Börsenvereinsgremien votieren gegen Mindestpreismodell

„Krasses Missverhältnis zwischen Risiken und Chancen“

16. November 2022
Sabine Cronau

Verlage, Sortimente, Zwischenbuchhandel: Alle drei Fachausschüsse des Börsenvereins haben sich in ihren Sitzungen an diesem Mittwoch klar gegen die Einführung eines Mindestpreismodells im Buchhandel ausgesprochen. Auch der Vorstand des Verbands hat sich positioniert.

Wie mehrfach berichtet, diskutiert die Branche derzeit intensiv darüber, ob das Buchpreisbindungsgesetz geändert und das Mindestpreismodell nach österreichischem Vorbild übernommen werden sollte (mehr dazu hier und hier).

Die Ausschüsse für Verlage und für den Zwischenbuchhandel haben sich bei der Sitzungswoche im Frankfurter Haus des Buches nun einstimmig dagegen ausgesprochen, im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel wurde ein Mehrheitsbeschluss gegen den Mindestpreis gefasst. Der Börsenvereinsvorstand hat sich der Position der drei Gremien ebenfalls angeschlossen.

Unser zentrales Argument, dass Bücher überall das gleiche kosten, dürfen wir nicht verwässern.

Christiane Schulz-Rother, Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel

"Deutliche Mehrheit" der Sortimente dagegen

Vor allem Filialist Thalia, der in Österreich Erfahrungen mit Mindestpreisen gesammelt hat, macht sich für das Modell stark, um dem Buchhandel in den aktuellen Krisenzeiten bei der Preisgestaltung Spielraum nach oben zu geben (mehr dazu hier).

Die Entscheidung gegen eine solche Lösung sei im Ausschuss demokratisch und mit „deutlicher Mehrheit“ gefallen, berichtete die Berliner Buchhändlerin Christiane Schulz-Rother (u.a. Tegeler Bücherstube) als Vorsitzende des Ausschusses.

Zentrales Argument gegen eine Änderung des Preisbindungsgesetzes: Seit Jahrzehnten transportiere die Branche die Botschaft, dass Bücher überall das gleiche kosten – in kleinen wie in großen Buchhandlungen, online wie stationär. „Das dürfen wir nicht verwässern“, so Christiane Schulz-Rother.

Auch ein guter Grund dagegen: Autoren und Agenten wären beim Mindestpreismodell nicht an den Umsatzzuwächsen beteiligt.

Nadja Kneissler, Ausschuss für Verlage

Verlage warnen vor Bestpreisangeboten

Auch die Verlage sehen dann denkbare Bestpreisangebote und die Suche über Preisvergleichsplattformen als Gefahr für die Buchpreisbindung: „Bestimmte Player im Markt würden das sicher gut ausnutzen“, so Nadja Kneissler (Delius Klasing), Vorsitzende im Ausschuss für Verlage.

Die Preisbindung könne dadurch generell in Gefahr geraten – nicht zuletzt, weil die Politik den Buchmarkt in diesem Punkt sehr genau beobachte. Hinzu komme: Autoren und Agenten seien bei diesem Modell nicht an den Umsatzzuwächsen durch höhere Preise beteiligt.

Der Ausschuss für den Zwischenbuchhandel lehnt die Einführung von Mindestpreisen ebenfalls einhellig ab: „Man sollte keine Dinge reparieren, die gar nicht kaputt sind“, brachte es der Vorsitzende Stephan Schierke (VVA) auf den Punkt: „Wir würden damit die Büchse der Pandora öffnen, die Risiken stehen in einem krassen Missverhältnis zu den Chancen.“

Mit einer Änderung des Preisbindungsgesetzes würden wir die Büchse der Pandora öffnen.

Stephan Schierke, Ausschuss für den Zwischenbuchhandel

Mit dem Beschluss von Fachausschüssen und Vorstand im Rücken könne der Verband jetzt die klare Botschaft an die Politik senden, dass die Branche eine entsprechende Änderung des Preisbindungsgesetzes mit deutlicher Mehrheit ablehne, so Nadja Kneissler.

Im Vorfeld der Entscheidungen hatte sich eine vierköpfige Taskforce des Ausschusses für den Sortimentsbuchhandel "ganz unemotional" (Schulz-Rother) mit den Vor- und Nachteilen des Mindestpreismodells beschäftigt und ein Papier dazu verfasst. Die Punkte wurden dann in den getrennten Sitzungen der Ausschüsse und beim gemeinsamen Treffen am Mittwochvormittag disktutiert und abgewogen. 

Wie berichtet, hatten sich auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober bereits die großen Buchhandelsverbünde und die Interessengruppe Unabhängiges Sortiment im Börsenverein gegen die Einführung von Mindestpreisen ausgesprochen (mehr dazu hier).

