Flutkatastrophe

Buchhandel im Notbetrieb

20. September 2021
Christina Schulte und Michael Roesler-Graichen

Zwei Monate nach der Flutkatastrophe schöpfen die betroffenen Buchhandlungen und Verlage Hoffnung. Es gibt eine Welle der Solidarität, und die Geschäfte laufen im Notbetrieb weiter. Bis alle Schäden behoben sind, ist viel Improvisation gefragt.

Zwei Monate nach der verheerenden Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeichnet sich allmählich ein Bild der Lage ab. Die Wasser- und Schlammmassen, die sich in der Nacht zum 15. Juli das Ahrtal und viele weitere Gebiete in der Eifel hinabwälzten, haben nicht nur mindestens 183 Menschenleben und Tausende von Existenzen zerstört, sondern auch eine großflächige Zerstörung angerichtet. Vielerorts ist die Infrastruktur – Wasser, Gas, Strom, Straßen, Schienen, Telekommunikation – bis heute nicht wiederhergestellt; zahlreiche Haushalte können vorläufig nicht beheizt werden.
 

Bis die Gesamtschadenssumme feststeht, werden noch Monate vergehen. Auch die Schäden, die die Naturkatastrophe im Einzelhandel angerichtet hat, lassen sich noch nicht genau beziffern. In vielen Fällen muss auch erst der Versicherungsstatus geklärt werden. Gutachter*innen werden noch Wochen und Monate brauchen, um den Schadensumfang festzustellen.

Wie auf Börsenblatt online berichtet, waren auch zahlreiche Buchhandlungen massiv von den Überflutungen betroffen. In anderen Fällen, wo das Ladengeschäft selbst verschont blieb, verloren Mitarbei-ter*innen ihr Obdach oder wurde das Umfeld massiv zerstört. Neben den materiellen Schäden sind auch die psychischen Folgen immens. Viele Menschen in den verwüsteten Landstrichen sind traumatisiert und müssen mit menschlichen und materiellen Verlusten fertig werden.

Inmitten von Leid und Zerstörung gibt es aber erste Lichtblicke und Hoffnungszeichen, so etwa bei Mütters Buchhandlung am Markt in Bad Müns­tereifel. Dort sind die Aufräumarbeiten laut Inhaber Josef Mütters schon ziemlich weit gediehen, Wände und Boden des überfluteten Ladenlokals beispielsweise schon herausgerissen. Leider fehle es an Bautrocknern, so Mütters. Ein Artikel, den die Baumärkte nicht in dem Tempo nachordern können, wie er verlangt wird. Der Schaden an seiner Buchhandlung belaufe sich auf rund 150 000 Euro, schätzt der Buchhändler.

Eine frohe Botschaft verkündet Mütters in Sachen Rotes Sofa – Herzstück der Buchhandlung – das von Wassermassen und Schlamm stark gezeichnet war. Eine Firma aus Bielefeld habe ­spontan Hilfe angeboten, sei mit Stoff­mustern vorbeigekommen und habe das Sofa daraufhin mitgenommen. »Nun wird es kostenlos restauriert«, freut sich Josef Mütters. 

Auch sonst konnte sich die Buchhandlung über große Hilfsbereitschaft und Unterstützung freuen. Die Kampagne auf der Plattform Gofoundme sei »super« gelaufen, Buchhandlungen, Verlage, Vertreter*innen, Kolleg*innen und Kund*innen seien ebenfalls zur Hilfe gekommen: Sie alle hätten Unterstützung geleistet, sei es materiell oder mit Arbeitskraft. »Das ist der Wahnsinn, unsere Branche ist schon besonders«, meint Mütters. Auch das Sozialwerk habe sehr schnell Geld überwiesen. »Das kann ich gut für die lange Überbrückungsphase brauchen«, sagt der Buchhändler.

