Mediacampus Frankfurt: Uwe Becker zu Gast beim AG-Tag

"Wir müssen Brücken bauen, keine Wände"

25. November 2024
Jule Heer

"Die Kraft des Dialogs: Gesellschaftliche (emotional aufgeladene) Debatten konstruktiv führen" — unter diesem Motto stand eine Veranstaltung am 21. November auf dem Mediacampus Frankfurt. Mit dabei war Uwe Becker, Antisemitismusbeauftragter der Stadt Frankfurt, der mit Berufsschüler:innen über Ausgrenzung, Antisemitismus und Islamophobie diskutierte. 

Uwe Becker, Sonja Vandenrath und die Berufschüler:innen mit dem Buch „Streiten? Unbedingt!“ von Michel Friedman

Uwe Becker, Sonja Vandenrath und die Berufschüler:innen mit dem Buch „Streiten? Unbedingt!“ von Michel Friedman

Weshalb Debatte wichtig ist

Der AG-Tag wurde inhaltlich von Marcus Riverein und einer Gruppe Berufschüler:innen vorbereitet und von der Taskforce Politische Aufklärung unterstützt. Die Berufschüler:innen hatten dabei Gelegenheit, an einem Debattentraining teilzunehmen und sich im Anschluss mit Uwe Becker, Staatssekretär im Hessischen Finanzministerium und Antisemitismusbeauftragter der Stadt Frankfurt, darüber auszutauschen, wie man über schwierige und emotionale Themen wie Antisemitismus, Ausgrenzung und Islamophobie eigentlich sprechen kann.

Monika Kolb, Geschäftsführerin des Mediacampus, die das Gespräch moderierte, drückte ihre Freude darüber aus, dass die Anwesenden sich trauten, über emotional aufgeladene, politische Themen miteinander in den Dialog zu gehen. "Das ist groß. Das ist stark. Das ist erwachsen", meinte sie. Debattieren sei wichtig, müsse aber auch gelernt werden. Es gab daher im Vorfeld ein moderiertes Kommunikations- und Debattentraining in den jeweiligen Klassen der Berufsschüler:innen.

Als Politik-Dozent am Mediacampus Frankfurt hat Marcus Riverein Anfang Oktober eine AG mit 20 Berufsschüler:innen ins Leben gerufen, mit der er die Veranstaltung vorbereitet hat. Dabei stellten sie zunächst fest, dass viele Menschen nach dem Motto "Es kann ja gar nicht sein, dass ich falsch liege" handeln. Gerade wegen solcher Einstellungen halte Riverein die moderne Gesellschaft für "viel atavistischer, als man sich das wünscht." Es sei deshalb umso wichtiger, die eigene Meinung auch in Frage zu stellen — und die Meinung anderer Menschen in Betracht ziehen zu können. 

Monika Kolb

Monika Kolb

Antisemitismus in Deutschland

Uwe Becker, Staatssekretär im Hessischen Finanzministerium sowie Antisemitismusbeauftragter der Stadt Frankfurt, erzählte, dass ihn bereits früh der Wunsch angetrieben habe, etwas für die Gesellschaft zu tun. Das Weltgeschehen in den Nachrichten zu erleben, habe ihn bereits als Kind bewegt. Seinen Einsatz gegen Antisemitismus beschrieb er als "das, was ich am wenigsten gern machen würde, weil ich hoffen würde, man braucht es irgendwann nicht mehr." Dass das Amt jedoch notwendig ist, merkte er vor allem wieder, als im Oktober 2023 nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel auch jüdische Eltern in Deutschland Angst hatten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Und das, obwohl die jüdische Schule in Frankfurt mit Einlassschleusen und Polizeikontrollen bereits die sicherste Schule in Deutschland sei.

Auch in den sozialen Medien werde Islamophobie, Antisemitismus und Ausgrenzung immer mehr verbreitet. Becker sagte: "Über das 'Nie wieder' sind wir schon lange hinaus." Gerade deswegen sei es wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sein Auftrag bestünde nicht nur darin, Antisemitismus zu bekämpfen, sondern auch darin, über jüdisches Leben aufzuklären und zu informieren. "Wir müssen Brücken bauen, keine Wände", so Becker. Viele Menschen hätten in Deutschland keinen Bezug zu jüdischem Leben, aber dennoch ein — oft negativ gefärbtes — Bild von Juden und Jüdinnen im Kopf.

Über das 'Nie wieder' sind wir schon lange hinaus.

