Agenda der IG Digital für 2025

"Wer KI als technische Spielerei abtut, wird schnell den Anschluss verlieren"

10. April 2025
Sabine Cronau

Künstliche Intelligenz ist das Thema der Stunde. Wie können Verlage und Buchhandel auf dem Weg ins KI-Zeitalter unterstützt werden? Fragen an den neu formierten Sprecherkreis der IG Digital: Carmen Udina (Friedrich Verlag), Eliane Wurzer (Steuerrechts-Institut Knoll / NWB Verlag) und Eric Bartoletti (Bookwire).

Gruppenbild

Der Sprecherkreis der IG Digital: Eric Bartoletti, Carmen Udina und Eliane Wurzer (r.)

Neuer Sprecherkreis, neue Themen: Was steht 2025 ganz oben auf Ihrer gemeinsamen Agenda?

Carmen Udina: Die erste große Veränderung des neuen Jahres ist natürlich die Neubesetzung im Sprecherkreis. Wir bedauern sehr, dass Hermann Eckel nach sechs Jahren nicht mehr kandidiert hat, sind aber glücklich darüber, dass wir mit Eric Bartoletti den perfekten Nachfolger gefunden haben, der seine Bookwire-Expertise in den Sprecherkreis einbringt.

Inhaltlich wird 2025 sicher ein Jahr der Vertiefung sein. Wir wollen die Branche auch weiterhin bei der digitalen Transformation unterstützen – nicht zuletzt mithilfe des wunderbaren Digitalen Wissens-Hubs, den der Börsenverein aufgesetzt hat.  Und wir wollen die IG Digital wieder stärker zum Trendbarometer der Branche machen.

Außerdem wollen wir den Austausch und die Vernetzung der Mitglieder untereinander fördern. Dass wir gemeinsam viel erreichen können, beweist unter anderem die Arbeit der Taskforce IT-Standards, die mit ihren Leitfäden zu Standardisierungsfragen eine echte Erfolgsstory geschrieben hat.

Porträtfoto Carmen Udina

Carmen Udina

Wir müssen mutig sein und vieles einfach ausprobieren. Denn nur dann lernen wir auch.

Carmen Udina, Friedrich Verlag

Anfang März haben sich in München die Peergroups der IG Digital getroffen, die gezielt einzelne Themenfelder bearbeiten. Gibt es neue Arbeitsgruppen, um die Themenfülle zu ordnen?

Eliane Wurzer: 2024 hat sich die Peergroup Digitale Produktentwicklung neu gegründet. Sie wird sich besonders mit den sogenannten RAG-Modellen beschäftigen, die gerade viele Fachverlage umtreiben. Das Kürzel RAG steht für Retrieval Augmented Generation. Der Hanser Fachbuch-Verlag entwickelt beispielsweise gerade das Produkt "plastics.ai", welches durch die Welt der Kunststoffe führt und ein spezialisiertes RAG-Modell einsetzt.

Haben Nutzer:innen eine spezielle Frage, dann liefert plastics.ai Antworten aus dem Hanser-Fundus. Das gesammelte Wissen über Kunststoffe wird buch- und zeitschriftenübergreifend durchsucht, zugänglich gemacht und die Nutzer:innen können sicher sein, qualitativ hochwertige und wissenschaftlich fundierte Antworten zu bekommen. Hier entsteht ein neues Geschäftsmodell, das gerade für Fachverlage hochinteressant ist.

Die verschiedenen Peergroups (PG) haben aber noch viele weitere spannende Projekte in der Pipeline. Die Peergroup Marktentwicklung & Marketing etwa ist im Moment dabei, einen KI-gestützten Kampagnenplaner fürs Buchmarketing zu entwickeln, die PG Business Development widmet sich der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle mit künstlicher Intelligenz und die PG Digitale Distribution unterstützt Verlage dabei, Assets mit einem Nutzungsvorbehalt zu versehen. Die einzelnen Peergroups wachsen auch enger zusammen: Die Peergroup Produktion beispielsweise setzt den Fokus auf die optimale Aufbereitung und Strukturierung von Verlagsdaten für RAG-Systeme und arbeitet dafür eng mit der PG Digitale Produktentwicklung zusammen.

Porträtfoto Eric Bartoletti

Eric Bartoletti

Es geht nicht darum, einem Hype zu folgen, sondern zielgerichtet nach dem Mehrwert einzelner Tools zu fragen – und das richtige Instrument für sich auszuwählen.