Bad Münstereifel solle bis Mitte des nächsten Jahres wieder aufgebaut werden, blickt Mütters in die Zukunft. »Wie weit wir dann mit unserem Laden sind, werden wir sehen.« Im Moment werde sehr viel geplant, wie schnell sich das alles umsetzen lasse, bleibe abzuwarten. »Spannend wird sein, was am Ende noch an Geld übrig ist, um den Laden wieder schön und neu aufzubauen.« Bis es soweit ist, läuft der Buchverkauf über den Onlineshop weiter: »Für unsere Verhältnisse ist das Geschäft ganz in Ordnung, wir setzen etwas mehr um als sonst. ­Einige Stammkunden nutzen dieses Angebot.«
 

Notbetrieb im Privathaus

Jessica Bälz in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat es besonders heftig getroffen: Sie verlor durch die Flut zwei Buchhandlungen, die Buchhandlung am Ahrtor (Ahrhutstraße 11) und die ARE Buchhandlung (Telegrafenstraße 23) wenige Kilometer flussabwärts. Beide Läden standen zwei Meter unter Wasser und sind vorläufig nicht zu nutzen.

Doch die Hilfe aus dem Kolleg*in­nenkreis ließ nicht lange auf sich warten. Die Buchhandlung Reuffel in Koblenz spendete Tische und Regale sowie eine Verpackungs- und Buchhandelsausstattung, um Jessica Bälz beim Aufbau einer Pop-up-Buchhandlung in ihrem Privathaus in der Elligstraße zu unterstützen. »Wir konnten zwei Räume dafür nutzen, die vermietet werden sollten. Natürlich ist hier einiges improvisiert, aber inzwischen füllen sich die Räume mit Ware. Viele Verlage unterstützen uns mit Büchern.« Dazu kommen Spenden einer eBuch-Händlerin aus Templin, die für die Buchhandlung am Ahrtor gesammelt hat, und vieler weiterer Personen. Einige der Spenden will Bälz weiterreichen, und zwar in Form von Buchgutscheinen für Schülerbibliotheken und Bestände von Kindergärten, die ebenfalls schwere Verluste erlitten haben. Über die Spenden hinaus wurde auch die Soforthilfe des Landes, einige Tausend Euro, sehr schnell ausgezahlt.

Seit 16. August hat Jessica Bälz den Notbetrieb aufgenommen. An der mit großen Spanplatten zugenagelten Fassade der überschwemmten Buchhandlung kündet ein Transparent davon, dass der Betrieb in der Elligstraße fortgesetzt wird: »Es geht weiter!«

Welche Versicherungsleistungen die Buchhändlerin zu erwarten hat, ist noch offen. »Ich habe eine Elementarschadenversicherung für Inventar und Ware abgeschlossen, muss aber abwarten, ob die vernichtete Ware in vollem Umfang ersetzt wird.« Da Bälz beide Ladenlokale angemietet hat, liegt die Schadensregulierung für die Gebäude beim jeweiligen Vermieter. Wie schnell das geklärt wird, kann sie derzeit noch nicht sagen.

Nach der Überflutung musste zunächst die Belieferung der Buchhandlungen durch booxpress (Libri) gestoppt werden, weil es keinen Laden mehr gab, an den zugestellt werden konnte. »Ich habe dann bei den Auslieferungen die von mir bestellte Ware geparkt. Danach musste ich klären, wie ich mit den Schulbuchbestellungen verfahre.« Inzwischen kommen die Kunden in die Pop-up-Buchhandlung, um Bücher zu kaufen, halten sich aber nur kurze Zeit auf, weil der Platz begrenzt ist. »Einige bestellen lieber ­online oder nutzen das eBuch-Abholfach.«

Wann die beiden Buchhandlungen wieder eröffnet werden können, ist derzeit noch offen. Jessica Bälz hofft aber, dass der Betrieb in den früheren Räumen im Sommer 2022 wieder aufgenommen werden kann. Bis dahin wird sie und werden alle noch viel Geduld brauchen. »Man muss mit sich und allen anderen nachsichtig sein.«

Übergangsdomizil Weinladen

Vollkommen zerstört wurde die Buchhandlung Oelrich & Drescher in der Neustraße 10 in Eschweiler, unweit des kleinen Flusses Inde, eines Nebenflusses der Rur, der ebenfalls zu einem reißenden Strom anschwoll. Wie und wann es dort wieder weitergeht, kann Mitinhaber Jörg Drescher derzeit nicht sagen. »Das Gebäude, in dem sich das Ladenlokal befand, ist von einer ­Abbruchfirma komplett entkernt worden. Jetzt warten alle Beteiligten auf die Handwerker.« Die Schadensregulierung durch den Vermieter läuft, und die Schäden an Inventar und Ware, die ­Drescher erlitten hat, sind inzwischen bei der Versicherung eingereicht. »Was dabei herauskommt, weiß man allerdings nicht.«

