Werden Sie aktiv, wenn sich Auszubildende allein gelassen fühlen?
Richterich: Ja, wenn wir in Kenntnis gesetzt werden, schauen wir uns die Situation vor Ort an, lassen uns die Personaleinsatzplanung geben – und prüfen, ob der Azubi vom Personalschlüssel her fachgerecht betreut werden kann. Ist das nicht der Fall, können weitere Maßnahmen ergriffen werden. In letzter Konsequenz könnte sogar die Ausbildungsberechtigung entzogen werden. Das ist schon vorgekommen, aber ein absoluter Ausnahmefall.
Wären Sie in der Krise etwas nachsichtiger mit den Betrieben?
Scheuerle: Wir sind für beide Seiten da – für die Betriebe und die Auszubildenden. Bei unseren Entscheidungen orientieren wir uns an klaren Empfehlungen zum Fachkräfteverhältnis im Betrieb. Solche Zahlen sind nicht verhandelbar. Zum Glück gibt es jede Menge Eskalationsstufen. Das meiste lässt sich im persönlichen Gespräch klären.
Was raten Sie den 60 Azubis, die den Brandbrief unterschrieben haben? Könnten Sie mal einen Fall durchspielen?
Scheuerle: Grundsätzlich sollten sich alle Auszubildenden, die in ihren Unternehmen vor scheinbar unlösbaren Problemen stehen, an die Ausbildungsberater*innen der jeweiligen IHK wenden. Wir unterliegen der Schweigepflicht und sprechen erst einmal unter vier Augen über den Fall. Wir überlegen dann gemeinsam mit dem Auszubildenden, wie sich der Konflikt, der oft mit Emotionen verbunden ist, versachlichen lässt.
Richterich: Manchmal gibt es ja Vertrauenspersonen oder Betriebsräte im Unternehmen, die vermitteln können. Ist das Problem absolut nicht zu beheben und befreien uns die Auszubildenden von der Schweigepflicht, dann gehen wir direkt auf das Unternehmen zu. In 99,9 Prozent der Fälle lässt sich der Konflikt dann im direkten Gespräch mit Azubi, Ausbilder und ausbildendem Unternehmen lösen.
Was uns bei den Beratungen übrigens häufig auffällt: Viele Auszubildende wissen oft gar nicht so genau, welche Tätigkeiten laut Ausbildungsordnung zu ihrem Aufgabenfeld gehören. Wenn angehende Buchhändler*innen zum Beispiel kritisieren, dass sie im Moment vor allem Telefonisten, Auslieferer und Kassenkräfte sind, muss man sagen, das alles gehört vollumfänglich zum buchhändlerischen Beruf dazu. Auch wenn es vielleicht nicht der schönste Teil ist.