Auch die Preisbindungstreuhänder der Verlage warnten in ihrem jüngsten Arbeitsbericht eindringlich vor den Risiken (mehr dazu hier).

Darüber wurde außerdem diskutiert

In den Sitzungen der Fachausschüsse im Frankfurter Haus des Buches standen noch weitere Themen auf der Agenda – ein kurzer Überblick:

Logistik: Warnung vor "toxischer Mischung"

Wie können Verlagsauslieferungen und Barsortimente die Stabilität und Qualität der Logistik aufrechterhalten? Das war ein Kernthema im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel. Treiber sei der Personalmangel, aber auch eine stark schwankende Auftragslage, berichtete Stephan Schierke. Sehr ruhige Phasen und ein „explosionsartiges Bestellvolumen“ würden sich abwechseln und den Logistikern enorme Flexibilität abverlangen: „Zusammen mit der Personalnot eine toxische Mischung.“

Die Abwicklung des Weihnachtsgeschäfts durch die Barsortimente sei sichergestellt – aber es gehe darum, im Buchhandel um Verständnis zu werben, wenn Bestellungen bei den Verlagsauslieferungen nicht immer innerhalb von drei bis vier Tagen im Laden eintreffen könnten.

Schulbuchgeschäft: Sorgen im Saarland

Mit Sorge beobachtet der Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel eine Entwicklung im Saarland, wo der Gesetzgeber den Weg für eine komplette Umstellung auf digitale Schulbücher geebnet hat. „Wir müssen jetzt versuchen, der Politik deutlich zu machen, welche Folgen damit für Lesekompetenz und Wissenserwerb verbunden sind“, so Christiane Schulz-Rother.

Viele Schulen seien schon bei der Umstellung einzelner Klassensätze auf E-Learning überfordert. Ein Roundtable aus dem Verband Bildungsmedien und der Interessengruppe Lernmedien im Börsenverein sucht jetzt nach Lösungen – und das Gespräch mit der Politik.

Kulturpass: Erfreulich für den Buchhandel

Die geplante Einführung eines bundesweiten Kulturpasses für 18-Jährige im zweiten Quartal 2023 (Guthaben: 200 Euro) ist für die Sortimenter:innen dagegen eine erfreuliche Initiative der Politik (mehr dazu hier, ein Statement der Vorsteherin dazu lesen Sie hier). „Wir begrüßen das sehr“, so Christiane Schulz-Rother, die auf ein ähnliches Modell in Frankreich verwies, wo die Jugendlichen einen Großteil des Geldes in Bücher investieren würden.

Papierpreise: Kleine Verlage unter Druck

Im Ausschuss für Verlage ging es um die Kostenspirale bei Papier und Druck. Nicht nur, aber insbesondere die kleinen Verlage würden darunter leiden, viele nicht wissen, wie sie ihr nächstes Programm finanzieren sollen. Das werde 2023 nicht leichter, befürchtet Nadja Kneissler: „Wir müssen überlegen, welche Fördertöpfe wir noch erschließen können“ – für schnelle Hilfe.

Unterstützung: "Frankfurter Erklärung" der avj

Der Ausschuss für Verlage unterstützte in seiner Sitzung ausdrücklich die „Frankfurter Erklärung“ der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj), die jüngst „ein klares Bekenntnis der politischen Entscheider*innen zur Notwendigkeit des Ausbaus der Lese- und Medienkompetenz“ gefordert hatte – und auf die wachsenden Anfragen nach kostenlosen Leseexemplaren für Kitas und Schulbibliotheken verwiesen hatte (mehr dazu hier). „Es kann nicht sein, dass wir auf diese Weise die Finanzschwäche der Kommunen auffangen müssen“, warnte Nadja Kneissler.

Nachhaltigkeit: drei grüne Taskforces

Auf der Frankfurter Buchmesse hat sich die IG Nachhaltigkeit mit 50 Mitgliedern gegründet – und drei Taskforces gebildet: Herstellung, Logistik / Ökobilanzierung der Branche / Nachhaltiger Betrieb. Die Taskforces nehmen noch im November ihre Arbeit auf. Ein Pilotprojekt mit dem HDE soll zudem eine Blaupause für nachhaltiges Wirtschaften im Buchhandel entwickeln (mehr zum Projekt hier und zur ausgewählten Buchhandlung hier).

Die IG Nachhaltigkeit hat sich jetzt zusammen mit anderen Interessengruppen des Verbands bei der Sitzungswoche präsentiert. Wer sich engagieren will: Alle Informationen zur IG Nachhaltigkeit gibt es hier, eine Übersicht mit allen Interessengruppen im Verband ist hier abrufbar.