Eric Bartoletti, Bookwire

Sie hatten davon gesprochen, dass die IG Digital wieder stärker zum Trendbarometer der Branche werden möchte. Was sind denn aktuelle Trends, die für die Buchbranche relevant sind?

Eric Bartoletti: Künstliche Intelligenz bildet, wenig überraschend, auch hier einen Schwerpunkt. Einerseits wirft KI viele rechtlichen Fragestellungen für unsere Branche auf. Andererseits bietet KI interessante Möglichkeiten, Prozesse effizienter zu gestalten und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Neben den bereits erwähnten RAG-Modellen sehen wir weitere durch KI-getriebene Trends in der Branche:

  • Artificial Audio, insb. Text-to-Speech Anwendungen, machen aktuell deutliche Qualitätssprünge. Für mehr und mehr Titel wird TTS zur Hörbuchproduktion genutzt, vor allem international. Hier hat die IG Digital naturgemäß eine große gemeinsame Schnittmenge mit der IG Hörbuch.
  • Interaktive Anwendungen spielen eine immer größere Rolle – weil sie dank KI günstiger in der Entwicklung werden und Kund:innen spielerisch an Produkte und Marken heranführen.
  • KI Agenten – also Tools, die eigenständig Aufgaben erledigen und in einem gewissen Rahmen auch Entscheidungen treffen – sind ebenfalls ein großes Thema. Einige Verlagsgruppen experimentieren bereits damit.
  • Auch Print on Demand-Modelle bekommen durch KI neuen Schwung. Druckdateien lassen sich hierdurch wesentlich einfacher für unterschiedliche Anforderungen erstellen als noch vor einigen Jahren, wodurch Aufwand und Druckkosten für Verlage sinken.
Porträtfoto Eliane Wurzer

Eliane Wurzer

Das Brot- und Buttergeschäft der Branche, das in der Vergangenheit ohnehin schon massiv gelitten hat, wird noch schwieriger. KI legt noch mal eine ganze Schippe an Herausforderungen obendrauf.

Eliane Wurzer, Steuerrechts-Institut Knoll / NWB Verlag

Klingt spannend. Allerdings hat eine frische Studie der IG Digital und der Unternehmensberatung Highberg ergeben, dass nur 9 Prozent der befragten Verlagsköpfe die Bedeutung von KI aktuell als hoch oder sehr hoch einstufen. Eine fatale Fehleinschätzung?

Carmen Udina: Auf alle Fälle ist diese Zahl ein Warnsignal. Denn sie zeigt, dass die Tragweite von KI-Tools in den Führungsetagen oft noch nicht erkannt wird. Dabei birgt künstliche Intelligenz ein enormes Potenzial, gerade für eine wissensbasierte Branche wie die unsere. Wer KI als technische Spielerei abtut, wird bald den Anschluss verlieren. Hier die ganze Tragweite und die vielen Möglichkeiten aufzuzeigen – genau das ist die Aufgabe der IG Digital.

Eric Bartoletti: KI hat Einfluss auf nahezu alle Geschäftsfelder der Branche. Sie kann dabei helfen, Prozesse effizienter zu gestalten, Kosten zu senken und Inhalte in großer Formatvielfalt einem breiteren Publikum anzubieten. Kurzum: Ihr Einsatz wird für Verlage und Buchhandlungen zum Wettbewerbsvorteil. 

Gleichzeitig verstärken sich durch KI die bestehenden Herausforderungen. Selfpublishing nimmt weiter zu, weil sich Texte mit immer weniger Aufwand erzeugen lassen.  Damit werden noch mehr Titel auf den Markt kommen. Und es wird noch wichtiger werden, die eigenen Produkte und die eigene Marke in dieser Fülle sichtbar zu machen. Das Thema Kundenbindung spielt hierbei eine große Rolle.

Eliane Wurzer: Man könnte es auch so formulieren: Das Brot- und Buttergeschäft der Branche, das in der Vergangenheit ohnehin schon massiv unter der Online-Marktmacht von Amazon und unter dem Trend zum Selfpublishing gelitten hat, wird noch schwieriger. KI legt noch mal eine ganze Schippe an Herausforderungen obendrauf. Und wir als IG Digital sind in der Pflicht, entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten.

