Das Gschaftlhuber-»Wir«
Warum tun manche Einzelunternehmer:innen, als hätten sie ein Team um sich? Hat dieses Schauspiel einen Nutzen? Wenn es durchschaubar ist, schadet es sogar und ist peinlich, findet unsere Kolumnistin Veronika Weiss.
Warum tun manche Einzelunternehmer:innen, als hätten sie ein Team um sich? Hat dieses Schauspiel einen Nutzen? Wenn es durchschaubar ist, schadet es sogar und ist peinlich, findet unsere Kolumnistin Veronika Weiss.
Aus dem Netz oder am Telefon schallt es uns entgegen: »Wir sind Ihre Partner für neue Herausforderungen«, »Sprechen Sie uns an!«, »Wir blicken auf 20 Jahre Erfahrung zurück«. So weit, so unverdächtig. Meistens steht hier hinter dem Plural ein Team. Aber manchmal ist das eine durchschaubare Farce. Dann wissen wir es besser, nämlich, dass es sich eigentlich um eine One-Wo:man-Show handelt. Diese Art der Selbstdarstellerei hat für mich etwas Komisches, und ich kann mir nicht verkneifen zu denken: Gut, dann geh mal in den Austausch, berufe ein Kick-off-Meeting ein, besprich dich mit deinen anderen Persönlichkeiten …
Ich nehme diesen Pluralis Majestatis als Blendermasche wahr. Durch Verwendung eines Pronomens, das nicht die Wahrheit abbildet, sondern sich einer sprachlichen Marotte aus längst vergangenen Jahrtausenden bedient, möchte man sich gehörig aufplustern. Man fingiert einen Personenkreis um sich herum, et voilà: Es haften einem scheinbar mehr Glaubwürdigkeit und ein gewisses Ansehen an, der Rückhalt von Kolleg:innen, vermeintliche Teamfähigkeit und Autorität.
Gab es Zeiten, in denen sich das so gehörte? In denen man unbedingt als Firma aufzutreten hatte und keinesfalls als Einzelperson? Das kann wirklich etwas Vornehmes haben, denn der Angeberei-Effekt kehrt sich ins Gegenteil um, wenn es um Erfolge geht: Da wird der Pluralis Majestatis zum Pluralis Modestiae, der Bescheidenheitsmehrzahl. Die Lorbeeren werden dann nämlich auf mehrere fiktive Köpfe verteilt – ob das wohl Kaiser des antiken Roms gemacht haben, aus deren Zeit der Pluralis Majestatis stammt?
In der Tat ist dieses »Wir« anachronistisch und albern. Die Werte unseres digital-durchsichtigen Heute sind andere: Offenheit und Transparenz. Fassade ist out, Menschlichkeit und Zugänglichkeit werden gelebt, die eigenen Struggles werden im gleichen Maße geteilt wie die daraus folgenden Learnings, Speaker erzählen ihre höchst persönliche Geschichte als Teil einer Marketingstrategie. Und selbst abseits jedes Kalküls gibt es doch ein gutes Bild ab, zur eigenen Selbstständigkeit zu stehen, denn erfolgreiche Solotätige haben viele Qualitäten vorzuweisen: Sie können sich selbst motivieren, sind unabhängig, vielseitig und engagiert, um nur wenige zu nennen. Das ist doch bewundernswert.
Kum steht aber der Verdacht im Raum, eine so tüchtige Person hätte eine mehrköpfige Firma herbeipluralisiert, fragt man sich doch
unwillkürlich, warum er oder sie das nötig hat. In meiner Vorstellung schrumpft dann die Firma auf einen einzigen groß daherredenden, wichtigtuenden Menschen. Einen echten Gschaftlhuber, wie man in Wien so treffend und abfällig sagt. Und das war’s dann mit dem positiven Image.
Veronika Weiss (37) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung arbeitet sie in Hamburg als Lektorin in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) und nebenbei frei als Texterin. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.