Stiftung Freedom of Expression: Interview mit Meron Mendel

"Zur Meinungsfreiheit gehört auch Mut, nicht auszuweichen"

8. Mai 2024
von Michael Roesler-Graichen

Um die Aufmerksamkeit für die freie Meinungsäußerung in einer liberalen Demokratie zu stärken, wurde im Dezember 2023 die Stiftung Freedom of Expression gegründet. Gemeinsam mit dem Börsenverein und der Frankfurter Agenturallianz richtet sie die derzeitige Woche der Meinungsfreiheit aus. Kuratoriumsmitglied Meron Mendel über die Ziele der Stiftung und seinen persönlichen Beitrag.

Meron Mendel

Was war der Grund dafür, eine Stiftung für Meinungsfreiheit ins Leben zu rufen?

Meron Mendel: Die Meinungsfreiheit ist Teil der DNA jeder liberalen Demokratie, aber sie ist in den letzten Jahren weltweit sehr stark unter Druck geraten, in den USA, in Brasilien, in Ungarn, Polen und auch in Israel. Wir haben es mit einer Welle des Rechtspopulismus zu tun, gegen die auch Deutschland nicht immun ist, wie der Aufstieg der AfD vor Augen führt. Und die Meinungsfreiheit wird von der Rechten bewusst instrumentalisiert, um unter ihrem Deckmantel Falschinformationen und Halbwahrheiten zu verbreiten. All dies sind Gründe, um eine solche Stiftung zu gründen.

Die Meinungsfreiheit wird von der Rechten bewusst instrumentalisiert, um unter ihrem Deckmantel Falschinformationen und Halbwahrheiten zu verbreiten.

Meron Mendel

Welche Ziele verfolgt die Stiftung?

Meron Mendel: Ziel der Stiftung Freedom of Expression ist es, Akteure zu vernetzen, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Meinungsfreiheit zu stärken. Dazu braucht es Aufklärung, die wir in die öffentliche Debatte einbringen wollen. Aufklärung und Rationalität müssen an erster Stelle stehen, nicht nur Emotionalisierung und Polemik. Das ist gerade in Deutschland vor dem Hintergrund der NS-Zeit von großer Bedeutung. Wir wollen auch in den internationalen Raum hineinwirken und den Austausch fördern, vor allem über die Frankfurter Buchmesse. Die Kontakte, die wir in alle Welt haben, wollen wir dafür nutzen.

Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen? Was würden Sie noch als Meinung akzeptieren, und was wäre Ihrer Meinung nach Rassismus oder Antisemitismus?

Meron Mendel: Es wird immer gesagt, Rassismus ist keine Meinung, Antisemitismus ist keine Meinung. Das ist leicht gesagt, aber wir sehen, dass diese abstrakten Begriffe in ihrer Umsetzung sehr schwierig sind. Seit einiger Zeit läuft eine Debatte über die Definition von Antisemitismus – in der Wissenschaft, in der Politik und in der Öffentlichkeit. Wir müssen immer unterscheiden, ob es sich um eine Meinung oder eine Tatsachenbehauptung handelt. In der Corona-Zeit haben wir gesehen, dass Meinungs-Influencer im großen Stil Falschinformationen verbreiten und die Realität verzerrt darstellen. Das ist eine große Gefahr, und der „Master“ in dieser Disziplin ist der ehemalige US-Präsident Donald Trump. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, unkontrolliert falsche Aussagen zu verbreiten. – Ein zweiter Aspekt sind subjektive Empfindungen: Juden fühlen sich von Äußerungen, die sie als antisemitisch wahrnehmen, verletzt, Schwarze von rassistischen Äußerungen und so weiter. Hier müssen wir zwischen gesellschaftlicher Diskussion und einer staatlichen, institutionellen Aktion unterscheiden. Die Empörung von Menschen und die Widerrede sind Teil der Meinungsfreiheit. Problematisch wird es, wenn die Politik ein verkürztes Verständnis in der Frage übernimmt, wann Antisemitismus oder Rassismus beginnen. Wir brauchen die Debatte in der Gesellschaft, in der Wissenschaft und in der Kulturwelt, um einen breiteren Konsens für die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus zu finden.

Welche persönlichen Ziele verfolgen Sie als Mitglied des Kuratoriums?

Meron Mendel: Aufgrund meiner Biographie und meiner Wirkung als Direktor der Bildungsstätte Anne Frank beschäftige ich mich sehr intensiv mit der Diskussion über den Nahostkonflikt in Deutschland, erst recht seit dem 7. Oktober 2023. Ich bin dafür, dass wir einen offenen, gesellschaftlichen Dialog über die Positionen zum Nahostkonflikt führen sollten, der natürlich mit der deutschen Geschichte verknüpft ist und so das eigene Selbstverständnis der Menschen berührt. Meinungsfreiheit bedeutet hier, viel auszuhalten, darf aber nicht als Blankoscheck für Halbwahrheiten oder Falschinformationen missverstanden werden. Es wäre gut, wenn wir das hohe Gut der Meinungsfreiheit nutzten, um gerade auf einem so umkämpften Terrain wie dem Nahostkonflikt eine vernünftige, aufgeklärte Debatte führen zu können, jenseits von Polemik und Boykott.

Ich bin dafür, dass wir einen offenen, gesellschaftlichen Dialog über die Positionen zum Nahostkonflikt führen sollten, der natürlich mit der deutschen Geschichte verknüpft ist und so das eigene Selbstverständnis der Menschen berührt. 

Meron Mendel

Was kann die Stiftung Freedom of Expression konkret tun?

Meron Mendel: Wir können den Meinungsaustausch vorleben. So werde ich Ende Mai im Auftrag der Stiftung an der WEXFO-Tagung in Lillehammer teilnehmen und dort auch sprechen: über die Meinungsfreiheit in Deutschland und die Frage, wie in der Diskussion um den Nahostkonflikt die Meinungsfreiheit in Deutschland gewährleistet werden kann, und ob es Einschränkungen gibt. Auch in Deutschland gibt es bei diesem Thema noch Luft nach oben, wie die Diskussion um Adania Shibli und die Verschiebung der Preisverleihung gezeigt hat. Es war keine einfache Entscheidung, aber ich habe bereits damals meiner Meinung Ausdruck verliehen, dass es nicht die richtige Entscheidung war. Es wäre vielleicht ein besserer Umgang damit möglich gewesen. Der Fall Shibli war zudem kein Einzelfall, es gab eine Reihe von Veranstaltungen, Ausstellungen und Preisverleihungen, die abgesagt wurden. Die Häufung dieser Vorfälle seit dem 7. Oktober kann man durchaus als Problem sehen. Wir tun uns als Gesellschaft keinen Gefallen, wenn wir reflexhaft ausladen, absagen oder verschieben. Mir ist es immer lieber, etwas zu versuchen und zu scheitern, als prophylaktisch etwas abzusagen, damit ja nichts Falsches geschieht. Zur Meinungsfreiheit gehört auch ein Stück Mut, sich Herausforderungen zu stellen und nicht auszuweichen. Genau das ist zurzeit in unserer Diskussionskultur nicht in ausreichendem Maße vorhanden.