Uwe Becker

Gespräch zwischen Uwe Becker und den Berufsschüler:innen

Wie zeigt sich Antisemitismus in Frankfurt? Wie geht die Politik dagegen vor? Welche Rolle spielt Bildung dabei? Im Gespräch mit den Berufsschüler:innen beantwortete Becker ihre Fragen. Leider sei der Antisemitismus "genauso bunt und vielfältig geworden", wie er es sich eigentlich von der Gesellschaft wünschen würde: Es gebe rechts- und linksextremistischen sowie Israel-bezogenen Antisemitismus. Dieser fange auch schon da an, wo von "Israelkritik" gesprochen würde — ein Wort, das auf andere Länder bezogen nicht verwendet werde. Israelbezogener Antisemitismus sei "salonfähig geworden" und es sei wichtig, Sprache zu hinterfragen, da in ihr oft auch unbewusst bereits Ausgrenzung stecke. So sollte man von Menschen, die schon ihr Leben lang — und teilweise seit mehreren Generationen — in Deutschland leben, nicht mehr von Menschen mit Migrationshintergrund sprechen.

Bemerkbar mache sich Antisemitismus auch daran, dass viele jüdische Menschen sich an ihrem Arbeitsplatz, in der Schule oder Universität nicht trauten, sich sichtbar zu ihrem Glauben zu bekennen oder zu äußern. Becker habe selbst beim Besuch einer Schule erlebt, dass jemand aus dem Kollegium sagte: "Wir haben auch eine jüdische Lehrerin, aber sie traut sich nicht, das zu sagen." Schlimm sei, wenn Gleichgültigkeit und Gewöhnung dazu führten, dass sich niemand mehr für diese Probleme interessiere. "Wir verstehen nicht, wie weit das Wasser schon am Kochen ist", meinte Becker. Es sei wichtig, über diese Themen miteinander ins Gespräch zu kommen, solange man sich bewusst sei: "Man verkündet nicht die absolute Wahrheit, sondern die eigene Meinung."

"Nur Aufklärung kann helfen", regte Greta Möller, Sprecherin der Taskforce Politische Aufklärung, ein weiterführendes Gespräch über die Möglichkeiten von Bildung an. Sie wollte wissen, welche Bedeutung Becker von Schulen organisierten Fahrten in Konzentrationslager zuspreche. Diese Fahrten würden eine große Rolle spielen, so Becker, doch sie allein reichten nicht aus, auch die Vor- und Nachbereitung sei wichtig: Die Schüler:innen aussprechen zu lassen, welche Eindrücke sie danach beschäftigten. Das Schlimmste wäre seiner Ansicht nach, wenn der Holocaust irgendwann nur noch ein Kapitel im Geschichtsbuch zwischen anderen Themen werden würde: „Man muss Prioritäten setzen“, so Becker, aber diese Thematik habe — vor allem in Deutschland — eine sehr hohe Priorität. Erneut betonte er außerdem, wie zentral es sei, nicht nur den Holocaust zu thematisieren und somit die Juden und Jüdinnen in einer Opferrolle zu sehen, sondern sich auch damit zu beschäftigen, was jüdisches Leben ausmache und Einblicke in die jüdische Kultur zu gewinnen. In Hinblick auf Politik meinte er: "Wir müssen es hinbekommen, in der demokratischen Mitte weiterhin miteinander zu reden."

Uwe Becker auf dem Podium mit Marcus Riverein, Otto Ritter und Greta Möller, im Gespräch mit den Berufsschüler:innen

Uwe Becker auf dem Podium mit Marcus Riverein, Otto Ritter und Greta Möller, im Gespräch mit den Berufsschüler:innen

 

Stimmen zur Veranstaltung

"Das bekommt man wirklich selten. So viel Impuls, so viel Eindruck", zeigte sich Marcus Riverein im Anschluss begeistert von dem, was die AG unter seiner Leitung auf die Beine gestellt hatte. Auch die Sprecher:innen der Taskforce Politische Aufklärung der Zukunfts-AG des Börsenvereins, Otto Ritter und Greta Möller, empfanden das Gespräch als wertvoll. Die Ergänzung durch die vorangegangenen Workshops zur Debattenfähigkeit sei ihrer Meinung nach gelungen. "Auch für den buchhändlerischen Alltag ist es relevant zu wissen, wie man Debatten führt", so Ritter. So sei besprochen worden, wie man sie führen kann, ohne dass sie zu einem Streit ausarten, und es wurde die Frage diskutiert, wie weit die eigene Meinung gehen darf. Außerdem wurden in Kleingruppen Debatten zu vorgegebenen Themen geführt, bei denen viele der Berufschüler:innen sich in eine Perspektive einfinden mussten, die sie selbst nicht vertreten. Das könne Verständnis für andere Meinungen eröffnen. Auch zwei der Berufschüler:innen erzählten, dass sie besonders dieses aktive Üben des Debattierens als gute Gelegenheit wahrnahmen.

Im Publikum anwesend waren außerdem Helga Frese-Resch, Co-Sprecherin der IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins und Sonja Vandenrath, Literaturbeauftragte der Stadt Frankfurt und Kuratorin des Frankfurter Literaturfestivals OPEN BOOKS und literaTurm.