In der erwähnten Umfrage geben 53 Prozent der Befragten an, dass sich Chancen und Risiken durch künstliche Intelligenz die Waage halten. Sehen Sie das auch so – oder liegen mehr Risiken in der Waagschale?

Eric Bartoletti: Ich glaube, dass die Chancen überwiegen, wenn man KI richtig einsetzt. Es geht nicht darum, einem Hype zu folgen, sondern zielgerichtet nach dem Mehrwert einzelner Tools zu fragen – und das richtige Instrument für sich auszuwählen.

Carmen Udina: Außerdem müssen wir mutig sein und vieles einfach ausprobieren. Denn nur dann lernen wir auch.

In diesem Jahr wollen wir Mittel und Wege finden, um die gesammelten Informationen im Digitalen Wissens-Hub noch besser für unsere Mitglieder zugänglich zu machen. 

Eric Bartoletti

Wie kann und will die IG Digital die Branche fit machen für das KI-Zeitalter?

Eliane Wurzer: Da haben wir bereits jetzt einiges vorzuweisen: 

Eric Bartoletti: Es ist also schon viel passiert. Und es geht weiter: In diesem Jahr wollen wir Mittel und Wege finden, um die gesammelten Informationen im Digitalen Wissens-Hub noch besser für unsere Mitglieder zugänglich zu machen. 

Eliane Wurzer: Unsere Themen rücken immer weiter ins Zentrum der Branche. Das Interesse daran ist riesig – was uns freut. Der Peergroup-Day und das DigiCamp Anfang März in München waren diesmal schon Wochen vorher ausgebucht.

Unsere Themen rücken immer weiter ins Zentrum der Branche. Der Peergroup-Day und das DigiCamp Anfang März in München waren diesmal schon Wochen vorher ausgebucht.

Eliane Wurzer

So mancher dürfte 2025 allerdings die traditionelle Jahrestagung der IG Digital vermissen…

Eliane Wurzer: Der Börsenverein feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen mit einem großen Branchenkongress am 5. und 6. Juni in Berlin. Die IG Digital hat Teile des Programms mitkonzipiert und so wird die digitale Themenpalette gut abgedeckt, etwa mit einer Keynote von Miriam Meckel zur Buch- und Medienbranche im Zeitalter von KI oder mit Best-Practice-Beispielen rund um Innovationsstrategien für Entscheider:innen“. Die nächste IG Digital Jahrestagung findet daher erst wieder 2026 statt.

Im Moment passiert so viel Neues, und wir sind mittendrin und können Lösungen mitgestalten. Die nächsten Jahre werden sehr aufregend – auch für uns im Sprecherkreis.

Carmen Udina

Wie nutzen Sie KI bereits im eigenen Unternehmen?

Eliane Wurzer:  Ich liebe das KI-Tool Beautiful.ai, mit dem sich wunderschöne Präsentationen erstellen lassen – natürlich nur, wenn ich vorher kluge Dinge eingebe (lacht). Der Zeitaufwand wird damit nicht unbedingt kleiner, aber das Ergebnis auf jeden Fall besser!

Eric Bartoletti: Unsere Developer setzen KI ein, um die Vertriebsplattform von Bookwire weiterzuentwickeln. Außerdem nutzen wir KI-Tools als Kreativlabor im Marketing, etwa um Ideen für Bilder und Texte zu entwickeln. Besonders wichtig ist für uns der Schutz sämtlicher Inhalte, die von Bookwire vertrieben werden, wofür wir bereits verschiedene TDM Opt-Out Methoden implementiert haben und noch weitere hinzufügen werden. Und natürlich prüfen wir, wie wir unsere Services für Verlage mithilfe von KI noch weiter verbessern können.

Carmen Udina: Im Friedrich Verlag hilft uns KI unter anderem im Kundenservice. Durch die vielen Abonnements, die wir vertreiben, gehen pro Tag 2.000 bis 3.000 Kundenanfragen im Verlag ein. Ein neues KI-Modul, das wir gerade trainieren, sortiert diese Mails vor und bearbeitet die einfachen Fälle. So kann sich das Team vom Kundenservice auf die komplizierteren Anliegen konzentrieren.

Im Moment passiert so viel Neues, und wir sind mittendrin und können Lösungen mitgestalten. Die nächsten Jahre werden sehr aufregend – auch für uns im Sprecherkreis. Wir haben richtig Lust auf unsere Arbeit im Ehrenamt!