Vorlesewettbewerb: Das Finale

Die beste Vorleserin 2024 steht fest

19. Juni 2024
von Stefan Hauck

Aufregung, klar, aber auch eine lockere Stimmung unter den 16 Landessieger:innen im Studio A des RBB: Am Ende setzte sich im Bundesfinale des Vorlesewettbewerbs Léni Falkenstein als beste Vorleserin 2024 durch; sie besucht das Otto-Schott-Gymnasium in Mainz-Gonsenheim. Der Live-Bericht aus Berlin.

 Léni Falkenstein

Den unterschiedlichen Charakteren eine eigene Stimme geben

Exakt 546.015 Schülerinnen und Schüler aus 6.983 Schulen haben beim 65. Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels mitgemacht - die meisten in Nordrhein-Westfalen (110.249) und Bayern (96.355). Das sagt aber noch nichts aus über die Teilnahmequote, in NRW hatten sich 46 % der Schulen beteiligt, in Bayern 53 %. Auf den ersten Plätzen liegen da die hessischen (68 %), rheinland-pfälzischen (67 %) und Bremer Schulen (65 %). "Ich freu mich wahnsinnig auf das Bundesfinale und bin gespannt, wer von Euch gewinnen wird", meinte Mika Ekelhoff, der als Vorjahressieger traditionell Mitglied der Jury ist. Die Schulkassen der 16 Landessieger:innen waren aus ihren Klassenräumen live ins Studio zugeschaltet und drückten fleißig die Daumen.

Mit einer gut ausgesuchten, dramatischen Szene fesselte die mecklenburgische Landessiegerin Charlotte Schilling die Zuschauer:innen im Studio A des RBB, wo unter der bewährten Federführung von Anke Pelzer die Sendung aufgezeichnet wurde. Morena Caldara aus dem Saarland entführte sie in eine geheimnisvolle Textpassage: "Man hat richtig die Aufregung von Cosima gespürt, das hast Du gut rübergebracht", meinte BookTokerin Jess Hengel als Mitglied der Jury. Mit sehr unterschiedlichen Gefühlsmomenten spielte Luisa von Zglinicki aus Berlin, mal ganz leise, melancholisch, mal überschwänglich, mal entschlossen: eine Fluchtszene aus einem historischen Abenteuerroman, der zur Zeit des Kolonialismus spielt. Souverän und zugleich mit sichtlicher Freude am Text durchmaß Lina Schepers aus NRW die Gefühlsklaviatur ihrer Protagonistinnen. Du hast den verschiedenen Charakteren ihre eigene Stimme gegeben und dann wieder durch die Erzählstimme geerdet", befand Jurymitglied und Booktokerin Valentina Vaupaux.

"Gänsehaut!"

Unter den 16 Landessieger.innen waren die drei Jungs diesmal in der Unterzahl. Maximilian Hofmann aus Hessen donnerte, rief entschlossen, empörte sich, legte ordentlich an Erzähltempo zu: "Super Textstelle, spannend gelesen!", urteile Vorjahressieger Mika. Mit einer sehr reifen Stimme modulierte Sabine Wiedemann aus Brandenburg unterschiedliche Tonlagen, ließ ihre Figuren krächzen, zetern  - "sehr beeindruckend, du hast eine ganz schwierige Textstelle genommen, alle Figuren gemeistert. Sehr besonders Deine Erzählstimme, da hst du nicht gelesen, da hast du interpretiert", meinte die Juryvorsitzende Angelika Schaack, Verlegerin der Hörcompany. Mit leisen Tönen dagegen überzeugte Jule Hahne aus Baden-Württemberg, die zart die Gefühlslagen ihrer Figuren auslotete und die Zuschauer:innen schlucken ließ. Mit feiner Ironie brachte Mathilda Ulrich aus Sachsen ihre Sätze zum Tragen, sie erzählte, fast en passant, als hätte sie den Text selbst geschrieben, unaufgeregt: "Können wir ein Hörbuch mit Mathilda aufnehmen?", kommentierte KiKa-Moderator Tim Gailus - "Gänsehaut!"

"Jünger und frischer geworden"

"Ich bin gottfroh, dass ich hier nicht vorlesen muss - da könnte ich nicht mithalten", meinte Karin Schmidt-Friderichs. Befragt nach Veränderungen in den vergangenen 65 Jahren, urteilte die Vorsteherin des Börsenvereins: "Der Vorlesewettbewerb ist jünger und frischer geworden - und toll moderiert", lobte sie Moderatorin Cassandra Nwosu. "Wir verändern immer wieder; irgendwann haben wir aufgehört, nach Schularten zu trennen." Der Vorlesewettbewerb habe Signalwirkung: "Ich hofffe sehr, dass es auch auf die abfärbt, die nicht so gut lesen können."  Der Schritt sei, internationaler zu werden.

Zauberplagenplage und Zischelrüsselkäfer - keine einfachen Wörter, die Theo Rainer Lässing aber ganz lässig einfließen ließ und den teils sarkastischen Grundton des Texts überzeugend vermittelte. Einen gesellschaftspolitisch ernsten Text über Bedrohung und Hass meisterte Felice Häfelein aus Bayern absolut souverän: Schon nach dem dritten Satz konnte man sich als Zuhörer in die Protagonisten einfühlen, war mittendrin in einer komplizierten Situation, die Häfelein sehr differenziert stimmlich auslotete, ein Feintuning, das beeindruckte. "Die beiden Ebenen deiner Textstelle hast du gut rübergekriegt - die Hektik auf dem Bahnhof und das Glücksgefühl über eine neue Wohung zu trennen, ist dir gelungen", urteilte Angelika Schaack über die Leistung von Anna Wilhelm aus Hamburg. Finja Urbas aus Niedersachsen sprach klar, entschieden, lebte auch in der Mimik den Text, war eins mit ihm: "Du hast mich mit deiner Stimme in die Geschichte reingezogen", lobte Jess Hengel. "Ich lese ziemlich viel und mag Fantasy-Geschichten, in die mich richtig reinbegeben kann", erklärte der Bremer Moritz Kösters auf die Frage von Cassandra Nwosu. Mit gezielt gesetzten Pausen steigerte er die Spannung, kommentierte, vereinte Schrecken mit Komik und endete mit einem amüsanten "Blllubb".

Auch gähnen muss man können, wenn es der Text erfordert - wie man das macht, zeigte Emma Klose aus Thüringen mit Bravour und gab der Lehrerinfigur aus "Luftmaschentage" die nötige überhebliche, dann zornbebende Stimme. Ihre zugeschaltete Schulklasse machte Emma mit zahlreichen selbstgestalteten Plakaten Mut. Höchst unterhaltsam und lebendig brachte Amelina Hutt aus Schleswig-Holstein ihre Passage - ihre spürbare Freude am Text sprang auf die Zuschauer:innen über. "Die ganzen Charaktere mit all ihren Emotionen kamen total gut rüber", urteilte Mika Ekelhoff. Léni Falkenstein aus Rheinland-Pfalz machte den Schluss der 16 Finalistinnen, sie rief, trotzte, nörgelte mit ihren Figuren aus einer frechen Textstelle, vermittelte aber auch das Zögerliche ihrer Ich-Erzählerin. Und offenbar kam in diesem Jahr das Beste zum Schluss: Die Jury entschied sich für die Schülerin des Otto-Schott-Gymnasiums in Mainz-Gonsenheim - sie ist die Siegerin des 65. Vorlesewettbewerbs.