Gastland-Serie: Auf einen Espresso mit … Raffaella Romagnolo

"Diese Literatur-Vielfalt bekommt man sonst nirgends zu sehen"

23. Oktober 2024
Nicola Bardola

Immer wieder einen Neubeginn finden, die Umwidmung einer prekären Ausgangssituation in einen Notstand, die sich in steter Bewegung befindliche Menschheit: Themen, über die die Schriftstellerin Raffaella Romagnolo bei einem Espresso spricht.

Foto Raffaella Romagnolo

Raffaella Romagnolo

"Wie hat man versucht, mit der Schule eine bessere Zukunft zu verwirklichen?"

"Das ist meine erste Frankfurter Buchmesse. Mein bisheriger Maßstab war die Messe in Turin, die größte in Italien. Das kann man aber kaum vergleichen – hier ist alles noch sehr viel größer. Ich habe hier den Eindruck, an einem Ort zu sein, an dem die ganze Welt der Bücher präsent ist." In Frankfurt am Main hat Raffaella Romagnolo vor allem Verlagsstände aus Fernost besucht: "Diese Literatur-Vielfalt bekommt man sonst nirgends zu sehen." Den italienischen Slogan "Radici nel futuro" ("Verwurzelt in der Zukunft") komme ihr entgegen, da sie in der Vergangenheit oft Erklärungen für die Gegenwart und Zukunft finde. Das Wort "Wurzeln" findet sie eher zweifelhaft, weil es sie an etwas sehr Statisches erinnere. Die Menschheit hingegen sei immer in Bewegung.

Die meisten ihrer bislang sechs Romane und Erzählungen spielen in der Vergangenheit. In ihrem neuen Buch "Die Sterne ordnen" (Diogenes), das im Original "Aggiustare l’universo" heißt, (in etwa: "Das Universum reparieren") erfüllt sie sich einen Wunsch: Die Gymnasiallehrerin (Italienisch und Geschichte) Raffaela Romagnolo schreibt über die Schule, aber nicht irgendeine, sondern über eine Klasse im Dorf Borgo di Dentro in Ligurien nach dem Zweiten Weltkrieg. "Wie hat man damals versucht, mit der Schule eine bessere Zukunft zu verwirklichen? Und was können wir heute daraus lernen, nach der Corona-Krise und all den anderen sozialen und politischen Missständen? Diese Fragen haben mich bei den umfangreichen Recherchen zum Schuljahr 1945 / 1946 und beim Schreiben geleitet", sagt Romagnolo, deren Buch hauptsächlich während der Pandemie bei geschlossenen Schulen entstanden ist. "Sowohl in der damaligen Situation als auch in der heutigen erscheinen mir ein Neubeginn wichtig."

"Die Bevölkerung wird in einen ständigen Ausnahmezustand versetzt"

Die aktuelle politische Situation empfindet sie als äußerst heikel und schwierig. "Mir kommt es so vor, als würden wir in Italien in eine dunkle Vergangenheit zurückgeworfen werden." Sorgen bereiten ihr auch die Migration, die Klimakrise und die Kriege. "Was mich deshalb am meisten bedrückt, ist die Tatsache, dass viele Regierungen in Europa diese prekäre Ausgangslage benutzen, um die Bevölkerung in einen ständigen Ausnahmezustand zu versetzen, in einen anhaltenden Notstand. Die alten Römer – und der Pavillon erinnert uns ja daran – ernannten in Krisenzeiten einen Diktator. Das macht mir Angst", erklärt Romognolo. "Wir müssen die Herausforderungen der Gegenwart annehmen, uns ihnen stellen - mit klarem Kopf, so rational wie möglich und nicht im Ausnahmezustand. Andernfalls suchen wir Auswege und Abkürzungen, die die Demokratie gefährden."