Eine Wiedereröffnung der Buchhandlung in den alten Räumen erwartet Drescher nicht vor Mitte 2022 – und es ist noch nicht klar, in welchem Umfeld sie erfolgen wird. »So steht fest, dass das Nachbarhaus nicht repariert wird«, sagt Drescher. Inzwischen hat die Buchhandlung aber ein Übergangsdomizil im Eschweiler Weinladen in der Rosenallee 26 gefunden. Stammkunden kommen dorthin und kaufen viele Buchgutscheine oder bestellen online, so Drescher

Das Gebäude, in dem sich das Ladenlokal befand, ist komplett entkernt worden. Jetzt warten alle Beteiligten auf die Handwerker.

Jörg Drescher

Bautrockner laufen

Neben Buchhandlungen gehören auch Verlage zu den Betroffenen der Flut. Besonders hart hat es die Velbrück Verlage im Kulturhof Velbrück in Weilerswist-Metternich getroffen. Bis zu drei Meter hoch stand das Wasser in den Räumen, darunter im großen Hauslager der Verlage Velbrück Wissenschaft, Dittrich Verlag, Barton Verlag, v. Hase & Koehler. Allein hier ­gingen 20 000 Bücher verloren. »Inzwischen sind die Räume komplett leer und überall sind Bautrockner aufgestellt«, sagt Marietta Thien, die Leiterin der Verlage und des Kulturhofs, zu dem auch die Versandbuchhandlung Velbrück Bücher und Medien gehört. »Zum Glück war das vollständige Verlagslager bei unserer Auslieferung Prolit in Sicherheit«, so Thien. »Nachdem das Wasser abgeflossen war, waren wir zwei Wochen damit beschäftigt, aufzuräumen. Dabei haben viele junge Leute – befreundete, aber auch viele unbekannte – aktiv mitgeholfen. Mit unserem Büro sind wir dann in das Obergeschoss ausgewichen, wo wir unsere Verlagsproduktion dank Homeoffice und Cloud weiterbetreiben konnten«, erzählt Thien.

Wir arbeiten derzeit im ›Geist des Provisoriums‹.

Marietta Thien, Kulturhof Velbrück, Weilerswist-Metternich

Die Schadensbilanz ist beträchtlich: Neben zerstörtem Mobiliar und unbrauchbarer Büroausstattung treibt allein das vernichtete Buchlager die Schadenssumme in den sechsstelligen Bereich. Hilfe ließ nicht lange auf sich warten: Den gemeinnützigen Kulturhofverein erreichten bereits Spenden, mit denen schon in neue elektronische Geräte investiert werden kann. Die Soforthilfe des Bundes – eine Pauschale in Höhe von 5 000 Euro – ist inzwischen längst geflossen, »ein Tropfen auf den heißen Stein«, so Thien. Die gemieteten Gebäude sind zwar elementarversichert – doch bis gezahlt wird, wird noch einige Zeit verstreichen. Noch sind die Gutachter mit der Schadensaufnahme beschäftigt.

Bis die Hofgebäude wieder vollständig genutzt werden können, »werden Wochen vergehen«, sagt Thien. »Bis dahin werden wir im Provisorium arbeiten, und das auch mit gebrauchten Möbeln. Ein benachbartes Unternehmen stellte seine Frankiermaschine für einen ­größeren Postversand zur Verfügung. Mit etwas Glück gibt es im Oktober wieder das normale Telekomnetz und Strom – bislang behelfen wir uns mit Mobilfunk und Baustrom.«

Im Moment ist für Thien und andere Betroffene das Gefühl bestimmend, »bei Null anzufangen, im Geist des Provisoriums«. Aber in dieser Phase seien schon viele neue Ideen und interessante Kontakte entstanden: »Der Blick nach vorne ist entscheidend: Und wir haben klare Ziele vor Augen – wir machen weiter.«

