Friedenspreis: Anne Applebaum auf der Buchmesse

"Wir sollten vorbereitet sein"

18. Oktober 2024
von Sabine Cronau

Für Anne Applebaum, selbst Journalistin, fühlte es sich „etwas merkwürdig“ an, plötzlich auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen: Die Friedenspreisträgerin 2024 stellte sich heute auf der Frankfurter Buchmesse den Fragen der Presse. Was passiert, wenn Donald Trump die Wahl gewinnt? Und wie lassen sich Kriege beenden? Nachdenkliche Antworten zu den Themen der Zeit.

Anne Applebaum

Die amerikanisch-polnische Historikerin wird am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Als sie die Nachricht bekommen habe, dass der Friedenspreis in diesem Jahr an sie gehen solle, so Anne Applebaum, sei sie „immens überrascht“ gewesen – und habe gefragt: „Sind Sie sicher, dass Sie den Friedenspreis an mich vergeben wollen?“. Schließlich sei Frieden für sie keineswegs dasselbe wie Pazifismus, stellte Applebaum klar, die schon früh prognostiziert hat, dass Putin eine klare machtpolitische Agenda verfolgt.

Es sei ein Fehler gewesen, Europa und die Ukraine nicht auch militärisch dagegen zu wappnen, betonte Applebaum auf der Pressekonferenz: „Manchmal lässt sich der Frieden nur durch Verteidigung erhalten“.

Die Historikerin machte aber auch deutlich, dass jeder Krieg anders sei und es deshalb auch kein Patentrezept gebe, um Auseinandersetzungen zu beenden. Alle an einem Tisch zu versammeln und ein Bier miteinander zu trinken – damit sei es jedenfalls nicht getan. Im Konflikt mit Russland räumt die Publizistin der Diplomatie derzeit wenig bis keine Chancen ein, dagegen könnten vermittelnde internationale Gespräche durchaus eine Lösung für den Krieg im Sudan sein.

Manchmal lässt sich der Frieden nur durch Verteidigung erhalten.

Anne Applebaum

Das wachsende Netzwerk der Autokraten

Gerade ist ihr neues Buch erschienen: „Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten“ (Siedler). Applebaum analysiert darin das wachsende Netzwerk der Autokraten, die zwar ideologisch unterschiedlich ausgerichtet sind, aber einen gemeinsamen Feind gefunden haben: die liberalen Demokratien. Nordkoreo unterstützt die russische Armee, der Iran und China liefern Drohnen oder Waffen an Russland, alle gemeinsam steigen in den sozialen Medien tief in den Propagandakrieg der Worte und Fake News ein.

Für Applebaum sind es vor allem zwei Dinge, die heutige Autokraten den Vorgängern vergangener Jahrhunderte voraus haben: Ein neues Businessmodell, das Politik und Wirtschaft miteinander verflechtet (wie bei Gazprom in Russland) – und die digitalen Technologien mit all ihren Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten, aber auch der minutenschnellen, weltumspannenden Verbreitung von Propaganda. Zugleich warnt sie vor einem Schwarz-Weiß-Denken, das die Welt in zwei Teile teilt  – denn auch bei Autokratien und Demokratien gebe es viele Grauschattierungen.

Die Stärke von Demokratien gegenüber Autokratien: Sie sind ganz anders in der Lage, Veränderungen und Krisen zu bewältigen.

Anne Applebaum

Sie sei von der tiefgehenden Analyse beeindruckt gewesen, so Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs über Applebaums Buch: „Es öffnet uns die Augen dafür, welchen Gefahren die Demokratie ausgesetzt sind – so klar, dass es manchmal fast schmerzt, weil wir so gerne etwas anderes geglaubt hätten“.

Die gute Nachricht: Auch Autokratien seien fragil, so Anne Applebaum – wer glaube, dass Demokratien schwach und Autokratien stark seien, sitze bereits einem Narrativ auf, das gezielt gestreut werde.

Wer etwa folge auf Putin, wenn ihm etwas passiere? Genau darin, in den klaren Schritten von Nachfolge und Regierungswechsel sieht die Historikerin denn auch eine klare Stärke der Demokratien: „Sie sind ganz anders dazu in der Lage, Veränderungen und Schockmomente zu bewältigen.“

Donald Trump wird sicher nicht zum Anführer einer großen Koalition der Demokratien.

Anne Applebaum

Angreifbar, daran ließ Applebaum keinen Zweifel, sind Demokratien dagegen im digitalen Informationskrieg – und durch die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Geld, das aus den Autokratien in internationale Unternehmen und das gesamte Finanzsystem fließe.

Regulierung der großen Plattformen, die mit Hass und Hetze Geld machen – und ein Schlusstrich unter das symbiotische Verhältnis, das Demokratien und Autokratien im internationalen Wirtschaftssystem verbindet: Das sind für die Friedenspreisträgerin deshalb zwei Möglichkeiten, um Demokratien wehrhafter zu machen.

Und was passiert, wenn Donald Trump die Wahl gewinnt?  Sicher werde er nicht zum Anführer einer großen Koalition der Demokratien werden, so Anna Applebaum. Dafür sympathisiere er zu sehr mit den Autokraten – ohne selbst einer zu sein. In jedem Fall, so ihr Rat, brauche Europa dringend Alternativen für sein Verteidigungs- und sein Wirtschaftssystem, um sich von Amerika unabhängiger machen zu können: „Wir sollten vorbereitet sein.“

ARD überträgt die Preisverleihung

Mehr von und über Anne Applebaum gibt es bei der Friedenspreisverleihung am Sonntag, 20. Oktober, in der Frankfurter Paulskirche. Der Festakt wird ab 10.45 Uhr in der ARD übertragen. Hier auf boersenblatt.net gibt es tagesaktuelle Bilder, die wichtigsten Zitate aus den Reden – und zum ersten Mal einen Friedenspreisnewsletter.