Monica Lindkvist, Buchhändlerin, Akademibokhandeln, Stockholm, Schweden: Identifizieren Sie sich mit einer Hauptfigur aus der Tetralogie "Meine geniale Freundin" oder aus dem neuen Roman?
Elena Ferrante: Ich antworte Ihnen mit einer Floskel: Alle Figuren, auch die männlichen, haben etwas von mir. Das ist übrigens zwangsläufig so. Während wir über die Körper der anderen ziemlich viel wissen, ist das einzige Innenleben, das wir wirklich kennen, unser eigenes. Man kann relativ leicht lernen, hinzuschauen und eine bedeutungsvolle Geste einzufangen, ein schiefes Gesicht, die Unverwechselbarkeit eines Ganges, eine Redeweise, einen vielsagenden Blick.
Dagegen ist es unmöglich, sich in den Kopf eines anderen Menschen zu versetzen. Wer schreibt, dem können ständig Vereinfachungen wie aus einem Psychologie-Ratgeber unterlaufen, und das ist deprimierend. Wir haben nur unseren Kopf, und aus ihm ein bisschen Wahrheit herauszuholen, mit der wir Fiktionen Leben einhauchen können, ist harte Arbeit. In ihm existiert eine lärmende Menge, die zwischen Kollisionen und viel Wirrwarr alles mit allem zusammenzählt. Daher ist das Innenleben der anderen letztlich das stets unzulängliche literarische Resultat (zu viel Geradlinigkeit, zu viel Geschlossenheit, zu viel Logik) einer zermürbenden Selbstanalyse, gestützt von einer blühenden Phantasie.
Doch Sie haben nach einer Figur gefragt, mit der ich mich identifiziere, und da ich mir vorgenommen habe, möglichst erschöpfende Antworten zu geben, will ich Ihnen sagen, dass mir zur Zeit einige Züge von Tante Vittoria aus dem Lügenhaften Leben der Erwachsenen gefallen. Ich bin nicht sie, aber ganz gewiss bin ich froh, ihre Autorin zu sein.