Große Holtforth: Absolut. Alle Unternehmen haben damit zu kämpfen, dass sie immer mehr und neue Aufgaben bewältigen müssen, dafür aber in der Regel nicht mehr und manchmal sogar weniger Personal zur Verfügung haben. Es ist also ein Gebot der Wirtschaftlichkeit, weniger kreative Aufgaben zumindest in Teilen an Technologien zu delegieren, damit wir uns ums Entscheidende kümmern können: unsere Kundschaft, unsere Kommunikation und die Entwicklung unseres Unternehmens. Ihr Kerngeschäft können KI-Anwendungen Buchhandlungen natürlich nicht abnehmen. Aber es lohnt sich zu überlegen, wobei sie entlasten können, damit das Kerngeschäft auch in Zukunft läuft.
Eckel: Wir müssen uns fragen, wo Wertschöpfung stattfindet, und möglichst viel automatisieren. KI- Anwendungen in der Branche könnten sein: die Kompilierung von Inhalten, die Suche passender Bilder zu Texten in Bildungsmedien – oder auch das Generieren von Romanen, bei dem der Autor die KI füttert und die Rohergebnisse überarbeitet. Ein solches Zusammenspiel von Mensch und Maschine könnte vor allem ein Szenario für Genreliteratur werden.
Udina: "Digitale Chancen in Zeiten knapper Ressourcen" – das sollten wir mehr in den Blick nehmen. Deshalb stellen wir auch die diesjährige IG Digital Jahrestagung am 15. und 16. Juni, die in Kooperation mit der IG Nachhaltigkeit stattfindet, unter dieses Motto. Ich bin gespannt, wie die Zukunft aussehen wird. Vielleicht erscheinen künftig Bücher mit dem Label "mit KI produziert" oder "ohne Verwendung von KI". Das heißt aber nicht, dass der Kreative obsolet ist. Denn Kreativität und Phantasie sind Eigenschaften, die künstlicher Intelligenz fehlen.
Das ändert aber nichts daran, dass weniger kreative (oder gar unkreative) Menschen durchaus in der Lage sind, Dinge zu erschaffen, die entweder kreativ ausschauen oder es tatsächlich sind. Ich maße mir nicht an, dazwischen unterscheiden zu können. Wie die Menschen das schaffen, spielt zuerst einmal keine Rolle: Ob sie dazu Kreativitätstechniken (die letztlich nichts anderes als Denktechniken sind) nutzen oder ihr Schaffen dem ziellosen Zufall überlassen, ist im Sinne des Ergebnisses nebensächlich. Ob und bis zu welchem Grad Maschinen das können, weiß ich nicht, letztlich ist das für mich auch unerheblich.
Was hingegen sehr erheblich ist, ist der Anteil von KI im aktuellen Geschäftsleben. Auch in der Buchbranche wird der Anteil perspektivisch wachsen und es ist nicht die Aufgabe von Unternehmen diesen ohnehin nicht zu verhindernden Wandel eben doch zu verhindern, sondern ihn strategisch bestmöglich für sich zu nutzen. Und das wiederum kann meiner Meinung nach nicht bedeuten, „weniger kreative Aufgaben zumindest in Teilen an Technologien zu delegieren“. Es bedeutet etwas völlig anderes. Es bedeutet alles, was nicht direkt „unsere Kundschaft, unsere Kommunikation und die Entwicklung unseres Unternehmens“ positiv beeinflusst aus dem Tagesgeschäft zu verbannen.
Diese strategische Verzwergung einer ganzen Branche macht schier wahnsinnig. Denn wenn man sich zurückerinnert und vergegenwärtigt, wie die Branche vor 20 Jahren aussah und wie sie heute tatsächlich ist, kann es doch nicht das Ziel sein, den aktuellen technischen Status quo in vielen Jahren – und dann auch nur in Ansätzen – implementiert zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Sören Ohle