Małgorzata Zawieska, Buchhändlerin, Korekty, Warschau, Polen: Sie behandeln in Ihren Büchern ein wichtiges Problem: die Emanzipation der Frau durch die Berufstätigkeit. Wie könnte sich Ihrer Meinung nach das Corona-Virus auf die Lage der Frauen auswirken? Denken Sie, dass es die wirtschaftlichen Unterschiede verschärfen und einige Errungenschaften auf dem Weg zur Emanzipation rückgängig machen wird? Könnte dieses Thema Ihrer Ansicht nach für eine Schriftstellerin interessant sein?
Elena Ferrante: Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der Angst und bin irritiert, wie leicht es war, innerhalb nur weniger Wochen die ohnehin miserablen Lebensbedingungen der Schwächsten auf dieser Welt noch weiter zu verschlechtern. Das Virus interessiert mich dabei nicht besonders. Was mich erschreckt hat, ist die Anfälligkeit des Systems, so sehr, dass ich Schwierigkeiten habe, mich zu äußern. Ich meine, alles wurde abrupt reduziert. An die Spitze der Wertehierarchie ist in ungewöhnlich kurzer Zeit der Gehorsam gerückt. Und die Frauen erhielten noch mehr Befehle als sonst, traditionell dazu bestimmt, sich zurückzunehmen und sich um das sehr physische Überleben der Familie zu kümmern: Nahrung, Kinderbetreuung, Pflege, Einsperren, Sich-Einsperren, und sich dabei für alles schuldig zu fühlen, als hätten sie bisher zu hohe Ansprüche gestellt.
....Vor diesem Hintergrund scheint ein Rückschritt, um sich auf die wichtigsten Kämpfe zu konzentrieren, unausweichlich: Essen, Wasser, ein Dach über dem Kopf, Medikamente. Ja, ich glaube, anstatt über die Ausbreitung der Pandemie zu schreiben, sollte man darüber schreiben, wie uns die Ausbreitung der Angst verändert und hohen Ansprüchen und edlen Bestrebungen ihre Bedeutung nimmt, kurz allem "Tun", das unermüdlich im Gang ist, solange das wirtschaftliche, soziale und kulturelle System den Anschein erweckt, stabil zu sein. Doch ich wiederhole, darüber muss ich noch nachdenken. Im Augenblick geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Gleichberechtigung der Frau nicht ausgeblendet wird. Dieses Problem darf als nicht weniger brisant angesehen werden als, zum Beispiel, die Lage der Black and People of Color in den Vereinigten Staaten und als die durch Krieg und Elend verursachten Migrationen.