Ann Goldstein, Übersetzerin für Europa Editions, New York: Wie arbeiten Sie? Korrigieren Sie viel, und was? Glauben Sie, sich selbst gut lektorieren zu können? Ändern Sie häufig Wörter oder Ausdrucksweisen?
Elena Ferrante: Für mich entscheidend ist, von nichts ausgehend zu einem gedrängt vollen, chaotischen Entwurf zu gelangen. Die Arbeit an diesem Entwurf ist zermürbend. Es kostet mich viel Kraft, einen Text mit einem Anfang, einem Ende und einer eigenen, starken Lebendigkeit zu erhalten. Das ist eine langsame Annäherung, wie die Observierung einer Lebensform ohne klar umrissene Gestalt. Manchmal kann ich direkt drauflosschreiben, sogar ohne nochmalige Durchsicht, doch das ist selten. Viel öfter komme ich jeden Tag nur ein paar Zeilen voran, die ich schreibe und wieder umschreibe. Häufig verliere ich irgendwann die Lust und lege alles beiseite. Aber diesen oft erlittenen Fall will ich hier weglassen. Stattdessen möchte ich Ihnen sagen, liebe Ann, dass für mich das wahre Schreibvergnügen erst beginnt, wenn diese vorbereitenden Anstrengungen zu einem guten Resultat geführt haben. Dann beginne ich wieder von vorn. Ich streiche ganze Abschnitte, schreibe sehr viel um, ändere die Richtung und sogar das Wesen der Figuren, füge Teile hinzu, die mir erst jetzt, da es einen Text gibt, in den Sinn kommen und mir notwendig erscheinen, forme knapp skizzierte Episoden aus, verschiebe Ereignisse an einen anderen Platz, rette sehr oft verworfene Seiten und längere erste Versionen, die vielleicht hässlicher, doch auch spontaner sind. Diese Arbeit mache ich allein, ich würde sie mit niemandem teilen wollen. Doch irgendwann brauche ich aufmerksame Leser, die allerdings nur auf meine Flüchtigkeitsfehler achten sollen: eine falsche Chronologie, Wiederholungen, unverständliche Formulierungen. Dagegen fürchte ich mich vor Ratschlägen, die den Text standardisieren wollen, in der Art wie: So sagt man das nicht, die Zeichensetzung ist mangelhaft, dieses Wort gibt es nicht, das ist eine unpassende Formulierung, diese Lösung ist unsympathisch, so ist es schöner. Schöner? Gefährlich ist ein Lektorat, wenn es über die Einhaltung der herrschenden ästhetischen Maßstäbe wacht. Und ein Lektorat, das Abweichungen von der Regel unterstützt, solange sie mit dem üblichen Geschmack vereinbar sind, ist auch nicht besser. Wenn ein Verleger sagt: Dein Text enthält gute Passagen, aber wir müssen noch daran arbeiten, zieht man sein Manuskript besser zurück. Diese erste Person Plural ist beunruhigend.