Buchpreisträger:in Kim de l'Horizon

"Jetzt lass ich die Haare erstmal so"

19. Oktober 2022
Sabine van Endert

"So viel Aufmerksamkeit braucht eine einzelne Person nicht", sagte Kim de l'Horizon beim ersten öffentlichen Auftritt auf der Buchmesse. Im Gespräch mit Cécile Schortmann auf der ARD-Bühne reflektierte Kim de l'Horizon die Preisverleihung und die Reaktionen darauf.

Für Kim de l'Horizon hat der Messebuchvorstellungsmarathon für "Blutbuch" (DuMont) direkt nach der Buchpreisverleihung begonnen. Die ARD im Forum auf der Buchmesse waren die ersten, die Kim de l'Horizon zu Gast hatten. Erste Frage von Cécile Schortmann: "Wie fühlt es sich ohne Haar an?" Das hatte de l'Horizon sich nämlich bei seiner Dankesrede / Performance am Montag im Römer in Solidarität mit den Frauen im Iran abrasiert. 

Aufmerksamkeit für politische Anliegen

"Ich hatte mir nicht so richtig überlegt, dass die Haare dann weg sind", so de l'Horizon lachend. Das werde jetzt erstmal so bleiben, um nicht vom politischen Statement abzurücken, ob es dann eine Perücke geben wird, werde man sehen.

Gerade rückte de l'Horizon die eigene Äußerung, die Jury habe das "Blutbuch" auch ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen "gegen den Hass, für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden." Die Jury habe literarische Qualität ausgezeichnet, die Aufmerksamkeit wolle de l`Horizon aber nicht auf sich, sondern auf politische Anliegen lenken.  

Hass im Netz

Im Kaisersaal erhielt Kim de l'Horizon für seine Aktion mit dem Rasierapparat Standing Ovations. Ein paar kritische Stimmen gab es natürlich auch, den Frauen im Iran helfe das wenig, hieß es hier und da. Mit dem Wort Kritik ist das, was in den Kommentarspalten im Internet unter den Meldungen zu de l'Horizon gerade passiert, nicht treffend beschrieben. "Wie gehst Du damit um", fragte Cécile Shortmann: "Falls jemand Tipps gegen Internethetze hat - ich wäre empfänglich dafür", so de l'Horizon. 

Das "Blutbuch"

Zehn Jahre hat Kim de l'Horizon an "Blutbuch" geschrieben. "Am Anfang orientiert man sich an dem, was man kennt, dann habe ich gelernt, das Unsagbare, das Unaussprechliche, auszudrücken. Ich habe ihnen einen Ort gegeben."  Die Erzählfigur in "Blutbuch" identifiziert sich ebenso wie Kim de l'Horizon weder als Mann noch als Frau. 

"Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman 'Blutbuch' nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht? Fixpunkt des Erzählens ist die eigene Großmutter, die „Großmeer“ im Berndeutschen, in deren Ozean das Kind Kim zu ertrinken drohte und aus dem es sich jetzt schreibend freischwimmt. Die Romanform ist dabei in steter Bewegung. Jeder Sprachversuch, von der plastischen Szene bis zum essayartigen Memoir, entfaltet eine Dringlichkeit und literarische Innovationskraft, von der sich die Jury provozieren und begeistern ließ", so die Begründung der Buchpreis-Jury. 

Kim de l'Horizon zu Gast beim Börsenblatt

Am Messefreitag stellt Kim de l'Horizon beim Börsenblatt das Preisträgerbuch im Gespräch mit Stefan Hauck vor (Leseinsel der unabhängigen Verlage, 14 Uhr).