Ich denke immer noch oft an den Moment, als Lucinda mir vor Jahren zum ersten Mal von ihrer Idee zu den "Sieben Schwestern" erzählte. Während der Londoner Buchmesse waren wir zu einem Abendessen verabredet. Und irgendwann sagte Lucinda, dass sie jetzt gerne eine Zigarette rauchen würde. Wer Lucinda kannte, die als ehemalige Schauspielerin auch manchmal ihre Freude an kleinen Inszenierungen hatte, der wusste, dass sich hier etwas Gewichtigeres ankündigte als nur eine Zigarettenpause. Zusammen traten wir vor die Tür des Restaurants. In meiner Erinnerung regnete es draußen leicht und auf dem nassen Asphalt spiegelten sich die Lichter der Laternen und Häuser rund um uns, während der nächtliche Verkehr in stetem Takt gleichmütig an uns vorbeizog.
Im Schutz des tiefen Türrahmens zündete sich Lucinda eine Zigarette an, und dann begann sie atemlos zu erzählen: von dem mythenumwobenen Sternbild der Seven Sisters und davon ausgehend von ihrem nächsten großen Projekt, das nichts Geringeres sein sollte als ein Zyklus von sieben Romanen um sieben adoptierte Töchter eines geheimnisumwitterten reichen Mannes. Sie sprach von einer bedeutsamen "armillary sphere", die den Töchtern nach dem Tod des Adoptivvaters Hinweise auf ihre Herkunft geben sollte, und von vielem anderen mehr. Ich gestehe, ich verstand manches von dem, was sie sagte, beim besten Willen nicht: Ich hatte keine Ahnung, worum es sich bei dem Sternbild der Seven Sisters, geschweige denn bei den daran geknüpften antiken Mythen handelte, ebensowenig hatte ich eine Vorstellung, was eine "armillary sphere" sein mochte.
Was mich spontan aber zunächst eigentlich verunsicherte, war: das Projekt eines Zyklus von sieben Romanen erschien mir, vorsichtig gesagt, mehr als gewagt, und mir war denn auch einigermaßen mulmig bei dem Gedanken an die Herausforderung, die es für Lucinda, aber auch für uns als Verlag bedeuteten würde, dieses Projekt erfolgreich umzusetzen. Zugleich waren da freilich die unverkennbare Begeisterung Lucindas, das Feuer, die tiefe innere Überzeugung und die Leidenschaft, mit denen sie ihre Pläne für die Serie ausbreitete, das Herzblut, das in allem spürbar war, sodass mir damals rasch klar war: Diese Bücher muss Lucinda schlichtweg schreiben, unbedingt, alles andere ist undenkbar.
Diese "Zigarettenpause" vor dem Restaurant in London: sie enthielt und enthält für mich in nuce vieles von Lucindas Wesen: ihr lebendiges Temperament, ihre Ruhelosigkeit, die passionierte Hingabe an ihre Projekte, die Unbedingtheit ihres Schreibens, die rückhaltlose Bereitschaft, alle Risiken einzugehen, um ihre Vision zu verwirklichen, ihr kreative Unruhe und Umtriebigkeit. Sie, die immer so gerne unterwegs war und reisen und die Welt erkunden wollte, wollte auch im Schreiben nie stehenbleiben, suchte unentwegt neue Herausforderungen, wollte sich ein ums andere Mal schreibend neue Horizonte erschließen. Wer sie länger kannte, der ahnte freilich auch, dass sie, die Weltenbummlerin par excellence, gleichzeitig auch immer Halte- und Ruhepunkte für sich suchte: bei ihrer Familie, in den Refugien ihrer Häuser in Norfolk und Irland, bei vertrauten Personen, im Zuspruch von Leserinnen und Lesern und nicht zuletzt in der "Heimat", die sie in ihren internationalen Verlagen fand, denen sie sich fast allen über all die Jahre treu verbunden fühlte.