lust aufs Lesen macht das nicht, wissen die Verlagsleute.

Buchhändlerin Jutta vor den Illustrationen des Berliner Duos Golden Cosmos zu einem ihrer Lieblingsbücher, "Ludwig und das Nashorn" (NordSüd) in der Internationalen Ausstellung in Bologna

Ganz schön viel los

Viel gäbe es sicher noch zu sagen über die Internationale Jugendbuchmesse, zu der diesmal sogar eine deutsche Buchhändlerin gekommen ist, Jutta Bummel von der Buchhandlung Eulenspiegel in Hochheim, die eine Illustratorin begleitet hat (ihre Eindrücke und die von Literaturagentin Renate Reichstein können Sie im nächsten Podcast der „Kinderbuchpraxis“ hören, und auch ALMA-Preisträger Bart Moyaert wird in einer weiteren Folge aus Bologna zu hören sein), auf der auch ein gut gelaunter Markus Dohle in intensiven Gesprächen unterwegs war, auf der es 325 Veranstaltungen und hochkarätige Vertragsabschlüsse respektive -Anbahnungen gab. Aber noch geht die Messe, die Hallen schließen um 18 Uhr.

Messeeingang in Bologna