Kolumne von Martina Bergmann

Fehlgeleiteter Alleinvertretungsanspruch

23. August 2021
von Börsenblatt

Martina Bergmann ärgert sich über den Alleinvertretungsanspruch, den die Vertreter*innen großer Buchhandlungen in Medieninterviews immer häufiger beobachtet. Das sei nicht nur Quatsch, sondern auch Verrat an der reichen Tradition des Buchhandels, die wirklich mehr zu bieten habe als ladenbauliche Veränderungen, meint die Buchhändlerin und Autorin aus Borgholzhausen. 

Als ich ein kleines Mädchen war, baute mein Vater Kläranlagen. Ich finde sie bemerkenswerter als Rolltreppen, denn sie nutzen mehr Menschen und sind auch technisch etwas aufwändiger. Allerdings gehören diese Kläranlagen irgendwelchen Kleinstädten und nicht meiner Familie. Ich könnte mir die Sonntage damit vertreiben, sie zu besichtigen. Aber es gibt selbst in Ostwestfalen attraktivere Destinationen. Und es hilft auch genau gar nicht dazu, eine Buchhandlung zu betreiben.

Umgekehrt: Wäre es einfacher gewesen, eine Buchhandlung zu gründen, hätte ich über eine Branchen-Genealogie verfügt? Könnte ich Bilder von früher aufrufen, wo einen kein Internet behinderte und die Buchhandlung eine Institution war, in der man den Filius vom Zahnarzt zu seinem altsprachlichen Abitur beglückwünschte, was dieser auch erwartete? Oder die Spielart links von bürgerlich, also das selige Erinnern an Treffen des Eine-Welt-Kreises beim Buchhändler, der auch ein Bord in seinem Kiefernholz-Inventar für fair gehandelten Kaffee freigeräumt hatte, während die Mutter der Kinder in einer Grundschule Kunstunterricht gab?

Ich bekam Kapital, und der Teil davon, den die Sparkasse abschreiben musste, hing wenigstens nicht Weihnachten wie Lametta zwischen den Geschwistern und mir.

Wäre es vor solchen Kulissen einfacher gewesen, die Buchhandlung zu gründen, sie durch einige Krisen zu führen und dabei meinen Stil zu finden? Ich glaube, nein. Es wäre leichter gewesen, hätte ich anfangs über Geld verfügt und es nicht von Banken kaufen müssen. Aber andererseits ging das. Ich bekam Kapital, und der Teil davon, den die Sparkasse abschreiben musste, hing wenigstens nicht Weihnachten wie Lametta zwischen den Geschwistern und mir. Er verunstaltete mir die Schufa, worüber sich aufzuregen eine anderes Thema ist, aber die prangt ja nun nicht neben dem Buchhandlungspreis im Rahmen an der Wand.

Will sagen: Auch ohne all den Hintergrund, welchen Kolleg:innen teils ihr Eigen nennen, war und ist es möglich, eine Sortimentsbuchhandlung zu betreiben. Anders als zuweilen unterstellt, ist man wegen Meinungsfreudigkeit und Streitlust auch nicht schlechter gestellt, wenn es etwas zu verteilen gibt. In der besten aller Welten würde die Bibliotheksleitung aufhören, vor mir zu warnen. Aber da finde ich, schlechtes Gerede ist besser als gar keins, und Umgangsformen sind auch keine Ableitung von Rolltreppen und Kläranlagen. Sie gehören in die Kinderstube, die manchen Menschen nicht zuteil geworden ist. Die Ärmsten.

Die Großen als Sprecher des Buchhandels insgesamt

Was ist dann aber das Aufregende an den großen Interviews einzelner Personen? Es ist ja nicht nur Frau Hugendubel mit den Rolltreppen; Herr Busch kann das genauso, und auch Herr Riethmüller hatte stets mehr Öffentlichkeit als die Verfasserin dieser Zeilen. Mehr Läden, mehr Umsatz, mehr Angestellte. Mehr, mehr, mehr, und dann sollen sie eben prominenter reden. Das einzige, was mir daran regelmäßig die Laune verhagelt: Diese Leute sprechen meist vom Buchhandel insgesamt. Als sei es alles dasselbe, und wenn man nur genügend lange seinen Alleinvertretungsanspruch in die Erde tritt, kommt er dadurch irgendwann zustande. Das ist nicht nur ein Quatsch, sondern auch Verrat an unserer reichen Tradition, die wirklich mehr zu bieten hat als ladenbauliche Veränderungen.

Großformatige Bekanntgaben der CEOs von Filialisten verstärken den Trend, Buchhandlungen ausschließlich als Renditeobjekte zu mediatisieren. Diese Perspektive mag man haben, aber sie widerspricht all dem, was in den vergangenen Jahren unternommen wurde, branchenseitig wie politisch, um Buchhandlungen und Verlage lebendig zu halten, um ihnen eine erneuerte gesellschaftliche Verankerung zu geben, die sie auch wirklich brauchen, um in der digitalen Einkaufswelt weiter zu bestehen. Denn die Berufe meiner Eltern interessieren Amazon nicht.