Was in puncto Leseförderung derzeit alles im Argen liegt, benannte eine Runde aus Experten, die Moderatorin Marietta Slomka befragte. "Lesen fördert Kreativität und Immersion, das Eintauchen in Lesewelten, was ein entspannender Zustand ist – traurig, wenn Millionen Menschen in Deutschland das nicht erleben können", hielt Prof. Arthur Jacobs (Freie Universität Berlin) fest. Durch gute Lektüre werde man emotional wie intellektuell geschult, weil man sich in die Charaktere der Handlung hineinversetzt. Sein Rat: möglichst viel lesen – und entscheidend sei, was man liest. "Reicht es nicht, einen Film zu gucken? Nein, denn es ist kein selbstaktivierender Vorgang", erklärte Frank Mentrup (Deutscher Bibliotheksverband). "Das Hineinversetzen in eine andere Perspektive funktioniert längst nicht so wie beim Erlesen." Kinder lernten von der Peergroup und von den Eltern, "und da kommt es darauf an, ob dort Bücher gelesen werden. Sonst braucht es unbedingt Angebote von außerhalb."
Es seien keineswegs die Kinder mit Migrationshintergrund, die zu schlechten werten in der Lesefähigkeit führten, erläuterte Prof. Ingrid Gogolin (Universität Hamburg). "Wir leben ja gar nicht mehr in einer monolingualen Welt, alle Kinder lernen inzwischen Englisch", und Kinder mit Migrationshintergrund beherrschten ja schon längst eine Sprache. Die Mehrsprachigkeit sei per se kein Nachteil, immer komme es auf die Zusammensetzung einer Klasse an. "Kinder lernen auf der Basis ihrer Vorerfahrung und ihres sprachlichen Könnens – und wenn ein Teil davon, die Muttersprache, beim Lesenlernen ausgeschlossen wird, hat das negative Einflüsse auf den Lernprozess." Die Kinder stellten auch eine andere Beziehung zwischen Hören und den Buchstaben her – "schreiben Sie mal folgendes Wort auf einen Zettel", forderte sie die Runde auf und nannte das türkische Wort für die Farbe Rot: Sofort wurde klar, dass jeder ganz unterschiedliche Buchstaben aufs Papier bringen wird.
"Wir müssen davon wegkommen, das Lesen nur Lesen von Romanen bedeutet", konstatierte Prof. Petra Stanat (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen Berlin). "Es geht darum, Texte lesend zu verstehen, egal ob im Internet oder in einem Buch." Früher sei man davon ausgegangen, dass Kinder nach der Grundschule lesen können – "aber das stimmt nicht, man muss die Leseflüssigkeit trainieren." Man müsse sich viel stärker darauf konzentrieren, Kinder auf das Lesen vorzubereiten, "es braucht die Vorläufer-Kompetenzen fürs Lesen!"