Auch Thalia betroffen

Nicht nur inhabergeführte Buchhandlungen, sondern auch zwei Filialen von Thalia waren wegen Hochwasserschäden lahmgelegt: Thalia in Euskirchen und die Mayersche in Eschweiler. Dort ist das Obergeschoss der Buchhandlung bereits wieder geöffnet; die Sanierungsarbeiten für eine vollständige Wiedereröffnung laufen aktuell noch, wie die Unternehmenskommunikation von Thalia auf Anfrage mitteilt. Die Thalia-Buchhandlung in Euskirchen musste aufgrund der Hochwasserschäden komplett geräumt werden und ist derzeit geschlossen. »Ab Ende September ist ein Notbetrieb ge­plant. Wir hoffen, die Buchhandlung noch in diesem Jahr wieder öffnen zu können«, heißt es aus Hagen.

Not der Mitarbeiter*innen

Das Hochwasser traf nicht alle Buch­händler*innen mit voller Wucht. Aber auch wenn das Ladengeschäft unversehrt blieb, waren Buchhänd­ler*innen mit der Not ihrer Mitarbei­ter*innen oder mit der zerstörten Infrastruktur konfrontiert. Rosemarie Schneider, ­Inhaberin der Buchhandlung Lesezeit in Sinzig, stellte ihre Mitarbeiterinnen, die ihre Privatwohnungen wegen Überflutungen verlassen mussten, für einige Zeit frei, damit sie ihre persönlichen Dinge regeln konnten.

Außerdem gab es einige Tage Probleme mit der Telekommunikation und dem Computer, zudem floss kein Strom. Bestellte Bücher werden derzeit häufig noch verspätet zugestellt, weil die Bundesstraße 61 noch teilweise gesperrt und die B 9 nur einspurig befahrbar ist. Finanzielle Hilfe hat Schneider nicht beantragt, da andere Buchhändler viel stärker betroffen seien.

Bücher in Notunterkünfte

Nicht im Zentrum der Katastrophe, aber nur wenige Kilometer vom Ort des Geschehens im Ahrtal entfernt, unweit des Nürburgrings, liegt Adenau, wo Josef und Karin Berens ihre Buchhandlung betreiben. Sie selbst sind nicht betroffen, kennen jedoch beide eine große Zahl von Opfern und Geschädigten. »Das sind auch mental schwierige Zeiten«, sagt Josef Berens, »viele Kunden kommen völlig aufgelöst in die Buchhandlung, und man kann abends nach der Arbeit nicht abschalten.« Seine Frau, die im Adenauer Gymnasium ­einen Leseclub betreut, spricht von traumatisierten Schulkindern, die aus den heimgesuchten Ahrgemeinden stammen. »Wenn heute im Wetterbericht das Wort ›Starkregen‹ genannt wird, verfallen viele in Schockstarre«, sagt Josef Berens.

Berens und seine Frau haben – durch Spenden unterstützt – Bücher organisiert und in Notunterkünfte in Ahrbrück, Altenahr, Dernau, Hönningen und Antweiler gebracht. »Wir wollten nach Möglichkeit jedem Kind, das seine kompletten Schulsachen verloren hat, Bücher und Schreibwaren mitgeben.«

Der Buchhandelsbetrieb konnte aufrechterhalten werden, und die Belieferung durch Libri funktionierte reibungslos. Wie es im Ahrtal weitergehen wird, lasse sich schwer vorhersagen. »Viele wissen nicht weiter und einige werden die Region vielleicht verlassen.« Erst in fünf bis zehn Jahren werde sich die Gegend von der Unwetterkatastrophe erholt haben, schätzt Berens.

FLUTHILFE

Das Sozialwerk des Deutschen Buchhandels hat bisher 14 Buchhandelsunternehmen sowie privat durch das Hochwasser betroffene Personen der Buchbranche finanziell unterstützt. Es wurde vorab eine Summe von 115 000 Euro ausgezahlt.
Kontakt: Rolf Nüthen, sozialwerk@boev.de
Betroffene Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz konnten auf dem Weg der Soforthilfe einen Pauschalbetrag von 5 000 Euro beantragen.
Nordrhein-Westfalen startet am 17. September die Wiederaufbauhilfe zur Unwetterkatastrophe mit Bundesmitteln. Unternehmen können bei Sachschäden Mittel für Reparaturkosten oder den wirtschaftlichen Wert geltend machen. 
Infos: www.land.nrw/wiederaufbauhilfe